Dokus in ARD und ZDF

Umstrittenes WM-Gastgeberland: Was man über Katar wissen muss

21.09.2022, 17.12 Uhr
von Eric Leimann

Es ist schon jetzt die umstrittenste WM der Fußball-Geschichte – dabei hat das Turnier in Katar noch nicht mal begonnen. Zwei Dokus bei ARD und ZDF versuchen das winzige Emirat mit dem großen Einfluss zu erklären.

Weniger als 60 Tage sind es bis zum Anpfiff des WM-Eröffnungsspiels Katar gegen Ecuador am Sonntag, 20. November, 17.00 Uhr. Weil auch die Nationalmannschaften gerade unterwegs sind und sich prominente Köpfe wie Bundestrainer Hansi Flick oder Nationalspieler Joshua Kimmich kritisch wie nie zuvor über die WM-Vergabe in den Wüstenstaat äußerten, läuft das Thema Katar auch medial heiß. Passend dazu veröffentlichen ARD und ZDF zwei konkurrierende Dokus zum Thema.

"Geheimes Katar – Geschäftssinn, Gas und Größenwahn" steht ab Mittwoch, 21. September, in der ZDF-Mediathek und ist am Mittwoch, 28. September, 20.15 Uhr, linear bei ZDFinfo zu sehen. Der ARD-Film beruht auf einer gemeinschaftlichen Recherche der Politmagazine "report München", "Kontraste" sowie der Wochenzeitung "Die Zeit". Teil eins des Films "Geld.Macht.Katar." lief bereits am Dienstagabend in "report München", Teil zwei folgt am Donnerstag 22. September, um 21.45 Uhr, in "Kontraste". Die Langversion der Doku findet sich ab 22. September, 16.00 Uhr, in der ARD Mediathek. Da wird ziemlich viel Wind gemacht. Aber was haben die Journalisten herausgefunden? Hier eine Übersicht der wichtigsten Katar-Erkenntnisse.

Worum geht es in der Kritik an Katar?

Die Fußball-WM in Katar ist umstritten. Doch weshalb? Zum einen spielte 2010 bei der überraschenden Vergabe an das Emirat Korruption wohl eine wichtige Rolle – wie allerdings auch bei der Vergabe des "Sommermärchens" 2006 nach Deutschland. Zum anderen werden die Zustände im Gastgeberland kritisiert: Die Tagestemperaturen erreichen bis zu 50 Grad Celsius, Fußball war nie wirklich in der Gesellschaft verankert, und mit den Menschenrechten ist es auch nicht weit her: Frauen sind in Katar noch dem Manne Untertan, Homosexualität steht unter Strafe, und auf den WM-Baustellen starben Arbeiter, die zum Teil unter sklavenähnlichen Bedingungen leb(t)en. Schließlich wäre da noch die globalpolitische Komponente: Das Emirat steht im Verdacht, islamistischen Terror zu unterstützen, ist aber gleichzeitig einer der größten Flüssiggas-Exporteure der Welt und zudem ein wichtiger militärischer Verbündeter der USA im Nahen Osten. Es ist kompliziert – mit Katar.

Worum geht es in den beiden Dokus?

Wer sich auf eine investigative Sportpolitik-Recherche freut, wird enttäuscht werden. Über Machenschaften der FIFA und die WM-Vergabe wird in beiden Filmen kaum etwas erzählt. Im Fokus stehen das Land Katar und Fragen wie: Wer hat die Macht und wie ist man so reich, vor allem so einflussreich geworden? Islam- und Politik-Wissenschaftler sowie andere Katar-Experten bewerten die politische wie gesellschaftliche Situation im Land. Beide Filmteams haben vor Ort in Katar gedreht. Während der ZDF-Film einen eher klassisch dokumentarischen Ansatz pflegt, dabei aber Geschichte und Gegenwart des Landes etwas griffiger und pointierter erklärt, setzt das ARD-Werk auf das Stilmittel investigative Recherche. Hier geht man auch mal zu israelischen oder amerikanischen Geheimdienst-Offizieren oder begleitet einen kritischen Bayern-München-Fan, der gegen die Zusammenarbeit des deutschen Fußball-Abo-Meisters mit dem staatseigenen "Betrieb" Qatar Airways kämpft.

Wer sind die Machthaber in Katar?

