Krimi im Ersten

Lena-Odenthal-Tatort: Die Stadt und der Lu

11.12.2015, 12.38 Uhr
von Detlef Hartlap
Jürgen Vogel ist im "Tatort: LU" als Geldeintreiber namens Lu Wolff zu sehen.
BILDERGALERIE
Jürgen Vogel ist im "Tatort: LU" als Geldeintreiber namens Lu Wolff zu sehen.  Fotoquelle: SWR/Alexander Kluge

Hätte mir je jemand prophezeit, dass ein Tatort aus Ludwigshafen zu den besten des Jahres gehörte, ich hätte gelacht. Und nun? Der Lena-Odenthal-Tatort LU ist stimmig, spannend, bestens getimed und voller Atmosphäre. Ich lache nicht, ich ziehe den Hut.

Ein Mann ist zurück in Ludwigshafen, Lu Wolff, ein Geldeintreiber, der möglicherweise mit einem Mord vor 15 Jahren zu tun hatte und möglicherweise auch mit einem Mord, der aktuell untersucht wird.

Jürgen Vogel spielt diesen Lu Wolff. Vogel ist einer von vier Gründen, warum dieser Tatort aus der Masse herausragt. Wie er sich durch die Stadt bewegt, federnd, geschmeidig, energiegeladen und selbstgewiss, das steht in allerfeinster James Cagney-Tradition. Seinen ersten Auftritt in diesem Film hat er, als er an den Kontrollen vorbei im Büro eines leitenden Angestellten des örtlichen Chemiekonzerns auftaucht. Wie aus dem Nichts ist er da, will das Geld zurück, das Dr. Mark Moss (Christoph Bach) ihm schuldet.

Vogel alias Lu Wolff tanzt den ganzen Film über auf dem schmalen Grat von Freiheit und Inhaftierung. Die ihn beschattenden Kriminalbeamten (Lisa Bitter, Andreas Hoppe) schüttelt er spielend ab, immer ein Lächeln im Gesicht, das gerade darum überzeugt, weil es kein fieses oder triumphierendes oder überlegenes Schauspielerlächeln ist, sondern das innerliche Grinsen eines Gangsters. Vogel ist Lu Wolff, und Lu Wolff ist echt.

Lu Wolffs wichtigster Partner

Der zweite Grund für die Qualität des Tatorts ist – LU. Das Autokennzeichen von Ludwigshafen weist auf Lu Wolffs wichtigsten Partner hin, eine Stadt in ständigem Umbau, zersetzt von Zweck- und Protzbauten, die nur von einem Stadtrat unter Crystal Meth genehmigt worden sein können. John Lennon fällt einem ein, wenn er heiser und verzweifelt seinen Song "Steel and Glass" ins Mikrofon brüllt, wobei das Wort "Beton" für Ludwigshafen noch hinzufügen wäre.

Zwischen Treppen, die nirgendwo hinzuführen scheinen, in menschenleeren Unterführungen, in verlassenen Glaspalästen ("Tortenschachtel" sagt man, glaube ich, in Ludwigshafen zu einem von ihnen) lauern immerzu Einsamkeit, Düsterkeit, Drogentod.

Drogen waren es auch, die 15 Jahren den Ausgangspunkt für das heutige Geschehen bildeten. Ein Drogendeal, eine Party, die aus dem Ruder lief, aufschäumende Wut, die in Vernichtungswillen mündete. Das Übliche halt. Nur dass es selten so kommt, dass ein Betroffener – halb Täter, halb Opfer – nach 15 Jahren wohlgemut zurückkehrt. Und dass anderer Beteiligter in der Zwischenzeit in seinem Konzern Karriere gemacht hat und auf dem Sprung in den Vorstand steht.

Auf das Bauchgefühl vertrauende Ermittlerin

Der dritte Grund ist Ulrike Folkerts, der in ihrem verständlichem Bestreben, aus dem Mief der Rheinland-Pfalz-Tatorte auszubrechen, manches aufgebürdet wurde: ein Burn-out, eine halbgare Beziehung zu einem psychologischen Helfer, ein Zickenkrieg mit Kollegin Johanna Stern und so weiter.

Regisseur Jobst Christian Oetzmann nimmt Ulrike Folkerts und ihre Fähigkeiten ernst. Sie ist keine Folklore-Mamsel und keine überstresste Polizistin. Sie beziehungsweise Lena Odenthal ist eine gute, im Dienst verhärtete, aber immer noch ihrem Bauchgefühl vertrauende Ermittlerin von großer Erfahrung. An einem Schauplatz, der mit Weinberg- und Pfälzerwald-Romantik nichts zu tun hat. Den Lu Wolff schnappt sich Odenthal gleich einmal, auch wenn sie ihm nichts anhaben kann. Ihr Gefühl sagt, dass da doch was im Schwange ist, und die beiden spielen ein bisschen Katz und Maus miteinander, Vorteil Wolff.

Seinen Wissensvorsprung wird Lena Odenthal bis zum Ende der Folge nicht ganz einholen, aber es macht Spaß, den beiden zuzusehen. Lu Wolff ist echt, das muss auch Lena Odenthal anerkennen. Er fasziniert sie.

Vierter Grund? Gut besetzte Rollen um Folkerts/Vogel herum. Christoph Bach spielt den Chemie-Aufsteiger Dr. Mark Moss brillant; Ingrid van Bergen (84) gibt mit spürbarer Freude eine Puffmutter in Rente und hat nicht die geringste Scheu, wie ein Reptil aus früheren (besseren?) deutschen Filmzeiten in die Kamera zu gucken.

Und Henrik Heutmann legt in seiner Rolle als Michi eine Studie menschlicher Verwüstung hin, die man mit einer Mischung aus Abstoßung und Mitleid betrachtet. Michi war bei jedem Drogenvorfall vor 15 Jahren schwer in Mitleidenschaft gezogen worden und lebt seither als Krüppel. Als Lu Wolff ihn in seiner Anstalt besucht, geht für Michi die Sonne auf. Lu Wolff wird ihm helfen. Der Typ ist echt.  

 

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