"In aller Freundschaft"-Schauspieler

Thomas Rühman: "Arzt wäre nichts für mich gewesen"

von Eric Leimann

Am 26. Oktober 1998 flimmerte die erste Folge "In aller Freundschaft" über den Fernsehbildschirm. Wer hätte damals gedacht, dass sich die – aus heutiger Sicht – eher konventionell gedachte ARD-Krankenhausserie zum Dauerbrenner und Quotengiganten entwickeln würde – sozusagen einer Erfolgsgeschichte Ost?

Sicher nicht Thomas Rühmann, früher renommierter Theatermime in der DDR, der als Arzt an der fiktionalen Sachsenklinik seit Anbeginn Dienst schiebt. Auf den Tag genau 20 Jahre nach dem Seriendebüt feiert nun ein Special in Spielfilmlänge das Jubiläum ("In aller Freundschaft – Zwei Herzen", Freitag, 26.10., 20.15 Uhr, ARD). Thomas Rühmann, 63, erinnert sich an vieles, was war. Und er denkt an das, was noch kommen könnte.

prisma: Sie fingen vor 20 Jahren als Schauspieler in der Sachsenklinik an. Wie lange, dachten Sie damals, würden Sie den Job machen?

Thomas Rühmann: Vielleicht ein halbes Jahr oder eins? Ich weiß es nicht. Als Schauspieler ist man immer froh, wenn man weiß, wie man über die nächsten Monate kommt. Schon als wir das zehnjährige Jubiläum feierten, dachte ich: Das ist ja ein Wahnsinn! 20 Jahre kommen mir jetzt schon fast unglaublich vor.

prisma: Sind Sie ein Sicherheitstyp, der sich viele Sorgen um die Zukunft macht?

Rühmann: Ich stamme aus einer Großfamilie, wir waren sieben Kinder. So etwas prägt. Ich lebe gerne in Familien. "In aller Freundschaft" hat etwas Familiäres. Davor war ich lange Zeit am selben Theater – zehn, elf Jahre am Maxim-Gorki in Berlin. Auch mein eigenes Theater im Oderbruch führe ich mit meinem Partner Tobias Morgenstern seit 20 Jahren. Offenbar bin ich wirklich jemand, der Sicherheit mag – und Wiederholung.

prisma: Reden wir nicht eher von Beständigkeit?

Rühmann: Vielleicht besitze ich einen Instinkt für Lebenskonstellationen. Ich spüre, wenn ich etwas Wertvolles habe, das man nicht verletzen sollte. Außerdem spiele und arbeite ich gerne. Wenn ich arbeite, tue ich das gerne angstfrei. Beides ist mir in meinem Leben vergönnt, insofern bin ich ein zufriedener Mensch.

prisma: Eine Serie, die seit 20 Jahren erfolgreich läuft, bietet ja tatsächlich Sicherheit. Was würde Ihnen zum Beispiel Angst machen?

Rühmann: Wenn ich in einer anderen Produktion drehe, fühle ich mich zumindest am ersten Drehtag so wieder so, als wäre ich ein ganz junger Schauspieler. Man kennt das Team nicht, die Kollegen und den Regisseur. Man ist unsicher mit der eigenen Figur. Angst ist vielleicht ein zu starkes Wort. Aber ich schätze das Gefühl, mich sicher zu fühlen. Seit 1995 bin ich nicht mehr fest am Theater. Damals war ich zweifacher Vater und musste meine Familie auch ernähren. Aber ich erinnere mich, dass ich erstaunlich cool geblieben bin.

prisma: Wie meinen Sie das?

Rühmann: Nun, es gab Zeiten, da war klar: Die nächsten drei Monate hast du keinen Job. So etwas muss man als Schauspieler aushalten. Ich bin dann zum Arbeitsamt gegangen. Auch das gehört zu diesem Job dazu, man muss diese Phasen und Gänge aushalten.

prisma: Warum haben Sie überhaupt am Theater aufgehört?

Rühmann: Ich habe nicht freiwillig aufgehört. Es kam der erste Westintendant, der wollte erst mal alles Alte entsorgen. Doch es war gut, dass er mich rausgeschmissen hat, im Nachhinein betrachtet. Es war eine Veränderung, die ich vielleicht brauchte. Ich war damals etwa 40. Das Gute an der folgenden Zeit war, dass ich merkte, dass ich im reiferen Alter zulegen kann.

prisma: Inwiefern?

Rühmann: Ich spüre bis heute – oder gerade heute – eine gute Energie im Leben. Seit 20 Jahren spiele und leite ich ein kleines Theater im Oderbruch, das wir selbst gebaut haben. Dort spielen wir ambitionierte Produktionen wie "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler. Dazu bringe ich gerade mit meiner Band unser erstes Album "Richtige Lieder" raus. Ich habe noch richtig viel Lust auf Kunst. Das ist nicht schlecht für einen 63-Jährigen – so energetisch betrachtet (lacht).

prisma: Betrachten Sie "In aller Freundschaft" als Kunst?

