Charité-Schauspielerin

Nina Gummich: "Großes Schauspiel hat oft auch mit Zufall zu tun"

von Eric Leimann

In der dritten Staffel der ARD-Serie "Charité" wird Geschichte greifbarer, wie Nina Gummich im Interview erklärt. Die neuen Folgen spielen zur Zeit des Mauerbaus 1961.

Wer mit 29 Jahren sein 20-jähriges Berufsjubiläum feiert, ist wohl einer der jüngsten alten Hasen im deutschen Schauspielgeschäft. Wobei der Begriff "Geschäft" im Zusammenhang mit dem besonderen Spiel der Nina Gummich irgendwie fehl am Platze scheint – ihre Auftritte haben fast immer etwas von einem Naturereignis. Die Tochter von Regisseurin Anne-Kathrin Gummich und Ziehvater Hendrik Duryn ("Der Lehrer", RTL) war schon als Kind regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Über Jugendrollen arbeitete sie sich anschließend ins junge Erwachsenenfach vor. Im letzten Jahr konnte man sie unter anderem in renommierten Produktionen wie "Babylon Berlin", "Unterleuten – Das zerrissene Dorf" und nun als Hauptdarstellerin der neuen "Charité"-Staffel sehen – die historische Krankenhausserie wird am Dienstag, 12. Januar, 20.15 Uhr, im Ersten fortgesetzt. 2021 zumden soll eine neue ZDF-Krimireihe mit ihr als junger Gerichtsmedizinerin starten. Ein Gespräch über den besonderen Serienkosmos "Charité" und Nina Gummichs intensives Schauspiel, das manchmal die Grenzen zur Realität überschreitet.

prisma: "Charité" erzählt in jeder Staffel eine neue Zeit mit neuen Charakteren. Gibt es überhaupt eine Konstante in dieser Serie – außer dem Krankenhaus?

Nina Gummich: Ja, den Kameramann Holly Fink. Er ist meines Wissens die einzige Person unter dem kreativen Personal, die bis jetzt an allen Staffeln beteiligt war. Er kennt sich auch im Gebäude am besten aus. Eigentlich kennt er jedes Zimmer. Wenn wir bestimmte Szenen drehen, sagt er Dinge wie: "Hier stand vor drei Jahren Mala Emde oder davor Alicia von Rittberg." Das führt uns zu einer anderen Konstante. Es gibt immer eine junge Frauenfigur, durch deren Augen der Zuschauer auf diesen medizinischen und menschlichen Kosmos Charité blickt.

prisma: Die neue Staffel spielt 1961, zur Zeit des Mauerbaus. Worin liegt der besondere Reiz dieser Zeit?

Nina Gummich: Zum einen lag die Charité genau auf der Grenze. Man hatte dort quasi einen Logenplatz bei der deutschen Teilung. In dieser Staffel berichten wir erstmals aus einer Zeit, an die sich Menschen noch erinnern können. Geschichte wird greifbarer. Nur ein Beispiel: Für meine aktuelle Rolle, eine ungewöhnliche Gerichtsmedizinerin, habe ich gerade eine Einführung vom Lehrstuhlinhaber der Charité-Rechtsmedizin, Michael Tsokos, bekommen. Er hat mir dann erst mal erzählt, dass er der Nachfolger von Otto Prokop ist, den wir in der Serie erzählen. Das ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man plötzlich so dicht an der Geschichte dran ist.

prisma: Zwischen Prokop und Tsokos als Institutsleiter liegen gerade mal 20 Jahre. Trotzdem wirkt diese Staffel insgesamt weiblicher als die anderen.

Nina Gummich: Es könnte daran liegen, dass mit Christine Hartmann in Staffel drei zum ersten Mal eine Frau Regie führte. Außerdem wurden in Staffel drei zwei weibliche Hauptfiguren erzählt. Früher waren es meist ein Arzt sowie eine junge Frau, die staunend in der Charité ankam. Dieses Mal gibt es neben meiner Rolle die von Nina Kunzendorf. Sie spielt die bekannte Kinderärztin Ingeborg Rapoport. So etwas ist natürlich nur möglich, weil wir mittlerweile aus der DDR und einer neuen Zeit erzählen, in der Frauen erstmals in der Charité-Geschichte auch in führende Positionen vordringen konnten.

prisma: Ingeborg Rapoport ist auch erst 2017 mit 104 Jahren gestorben ...