Die Familie al-Thani, ursprünglich Beduinen, hält die Macht im Lande seit dem frühen 19. Jahrhundert. Der aktuelle Staatschef heißt Tamim bin Hamad al-Thani und ist 2013 mit 33 Jahren an die Macht gekommen. Während des Ersten Weltkriegs schlossen die al-Thanis Verträge mit England und wurden britisches Protektorat. Seit 1971 ist man unabhängig von Großbritannien. "Die Familie al-Fani dominiert diesen Staat wie keine andere Familie in der Welt einen Staat dominiert", sagt Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik im ARD-Film. Dazu muss man allerdings wissen: Von 2,6 bis 2,9 Millionen Einwohnern nennen sich nur elf Prozent Kataris. Die anderen sind vor allem arme Arbeitsmigranten. Von den rund 300.000 Kataris gehören etwa 60.000 oder 70.000 zur weitläufig verzweigten Familie al-Thani, die fast alle wichtigen Posten in Politik und Wirtschaft besetzt.

Warum ist Katar so reich?

Bevor in Katar Erdöl und das größte Offshore-Gasfeld der Erde gefunden wurde – man muss es sich allerdings mit dem Iran teilen – war der Wüstenstaat bettelarm. Die Erdöl-Reserven des Landes waren jedoch begrenzt. Bereits Anfang der 70-er war der Förderungs-Peak überschritten. 1992 stieg der heutige US-Konzern ExxonMobil im Staate Katar ein und professionalisierte die Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Beim Flüssiggas-Export belegt das winzige Katar mit 20 Prozent Platz 3 der weltweit exportierten Menge. Das Gasfeld gehört zu 100 Prozent der Familie al-Fani. Bundeswirtschaftsminister Habeck war schon zu Besuch und pflegt engen Austausch mit dem Land. Der Grund ist bekannt: Die Kataris sollen russisches Gas ersetzen.

Gleichzeitig betonen Katar-Experten in beiden Filmen, wie bewusst sich das Emirat der Endlichkeit des Reichtums (man belegt mit einem Pro-Kopf-Jahreseinkommen von knapp 100.000 Dollar Platz 3 in der Welt) durch Öl und Gas ist. Deshalb investiert Katar in zahlreiche Unternehmen weltweit. Allein in Deutschland hält der Wüstenstaat bei Volkswagen 17 Prozent der Stimmen, bei der Deutschen Bank sind es 6,1 Prozent. Als "Platinpartner" investiert die Fluglinie Qatar Airways jährlich über zehn Millionen in Bayern München. Siemens gehört zu immerhin drei Prozent Qatar. Und der Fußballclub Paris St. Germain, ist zu 100 Prozent im Besitz des Emirats.

Wie ist die politische Situation in Katar?

Jetzt wird es kompliziert. "Es ist eine Monarchie, keine Diktatur", sagt der ehemalige deutsche Außenminister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel – er kommt in beiden Filmen vor – über das Emirat. Westliche Katar-"Freunde" betonen, dass es im Zuge der Fußball-WM durchaus Fortschritte in Sachen Frauenrechte und der "Modernisierung" des Kafala-Systems (eine Art Leibeigenen-Gesetz) gab, das es reichen Kataris erlaubte, ihre Arbeiter wie rechtlose Sklaven zu halten.

Gleichzeitig ist auch die politische Ausrichtung des Herrscherhauses nicht ganz klar. Einerseits orientiert man sich politisch am Westen, gründete 1996 den renommierten Nachrichtensender Al Jazeera und stellt mit der Al Udeid Air Base Raum für das größte Truppenkontingent der USA im Nahen Osten, etwa 10.000 Soldaten, bereit. Nebenbei wurden 120.000 Zivilisten von Qatar Airways während der Taliban-Machtübernahme in Kabul ausgeflogen. Andererseits unterstützt Katar mit viel Geld islamistische Gruppe wie die Hamas in Gaza oder die Muslimbruderschaft im gesamten Nahen Osten. Im Film wird dies so erklärt: Katar investiert strategisch – vor allem mit Geld – in ganz unterschiedliche Partner, was dem Machterhalt und der Einflussnahme dienen soll. Man muss eben flexibel bleiben, als kleines Land.

(Vom 20. November bis 18. Dezember findet in Katar die Fußballweltmeisterschaft 2022 statt. Acht hochmoderne Stadien wurden dafür errichtet. Allein drei davon direkt in der Hauptstadt Doha.)


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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