Olympia 2022 in Peking

ZDF-Reporterin Lena Kesting: "Spazierengehen ist verboten"

ZDF-Sportjournalistin Lena Kesting erlebt in Peking bereits ihre zweiten Olympischen Spiele. Mit welchen Gefühlen sie nach China gereist ist, berichtet die Reporterin im Interview.

Vom 4. bis 20. Februar finden in Peking und in zwei Skigebieten im Dunstkreis der chinesischen 21-Millionen-Metropole die wohl umstrittensten Winterspiele der olympischen Geschichte statt. Im besonderen Fokus steht das sportliche Großereignis zum einen wegen der nach wie vor grassierenden Corona-Pandemie, aber auch wegen eines autoritären Regimes, das die Spiele zur Machtdemonstration nutzen will – inklusive eines rigiden Kurses der Abschottung und Isolation von Infektionsfällen. Lena Kesting, 1994 am Niederrhein geboren und seit Herbst 2020 das Sportgesicht des ZDF-Morgenmagazins, begleitet die alpinen Skiwettbewerbe vor Ort als Reporterin. Im Interview erklärt die ehemalige Leistungsschwimmerin, wie seltsam der Alltag von Journalisten in Peking aussehen wird und welche Fallstricke ihre dreiwöchigen Mission mit sich bringt.

prisma: Wie speziell sind die Vorbereitungen auf Olympische Winterspiele unter Corona-Bedingungen in Peking?

Lena Kesting: Ziemlich aufwendig und besonders, würde ich sagen. Selbst wenn man den Aufwand mit Tokio im vergangenen Jahr vergleicht, wo ja auch schon Corona herrschte. In China kommt die politische Situation hinzu und man stellt sich Fragen wie: Nehme ich mein eigenes Handy mit? Es gibt zum Beispiel eine chinesische App, die man sich schon zwei, drei Wochen vor den Spielen runterladen muss, um den eigenen Gesundheitsstatus zu "tracken". Generell stellt sich die Frage: Wie intensiv werde ich dort überwacht? Und natürlich auch: Was passiert, wenn ich mich infiziere?

prisma: Was müssen Sie denn mit der chinesischen App "tracken"?

Lena Kesting: Zum Beispiel, ob man Fieber hat oder sonstige Beschwerden. Ich würde so etwas ungern auf meinem privaten Handy mitlaufen haben.

prisma: Wie üblich bei sportlichen Großereignissen seit Pandemie-Beginn wird mit deutlich kleinerem TV-Team gereist. Wie viele ZDF-Mitarbeitende sind in China vor Ort und wie wird Ihr Alltag dort aussehen?

Lena Kesting: Ich glaube, vom ZDF werden etwa 50 bis 60 Leute in China sein, inklusive Technikerinnen und Techniker. Ich werde die ganze Zeit außerhalb von Peking an der Wettkampfstätte der alpinen Skidisziplinen verbringen. Außerdem befinden sich dort noch die Eiskanäle für Rodel und Bob. Mein Alltag wird so aussehen, dass ich nur im Hotel, in den Wettkampfstätten und im offiziellen Shuttle-Fahrzeug zwischen diesen Orten sein darf. Spazierengehen oder sonstige Aktivitäten außerhalb des Hotels sind verboten.

prisma: Hat man Sie als Journalistin auf diese Situation vorbereitet?

Lena Kesting: Wir haben vom ZDF frühzeitig das sogenannte "Playbook" zum Turnier bekommen. Darin stehen alle Regel, die in China eben sehr speziell und streng sind. Es ist auch als Entscheidungsgrundlage gedacht, damit man weiß, was auf einen zukommt und ob man sich so etwas vorstellen kann. Man muss sich auf ein Turnier ohne Sightseeing, Shopping oder Spaziergänge einstellen. Drei Wochen mit sehr stark eingeschränkten sozialen Kontakten. Mit den Sportlerinnen und Sportlern wird man nur in der Mixed Zone – mit Abstand – reden können.

"In Peking endet die Quarantäne über die gesamte Zeit nicht"

prisma: Abseits von der politischen Situation – inwiefern ist Olympia in Peking härter als Olympia in Tokio?

Lena Kesting: In Tokio gab es eine zweiwöchige Quarantäne. Danach durfte man sich frei draußen bewegen. Selbst innerhalb der zweiwöchigen Quarantäne durfte man pro Tag 15 Minuten nach draußen. Zum Beispiel, um sich im Supermarkt Essen oder mal ein Bier zu kaufen. In Peking endet diese Quarantäne über die gesamte Zeit nicht. Man darf sich nur an offiziellen Orten aufhalten und wird jeden Tag getestet.

prisma: Wie eingeschränkt werden Ihre Kontakte sein?

Lena Kesting: Das ist noch ein ziemliches Rätsel. Es heißt, dass wir Journalisten freies Internet zur Verfügung haben werden, aber das bleibt abzuwarten. Was definitiv wegfällt, sind Hintergrund-Interviews oder einfach mal der persönliche Austausch mit Sportlern oder anderen Journalisten. Wenn etwas geht, dann nur digital. Bleibt also zu hoffen, dass das Internet wirklich "frei" sein wird, denn über die sozialen Netzwerke gibt es ja heute recht viel Aktivität der Sportler selbst.

prisma: Was passiert, wenn man sich auf der Reise oder vor Ort mit Corona ansteckt?

