"Die Wannseekonferenz"

Wenn aus Worten Morde werden

17.01.2022, 08.51 Uhr
von Marcus Italiani
Arbeitstagung der Bürokraten des Todes.
Arbeitstagung der Bürokraten des Todes.  Fotoquelle: ZDF und Julia Terjung

Am 20. Januar 1942 treffen sich 15 Männer und eine Frau zu einer "Besprechung mit Frühstück" in einer Villa am Berliner Wannsee. Einziger Tagesordnungspunkt: millionenfacher Mord.

Das unverfänglich benannte Meeting wird als "Wannseekonferenz" in die Geschichte eingehen und den Tag festsetzen, an dem die Durchführung des Massenmordes an den europäischen Juden von den Nazis geplant wurde. Bereits 1984 bereiteten Drehbuchautor Heinz Mommertz und Regisseur Heinz Schirk dieses erschreckende Beispiel bürokratischer Kaltblütigkeit filmisch auf. Das Werk wurde unter anderem mit dem Adolf-GrimmePreis ausgezeichnet. Eine weitere Produktion ("Conspiracy", 2001) konnte viele Kritiker aufgrund fehlender Detailgenauigkeit nicht überzeugen. 37 Jahre nach dem Mommertz-Film und 80 Jahre nach der tatsächlichen Wannseekonferenz zeigt das ZDF nun eine Neuverfilmung von Regisseur Matti Geschonneck und Autor Magnus Vattrodt.

Und bereits nach wenigen Minuten weiß der Zuschauer, warum diese Adaption Sinn macht. Denn im Gegensatz zu früheren Filmen wird das Böse nicht plakativ durch Klischee-Nazi-Figuren gezeigt, die mit schlechten Manieren und kleingeistig-zotigen Kommentaren glänzen. Nein, das Grauen kriecht einem perfide vor dem harmlos scheinenden Hintergrund einer angenehmen Arbeitstagung mit stetig wachsendem Unbehagen unter die Haut. Viele Zuschauer werden den formalen Ablauf der Sitzung und die Atmosphäre vielleicht auf den ersten Blick mit Erfahrungen aus ihrem Arbeitsalltag verbinden und darüber erschrecken.

Und so ist Philipp Hochmair auch kein Reinhard Heydrich wie man ihn sich anhand von Bildmaterial und Überlieferungen gemeinhin vorstellt: mit spitzem Raubvogelgesicht, eiskalten Augen und Vorzeige-Arier-Habitus. Nein, der Leiter des "Reichssicherheitshauptamtes" wird als leutseliger Mensch dargestellt, dem an Harmonie gelegen ist. Dr. Rudolf Lange, der in den eroberten Ostgebieten persönlich Massenerschießungen kommandiert hat oder Roland Freisler, der berüchtigte "Volksgerichtshofs"-Präsident, wirken oberflächlich betrachtet wie profunde, lösungsorientierte Männer von Welt. Der eigentliche "Bösewicht", der einem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren lässt, ist die Sprache, die diese kultiviert wirkenden Menschen verwenden.

"Hier sitzen 15 Leute zusammen, die sich im Grunde einig sind, aber Konflikte auf einer administrativen, bürokratischen Ebene haben. Hinter jedem Teilnehmer sitzen wiederum gewisse Agendas, jeder hat also etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Auch Heydrich", sagt Drehbuchautor Magnus Vattrodt. "Wir haben uns geschworen, dass wir die Geschehnisse so trocken wie möglich erzählen. Die Teilnehmer der Besprechung verwenden eine sehr ausweichende, indirekte und ungeheuer brutale Sprache, wenn beispielsweise von Evakuierung und von Deportation die Rede ist, eigentlich aber die kaltblütige Ermordung von Millionen Menschen damit gemeint ist. Es ist erschreckend, wie man sich in eine solche Sprache eingroovt. Am Ende ist das Ganze wie eine Art Soundcollage, die sich über die Zuschauer ergießt, in die man anfangs schwer hineinfindet, die aber irgendwann einen starken Sog entwickelt", sagt Drehbuchautor Magnus Vattrodt.

Und weil dieser irgendwann dröhnende und zerstörende Sound der Sprache für sich steht, verzichtet der Film auch komplett auf Musik. "Musik hat eine gute, aber auch eine sehr manipulative und verzerrende Funktion. Ich war davon überzeugt, dass dieser Stoff keine Musik haben darf", sagt Regisseur Matti Geschonneck über den Film, der uns allen den Spiegel vorhält, weil er mit erschreckender Deutlichkeit klarmacht, welche unvorstellbaren Taten sich hinter Allerweltsfloskeln verstecken können. Die besprochenen Geschehnisse mögen in der Vergangenheit liegen – die alltägliche Verwandlung von Sprache in Taten ist aktueller denn je.

TV-TIPP

  • "Die Wannseekonferenz", 24. Januar 2022, 20.15 Uhr, ZDF

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