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"Kalt": Kita-Ausflug wird zum Albtraum

02.11.2022, 08.07 Uhr
von Wilfried Geldner

Bei einem Kita-Ausflug verunglücken zwei Kinder. Der Junge stirbt, das Mädchen fällt ins Koma. Die Erzieherin Kathleen hatte einen Moment nicht aufgepasst - und bleibt nun allein mit ihrer Schuld.

ARD
Kalt
Drama • 02.11.2022 • 20:15 Uhr

Der Film beginnt wie einer der tausend Krimis, die alljährlich im deutschen Fernsehen zu sehen sind: Polizeifahrzeuge, Rettungswagen, ein Hubschrauber kreist am Himmel. Aber "Kalt" (Drehbuch: Hans-Ullrich Krause, Regie: Stephan Lacant) ist kein Krimi. Der Film ist das Psychodram einer Frau, die Schuld auf sich geladen hat. Bei einem Kita-Ausflug ist die Erzieherin Kathleen Selchow (Franziska Hartmann) einen Augenblick lang nicht aufmerksam genug gewesen. Zwei Kinder sind ihr abhanden gekommen, sie sind im Fluss verunglückt, wie sich bei ihrer eiligen Nachsuche herausstellt. Die Welt wendet sich fortan ab von Kathleen. Wie konnte die ausgebildete Erzieherin nur so unaufmerksam sein? Wie konnte sie sich verzählen, bei 15 Kindern, die zu beaufsichtigen waren und zwei zur Verfügung stehenden Helferinnen?

Was sich anhört wie ein Schirachsches Fallbeispiel für den Umgang mit der Schuld oder gar ein Kapitel aus dem Lehrbuch für Pädagoginnen, entwickelt sich von Beginn an zu einem sehr persönlichen Drama. Kathleen steht unter Schock, ihr Trauma wird in kurzen Erinnerungsfetzen deutlich. Die Szenen ihres verspäteten Rettungsversuchs im "dunklen, kalten Wasser", die ja auch der Albtraum der zurückgebliebenen Mütter sind, wiederholen sich. Kathleen selbst ist es, die jetzt zum Opfer wird. Opfer ihrer selbst und ihrer Umwelt in der Kita und in der vielleicht etwas zu schicken Einfamilienhaus-Siedlung, in der sie wohnt.

"Das kannst du dir sparen", sagt die Kollegin in der Kindertagesstätte, als sie die Kinderstühle ordnen will, als sei nichts gewesen. "Jetzt nicht!", wiegelt ihre Chefin ab, als sie sich erklären will. Vergeblich versucht sie ihr Mann Robert (Božidar Kocevski) zu trösten, ihrem Sohn Luca (Johann Barnstorf) gegenüber will sie nichts von dem Unfall erzählen. 17 Kinder, nicht 15 wie sonst, sind es diesmal gewesen. Es sind zwei dazu gekommen, Kathleen hat sich deshalb beim Nachzählen vertan. Hintergrund eines unfassbaren Dramas.

Ständig ruft das Gewissen

Nicht nur die Mutter des toten Jungen wirft ihr das vor: Sie kannte doch Nico. Kinder sind mehr als nur eine Zahl, man muss sie doch lieben, so argumentiert sie, während sich ihre Trauer umschlägt in Wut. Eine Kommissarin (Anne Ratte-Polle) leitet die Untersuchung, forscht (etwas zu grobschlächtig) nach: Weshalb, wieso konnte das geschehen? Sie ist, das zu ihrer Entschuldigung, eigentlich Kathleens eigenes Gewissen. Die Vorwürfe der Kommissarin erhebt sie gegenüber sich selbst, so sagt sie, täglich "tausendmal".

Franziska Hartmann spielt die leichtfertig schuldhaft gewordene Erzieherin mit zurückhaltender Energie, ohne klebrig zu werden. Eine Frau auf der Suche nach der Wahrheit über sich selbst. Eine Rechtsanwältin, die ihr Mann ungefragt engagiert, lehnt sie fürs Erste ab. Anderen will sie die Schuld nicht geben, erst recht nicht, als ihr das eigene, kurzfristige Versagen zu dämmern beginnt. So kommt dann die Rettung durch Robert, ihren Mann, eher kinohaft, als sie sich selbst im dunklen Wasser das Leben nehmen will.

Stepan Lacant hat das geschickte Drehbuch des Grimmepreisträgers Hans-Ullrich Krause mit dem Mut zur Langsamkeit und zu viel Melancholie inszeniert. Ihm standen großartige Darsteller in den Nebenrollen, weitgehend unbekannte Gesichter, zur Verfügung. Alles zurückgenommen und wahr: die Vorwürfe der Eltern, die gutmeinenden Beschwichtigungsversuche des Mannes ("Wenn du bei Grün über eine Ampel fährst und einer läuft dir vors Auto ..."), die Annäherung an die Betroffenen, letzte Strohhalme ergreifend. – Eine unfreiwillige, wie verordnet wirkende Kälte liegt über allem. "Wie würden wir uns selbst verhalten?" fragt der Drehbuchautor in einem Kommentar zum Film. Zugegeben: Wir wissen es nicht.

Kalt – Mi. 02.11. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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