"Nichts, was uns passiert": Eine Vergewaltigung im Freundeskreis
In der Romanverfilmung von Bettina Wilpert geht es um eine Vergewaltigung, die viele Fragen offen lässt. Wem kann man glauben? Was ist wirklich geschehen? Heute Abend zeigt das Erste den Film "Nichts, was uns passiert" mit Emma Drogonuva in der Hauptrolle.
"Uns wird als kleine Mädchen immer gesagt: Geh nicht mit fremden Männern mit", sagt Anna (Emma Drogunova, "Wild Republic"): "Offensichtlich ist es das Schlimmste, was einer Frau passieren kann, und trotzdem ist es irgendwie nichts, was uns passiert." Nun aber ist es ihr passiert: Anna wurde von Jonas (Gustav Schmidt) vergewaltigt. Oder war es am Ende anders? "Nichts, was uns passiert" (erstmals im Ersten) ist ein Drama von Julia C. Kaiser (Regie und Buch), das auf dem gleichnamigen Roman von Bettina Wilpert basiert. Wie im Buch bleiben auch im Film bis zuletzt einige Fragen offen.
Wie Anna und Jonas sich kennenlernten
Anna und Jonas lernen sich über ihren gemeinsamen Freund Hannes (Lamin Leroy Gibba) kennen. Wie sie zueinander stehen, wird dem TV-Publikum anfangs nicht ganz klar: Sie teilen ihre Abscheu gegenüber Fußball, streiten aber ebenso leidenschaftlich über die Frage, ob man beim Fußball von "Mannschaften" oder von "Teams" sprechen sollte, denn: "Nur weil sie alle aussehen wie Typen, heißt das nicht, dass sie alle welche sind", sagt Anna. Es sind gesellschaftlich aktuelle Themen wie dieses, die den Schwerpunkt der ersten Filmhälfte ausmachen. Bis über die Vergewaltigung gesprochen wird, ist bereits der halbe Film vorbei.
Zuvor erzählen Anna, Jonas, ihre Freundinnen und Freunde von ihrer Sicht auf die Dinge: Davon, wie sich Anna und Jonas näher kommen, wie ein One-Night-Stand zum Beginn einer Sommeraffäre wird. Getragen werden die fast schon dokumentarischen Szenen von einem grandiosen Hauptcast: Allen voran der Hauptdarstellerin Emma Drogonuva nimmt man jede Sekunde ihres Spiels ab. Die Podcasterin Kelly (Shari Asha Crosson), die die Ereignisse für einen Beitrag recherchiert, ist die einzige Zuhörerin, abgesehen vielleicht von Annas Schwester Daria (Katja Hutko). Sie ist die erste Person, der sich Anna einen Monat nach der Tat anvertraut: "Ich bin kein Opfer", sagt sie, als Daria ihr zur Anzeige rät.
"Tendenz, der Person, die von einer Vergewaltigung erzählt, nicht zu glauben"
Die Aussage steht quasi stellvertretend für die zahlreichen Opfer sexueller Gewalt, die sich davor scheuen, zur Polizei zu gehen: "In vielen Fällen steht Aussage gegen Aussage", sagt Emma Drogunova, die 2019 als European Shooting Star bei der Berlinale ausgezeichnet wurde, im Interview: "Die Anklage wird dann oft fallen gelassen, weil einfach nicht genügend Beweise, Zeuginnen oder Zeugen existieren." Sie kritisiert weiter: "Unsere Gesellschaft hat aus meiner Sicht die Tendenz, der Person, die von einer Vergewaltigung erzählt, nicht zu glauben, sondern die Schuld bei ihr zu suchen." Wichtig wäre, laut der 27-Jährigen, "einen Raum für Betroffene zu schaffen, in dem sie sich sicher und ernst genommen fühlen können". Auch müssten Kinder von klein auf für die eigenen Grenzen und die Grenzen des anderen sensibilisiert werden.
Im Film von Julia C. Kaiser sucht man derartige Lösungsansätze vergeblich, und das ist auch gut so. Denn nur so werden die Zuschauerinnen und Zuschauer selbst gefordert, sich ein eigenes Bild von der Geschichte zu machen: Glauben sie Anna oder Jonas? Und was bedeutet das am Ende?
Nichts, was uns passiert – Mi. 01.03. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH