Beck im Porträt

Zu viele Ideen für ein einziges Leben

von Nadine Wenzlick

Beck Hansen hat "keine Ahnung", ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Aber: Um all seine Songideen zu realisieren, meint er, würden auch 150 Jahre nicht reichen. Obwohl er es also recht eilig haben sollte, macht er beim Interviewtermin in London einen sehr entspannten Eindruck.

Wer in den Achtzigern groß wurde, der erinnert sich wahrscheinlich noch an "Asteroids". In dem beliebten Arcade- und Computerspiel ging es darum, mit einem Raumschiff durch ein Asteroidenfeld zu navigieren und so viele astronomische Kleinkörper wie möglich zu zerstören, bevor man selbst getroffen wird. "Es gab in dem Spiel einen Hyperspace-Knopf. Wenn man ihn drückte, verschwand man und tauchte woanders wieder auf", erinnert Beck sich beim Interviewtermin in London. Der US-Musiker ist gerade erst mit etlichen Stunden Verspätung aus Mailand angekommen, aber trotzdem die Ruhe selbst.

Beck Hansen, so sein bürgerlicher Name, spricht langsam und bedacht, dabei umgibt ihn eine entspannte, fast esoterische Aura. "Ich habe zuletzt viel über Eskapismus nachgedacht, und da fiel mir dieses Spiel wieder ein. Wäre es nicht praktisch, wenn es im echten Leben einen magischen Knopf geben würde, den man immer dann drücken kann, wenn man das Gefühl hat, dass man in einer Sackgasse steckt?" Um verschiedene Formen des Eskapismus geht es nun auch auf Becks 14. Studioalbum, das passenderweise "Hyperspace" heißt und mal wieder völlig anders klingt als alles, was Beck zuvor gemacht hat.

Beck, der Sohn eines Dirigenten und einer Schauspielerin aus dem Umfeld von Andy Warhol, wird nicht ohne Grund immer wieder als Chamäleon des Pops bezeichnet. Seit vor 25 Jahren sein Slacker-Hit "Loser" erschien, hat der 49-jährige Amerikaner sich immer wieder neu erfunden und bewiesen, dass er sich im Anti-Folk genauso wohlfühlt wie im HipHop, Folk-Rock, Blues, Funk, Country oder Pop. Stolze siebenmal wurde er mit einem Grammy ausgezeichnet – zuletzt für seine von Greg Kurstin produzierte Upbeat-Pop-Platte "Colors", die 2017 erschienen.

"Jeder von uns trägt Geister in sich"

Mit "Hyperspace" erfüllte Beck sich nun einen lang gehegten Traum: Er schrieb das Album gemeinsam mit Pharrell Williams. "Als ich Ende der 90-er 'Midnite Vultures' aufnahm, tauchten die Neptunes gerade auf. Ich dachte damals 'Mit denen muss ich unbedingt arbeiten', aber 'Midnite Vultures' war ein sehr polarisierendes Album – die einen mochten es, andere haben es gehasst. Danach hatte ich das Gefühl, dass ich in eine komplett andere Richtung gehen muss, also machte ich 'Sea Change'", erzählt Beck. "Die Neptunes waren in der Zwischenzeit so erfolgreich geworden und hatten mit so vielen Künstlern gearbeitet, dass es irgendwie zu spät schien – aber alle paar Jahre überkam mich das Gefühl, dass es eine vertane Chance war. Also habe ich Pharrell nun einfach angerufen."

Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist ein Album, dessen Stil man am ehesten als Urban Folk bezeichnen könnte: Vom sphärischen Intro über das überdrehte Stück "Saw Lightning" und den eher sanften Track "See Through" bis zu der mit Flöten verzierten Ballade "Everlasting Nothing" treffen Gitarren-Folk auf elektronische Produktion, warme Synthies und Drum-Machines. Wie schafft Beck es, auch nach so vielen Jahren immer noch neue Sounds zu finden? "Ich habe einfach unendlich viele Dinge in meinem Kopf, die ich machen will. In meinem Studio liegen Hunderte Songideen herum. Es ist absolut unmöglich, dass ich die in diesem Leben alle fertigstelle – außer ich werde 150. Dann komme ich vielleicht mit zwei Dritteln durch", lacht er. Dabei ist Pharrell Williams, der an sieben der elf neuen Tracks mitwirkte, übrigens nicht der einzige namhafte Kollaborateur. Auf "Die Waiting" ist die amerikanische Sängerin Sky Ferreira zu hören, auf dem Titeltrack der Rapper Terrell Hines, und "Stratosphere" glänzt mit Hintergrundgesang von Coldplay-Sänger Chris Martin.

Textlich beschreibt jeder Song eine andere Art und Weise, wie Menschen "hyperspacen", also dem Alltag entfliehen oder Ablenkung suchen. "Eskapismus kann man ja auf unterschiedliche Art und Weise definieren", weiß der Musiker, der im Künstlermilieu von Los Angeles aufwuchs. "Wir alle sind ständig auf der Suche nach Dingen, die uns helfen zu flüchten oder die uns ablenken - denn wir alle haben in unserer Vergangenheit Drama und Scheitern erlebt. Jeder von uns trägt Geister und Schmerz in sich", erklärt Beck. "Ich dachte bei diesem Album über all die Dinge nach, zu denen wir uns hingezogen fühlen. Das kann Geld sein, eine Beziehung, Drogen, Sex oder Religion. Ich sehe es nicht als Schwäche, sondern es ist menschlich."

Das endlose Nichts?

So geht es in "Chemical" um die Liebe, in "Saw Lightning" um Religion und in "Uneventful Days" um jemanden, der plötzlich alleine ist und sich nach Gesellschaft sehnt. "'Stratosphere' hingegen ist ein Song über jemanden, den ich an Heroin verloren habe. Er starb sehr jung", erläutert Beck. "Drogen sind für manche ein Weg, der Realität zu kommen. Sie bringen einen an diesen Ort, wo man über allem schwebt – aber man spielt auch mit dem Leben. Ich wollte, dass der Song dem Rechnung trägt, aber ohne es zu verurteilen."

Zu Ende geht das Album schließlich mit "Everlasting Nothing", einem Stück über den Tod. "Ich finde, dass er gut an das Ende des Albums passt. Bei all den Kämpfen und all den Hochs und Tiefs, die wir im Leben mitnehmen, sind wir am Ende alle sterblich, und wir können nichts mitnehmen", erklärt Beck. "Von mir aus können die Leute an ein Leben nach dem Tod oder Wiedergeburt glauben. Ich persönlich habe keine Ahnung, was mit uns passiert, aber für den Fall, dass da wirklich einfach ein endloses Nichts auf uns wartet, ist es vielleicht eine gute Idee, den Moment zu genießen. Wie viele Menschen, die ich kenne, tendiere auch ich dazu, immer zum Nächsten zu hetzen. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Karriere sei ein Truck, der mit voller Geschwindigkeit den Highway hinunterfährt, während ich ihm hinterherrenne und aufzuspringen versuche. Es bedeutet viel Arbeit, den Moment wertzuschätzen – aber das ist alles, was wir haben."


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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