Rühmann: Nicht nur, aber auch. Es ist ja so, dass meiner Rolle, aber auch mir selbst, ab und zu Dinge passieren, die alle Uhren auf null stellen. Als Hendrikje Fitz starb, war das sehr hart für mich. Sie war nicht nur meine Serien-Ehefrau, sondern auch eine sehr gute Freundin. Wir haben uns damals wirklich Mühe gegeben und sehr ordentliche drei Folgen gedreht, die diesen Verlust bearbeiteten. Das Absurde ist ja: Wir spielen das Schrecklichste und es macht trotzdem noch Spaß. Ich finde, man kann auch in einer solchen Serie die großen Dinge des Lebens – wie solche Verluste – seriös, würdevoll und auch künstlerisch gut bearbeiten.

prisma: Ihre Rolle hat den Verlust der Lebenspartnerin damals eher verdrängt ?

Rühmann: Ja, wie es viele Menschen auch in der Realität tun. Sie stürzen sich in Arbeit, vernachlässigen ihre eigene Trauer und die ihrer Familie. Das war gut zu spielen damals, in all der die Situation missachtenden Tragik. Die "In aller Freundschaft"-Autoren schaffen es immer wieder, mir Dinge zu schreiben, die ich wirklich als stark und herausfordernd empfinde. Das nenne ich dann auch Kunst. Trotzdem – in einer solchen Serie gibt es auch Zeiten und Passagen, da schwimmt man als Figur eher mit. Es hat dann etwas von Routine. Trotzdem muss man es gut machen ...

prisma: Es gibt Schauspieler, die suchen genau jene Herausforderung – sich immer wieder unsicher zu fühlen.

Rühmann: Zu denen gehöre ich wahrscheinlich nicht. Ich arbeite am liebsten in Sicherheit und schätze das familiäre Vertrauen am Set. Ich kenne aber auch Kollegen, die hielten es nicht lange bei uns aus. Denen ging genau das gegen den Strich. Oder es war ihnen zu viel an Knochenarbeit. Wir drehen schon recht viel in kurzer Zeit. So etwas muss man mögen.

prisma: Wie ist Ihr Arbeitsrhythmus?

Rühmann: Wir drehen das ganze Jahr über. Nur im Sommer gibt es eine Pause – und eine kleinere Unterbrechung über Weihnachten. Ansonsten wird von Montag bis Freitag gearbeitet. Natürlich ist man als Schauspieler nicht jeden Tag dran, das macht es erträglich. Wenn man fünf Tage lang dreht und in jeder Szene ist, was mir ab und zu passiert, hat man am Ende einer solchen Woche alle Kraftreserven aufgebraucht. Solche Drehs sind aber Gott sei Dank ganz selten.

prisma: Wie lang ist so ein Drehtag?

Rühmann: Für Schauspielerinnen ist er länger. Die Frauen müssen gegen 7 Uhr in die Maske. Bei mir dauert es dagegen nur fünf Minuten. Gedreht wird dann von 9 Uhr bis offiziell 19.30 Uhr. Allerdings wird öfter bis 20 oder 21 Uhr überzogen.

prisma: Haben 20 Jahre "In aller Freundschaft" dazu geführt, dass Sie selbst ein halber Mediziner geworden sind?

Rühmann: Nein. Mein Interesse für Medizin ist nicht so groß wie bei Heilmann. Ich bin auch nach 20 Jahren absoluter Laie geblieben. Das ist einfach so und auch richtig. Was ich in den 20 Jahren aber lernte, ist, was für ein harter und verantwortlicher Beruf das ist: Arzt. Ich habe allerdings auch gelernt, dass er nichts für mich gewesen wäre.

prisma: Warum?

Rühmann: Ich könnte mit der Verantwortung nicht umgehen. Ärzte treffen Entscheidungen, die auf direktem Wege über Leben und Tod von Menschen entscheiden. Das könnte ich in meinem Gewissen nur schwer zurechtrücken. Es ist mir klar, jemand muss diese Entscheidungen treffen, deshalb habe ich höchsten Respekt vor dieser Arbeit. Ich könnte sie aber nicht erledigen. Geklärt habe ich das relativ zeitig in meinem Leben, weil ich ein Praktikum im Krankenhaus gemacht hatte. Damals spielte ich tatsächlich mit dem Gedanken, einen medizinischen Beruf zu ergreifen. Es war schnell klar, dass ich da einer – für mich – falschen Idee nachstieg.

prisma: Spüren Sie in sich noch künstlerische Ziele?

Rühmann: Ich bin Realist genug, um zu wissen: Meine Zeit ist begrenzt. Und damit meine ich noch nicht mal die Jahre, die mir bleiben, sondern einfach meinen jetzigen Alltag. Mit der Serie und etwa 80 Vorstellungen, die ich im eigenen Theater spiele, bin ich ziemlich ausgefüllt. Ich lebe bei Leipzig und fahre etwa 270 Kilometer zur jeder Vorstellung im Oderbruch. Das letzte Mal als ich für eine andere Fernsehproduktion vor der Kamera stand – ich glaube, es ist etwa zwei Jahre her. Doch so ist es in Ordnung für mich. Das Theater und die Musik sind meine künstlerischen Spielwiesen. Alles zusammen ergibt ein reichhaltiges, wunderbares Leben.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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