Nina Gummich: Ihre Geschichte hat mich auch sehr begeistert. Weil sie Halbjüdin war, hatte ihr Nazi-Deutschland ihre Promotion verweigert. Sie ist dann in die USA geflohen, wo sie als Kommunistin verfolgt wurde. 2015 hat sie ihre Doktorarbeit von 1937 im Alter erfolgreich verteidigt und bekam nach 77 Jahren ihre Promotionsurkunde überreicht. Sie ist mit 102 Jahren der bislang älteste Mensch, der jemals ein Promotionsverfahren abgeschlossen hat.

prisma: Hat der Mauerbau 1961 die Arbeit an der Charité verändert?

Nina Gummich: Ja, ziemlich einschneidend sogar. Im Vorfeld verschwanden viele Mitarbeiter gen Westen. Es gab extreme Personalengpässe, von denen auch die Serie erzählt. Außerdem wurde die Mauer mitten durch das Gelände gebaut. Ein Gebäude lag sogar vollständig im Westen. Es kam zu Notsituationen, weil es zu lange dauerte, bis Patienten oder Medikamente von einem Teil der Klinik in den anderen gebracht werden konnten. Im Prinzip passierten Geschichten, die man sich gar nicht ausdenken kann – so absurd und dramatisch waren sie.

prisma: Ein Erfolgsrezept der Serie ist das Erzählen bahnbrechender mediziner Erfindungen. Welche gab es um 1961 herum an der Charité?

Nina Gummich: Das Forschungsinteresse meiner Figur, die ja fiktiv ist, besteht in der Krebsfrüherkennung. Tatsächlich versuchte man damals, über den Vergleich von Blutproben die Entstehung von Krebs praktisch vor dem Ausbruch zu erkennen. Die Forschungen blieben leider ohne bahnbrechendes Ergebnis, aber die Geschichte ist auf jeden Fall historisch. Dann greift die Staffel das Thema Transgender oder damals "Zwitter" auf. Für mich als jemanden aus einer Generation, in der das Thema endlich die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, ist es erschreckend zu sehen, wie unbeholfen und seltsam man damals damit umgegangen ist. Uwe Ochsenknecht spielt Professor Helmut Kraaz, den es ebenfalls wirklich gab, und der dann sagt: Wir können diesem Menschen helfen und sein Geschlecht in die gewünschte Richtung umwandeln. Das ist ein Serienmoment, da läuft es mir vor Rührung eiskalt den Rücken herunter.

prisma: Kommen wir von "Charité" zu Ihnen. Sie haben sehr jung mit dem Schauspiel angefangen.

Nina Gummich: Ja, mit neun Jahren. Ich habe jetzt 20-jähriges Schauspieljubiläum.

prisma: Sie wuchsen als Kind zweier Schauspieler und Regisseure auf. Zweifelt man in so einem Fall automatisch niemals an der Berufswahl?

Nina Gummich: Ich hatte ein kurzes Aufbegehren in der Pubertät, weil alle Verwandten immer nur zu mir sagten: "Bei dir ist es ja eh klar, du wirst Schauspielerin." In dieser Phase wollte ich Psychologin werden. Danach ging es in Richtung Veranstaltungsmanagement. Meine letzte Idee war danach, Journalistin zu werden. Nach drei Wochen Praktikum beim Stadtmagazin Kreuzer in Leipzig verabschiedete mich der Chef mit den Worten "Tschüss, Nicole". Da zweifelte ich dann doch daran, ob ich für diesen Beruf beeindruckend viel Talent mitgebracht hätte ... (lacht).

prisma: Bei Ihnen fällt auf, dass Ihre Figuren immer sehr authentisch wirken. Selbst in Produktionen, die es selbst nicht sind. Gibt es dafür ein Geheimrezept?

Nina Gummich: Bevor ich in Leipzig auf der Schauspielschule war, hat mich mein Stiefvater Hendrik Duryn gecoacht. Er arbeitete mit mir, als ich noch wirklich jung war, indem er mir Zeilen vorsagte und ich sollte sie nachsprechen. Damals fiel schon allen auf, dass die Zeilen immer irgendwie verändert habe und ihnen etwas Eigenes mitgegeben habe. Ich weiß es nicht, vielleicht ist es einfach eine Veranlagung, dass ich jeden Satz zu meinem machen will. Es klang für die Erwachsenen auf jeden Fall nie so, als hätte ich etwas nachgesprochen.

prisma: Ist Ihnen immer klar, wann sie spielen und wann nicht?

Nina Gummich: Für mich ist es das schon, denke ich. Auf andere wirkt das aber wohl nicht immer so. Erst gestern sagte mir eine Regieassistentin, die neu zu uns ans Set gekommen ist, dass sie nicht immer weiß, wann ich spiele und was jetzt privat war. Ich denke, es ist einerseits eine große Spiellust bei mir da. Andererseits bin ich als Mensch immer auf der Suche nach dem Authentischen. Mein Ziel ist, sehr präsent im Moment zu sein. Vielleicht ist das mein schauspielerisches Geheimnis. Ich bin nicht immer wie ein Einser-Schüler auf Rollen vorbereitet, weil ich dem Moment, der beim Spielen entsteht, auch eine Chance geben will.

prisma: Gibt es diesen "Moment" denn auch immer – und schafft er genug Inspiration?

Nina Gummich: Meryl Streep hat mal gesagt, dass wir im Prinzip jede Gefühlsregung, jeden Ausdruck in uns tragen. Dass es im Prinzip nur darum geht, die innere Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Das spricht mir aus der Seele. Ich versuche immer, den Moment einer Szene voll zu erspüren und ganz dort zu sein. Natürlich gibt es auch Situationen, da will ein Schauspielpartner etwas durchziehen, dass er sich vielleicht mit seinem Coach lange erarbeitet hat. Manchmal passt es dann einfach nicht. Großes Schauspiel hat oft auch mit Zufall zu tun. Magische Momente entstehen, wenn die Energie verschiedener Darsteller in einer Szene auf eine tolle Art und Weise zusammenkommen.

prisma: In Serien wie "Charité" oder "Das letzte Wort" spielten Sie zuletzt Hauptrollen. Dafür waren es für einige Jahre davor meist prägnante Nebenrollen. Kamen die Hauptrollen automatisch – oder mussten Sie die einfordern?

Nina Gummich: Einfordern kann man Hauptrollen leider nicht (lacht). Erfolg hat in meinem Beruf auch abseits jeglicher Begabung immer mit Glück zu tun. Ich habe dennoch irgendwie gespürt, dass meine Zeit in Sachen Hauptrollen noch kommt. Natürlich war das nur ein Gefühl, aber es war so klar und fest, dass das Leben es dann vielleicht so wahr gemacht hat.

prisma: Also war doch alles Zufall – oder hat man ihr Talent in den Nebenrollen erkannt?

Nina Gummich: Vielleicht ein bisschen beides. Ich habe immer ein Jahresend-Gespräch mit meiner Agentin, in dem wir festgestellt haben, dass ich im letzten Jahr zehn Nebenrollen gespielt hatte. Einige größere und einige kleinere. Da haben wir beschlossen, dass wir das im neuen Jahr ausdünnen und ich mich auf zwei größere Sachen konzentriere. Das hat tatsächlich geklappt. Im Nachhinein muss ich jedoch auch über unseren Plan lachen. Man kann so etwas gar nicht planen, als wäre man ein Wirtschaftsmanager.

prisma: Stehen Sie für einen neuen Frauentyp?

Nina Gummich: Ich stehe erst mal für mich. Wenn Sie aber meinen, dass Frauen mit großer Klappe und viel Power gerade mehr in Mode kommen, würde ich auf jeden Fall zustimmen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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