Lena Kesting: Das ist der große unbekannte Faktor in diesem Spiel. Man wird isoliert werden, zunächst im Hotel und dann bei einem zweiten positiven Test auf einer Quarantäne-Station. Bei Symptomen muss man dann in ein chinesisches Krankenhaus – selbst, wenn es nur leichte Symptome sind. Angeblich sollen wir auch für die Isolation im Hotel englischsprachiges Personal und freies Internet zugesichert bekommen haben. Es gab jedoch Test-Wettkämpfe in Peking, wo sich zum Beispiel die deutschen Rodler massiv über die Zustände beschwert haben. Auch über den Umgang mit ihnen. In diesem Punkt soll nachgebessert worden sein ...

prisma: Können Sie noch mal sagen, was da passiert ist?

Lena Kesting: Da gab es die Situation, dass Rodlerin Natalie Geisenberger in Quarantäne musste, weil sie im Flugzeug neben jemand gesessen haben soll, der positiv getestet wurde. De facto hatte sie dort nur Gepäck liegen und saß selbst ganz woanders. Das war jedoch egal, sie musste trotzdem in Quarantäne. Auch der Rodler Tobias Arlt war im Isolationshotel, dort soll es sehr unhygienisch gewesen sein, inklusive Kakerlaken. Sein Test war falsch positiv, aber er wurde direkt von der Strecke in Rennanzug und Helm mitgenommen. Seine Sachen wurden erst später nachgebracht. Wer ein positives Testergebnis hat, wird "abgeführt". Ja – ich denke, so muss man es ausdrücken.

prisma: Haben Sie Angst, sich vor Ort zu infizieren?

Lena Kesting: Ich würde es wahnsinnig gerne vermeiden. Zwar bin ich geboostert und grundsätzlich gesund, aber unser Job ist es, zu berichten. Nicht nur über den Sport, sondern auch über die Zustände. Ich bin mir nicht sicher, ob das aus dem Quarantäne-Hotel noch gehen würde. Wenn mich Corona trotzdem treffen sollte, wäre es mein Ziel, darüber zu berichten, wie ich die Situation vor Ort erlebe.

"Mit dem Skifahren ist es am Niederrhein meist schwierig"

prisma: Kommen wir zum Sportlichen. Sie selbst waren Leistungsschwimmerin und sind am Niederrhein aufgewachsen. Von dort aus ist es ein gutes Stück bis zum nächsten Skigebiet ...

Lena Kesting: In der Tat ist es mit dem Skifahren am Niederrhein meist schwierig. Trotzdem bin ich schon als Kind Fan des alpinen Skisports gewesen. Aber es stimmt, ich habe mein Wissen darüber vor allem vorm Fernsehen gesammelt.

prisma: Haben Sie sich die Alpin-Wettbewerbe in Peking ausgesucht oder wurden sie eingeteilt?

Lena Kesting: Es war tatsächlich ein Wunsch von mir, das zu machen. Allerdings sind die Teams normalerweise fest, was bedeutet: Wer den Weltcup betreut, macht in der Regel auch Olympia. Für Alpin ist in der Regel Katja Streso zuständig. Natürlich habe ich mich sehr gefreut, dass ich nachrücken durfte.

prisma: Sie sind noch jung und haben mit dem "ZDF-Morgenmagazin" und Olympia in Tokio einen bemerkenswert schnellen Aufstieg vor der Kamera hingelegt. Sind sie noch nervös, wenn Sie an Olympia-Live-Sendungen denken?

Lena Kesting: Vor allem spüre ich Vorfreude, aber natürlich ist auch Bauchkribbeln und Anspannung dabei. Es sind meine ersten Winterspiele, und die finden unter besonderen Umständen statt. Peking ist eine Reise ins Ungewisse – und trotzdem ein verantwortungsvoller Job voller Herausforderungen. All das ist mir schon bewusst. Die Stadt selbst kenne ich tatsächlich schon, weil ich als junge Schwimmerin 2008 bei den Wettkämpfen zugesehen habe.

prisma: Sind Sie selbst noch sportlich aktiv?

Lena Kesting: Ja, ich schwimme noch zweimal die Woche bei meinem Verein in Mainz. Wenn ich beim Morgenmagazin in Berlin arbeite, kann ich logischerweise nicht trainieren. Dann mache ich Fitness übers Internet. Aber Schwimmen ist schon immer noch meine Leidenschaft.

prisma: Wie gut waren Sie denn mal?

Lena Kesting: Ich war eher so der Typ Trainingsweltmeisterin. Bei echten Wettbewerben lief es dann meist nicht so gut für mich. Ich bin NRW-Meisterschaften geschwommen und war immer recht dicht an der Qualifikation für die deutschen Meisterschaften dran, es aber nicht dorthin geschafft.

prisma: Sie haben Sportjournalismus studiert und eine Bachelor-Arbeit mit dem Titel "Höher, schneller, kränker – Eine Analyse der medialen Printberichterstattung zu physischen und psychischen Erkrankungen im Spitzensport" geschrieben. Wie sind Sie darauf gekommen?

Lena Kesting: Das Thema hat mich schon immer interessiert. Ständig wurde und wird darüber berichtet, welcher Sportler sich welche Verletzung zugezogen hat. Psychische Verletzungen, die im Spitzensport aufgrund des enormen Drucks logischerweise sehr verbreitet sind, darüber gab und gibt es kaum etwas zu lesen. Nach dem Tod Robert Enkes haben sich alle geschworen: Dies muss sich ändern. Aber wie meistens, wenn es um Depression oder andere psychische Erkrankungen im Sport geht, ist das Thema schnell wieder vom Tisch.

prisma: Was würden Sie sich vom Sportjournalismus diesbezüglich wünschen?

Lena Kesting: Dass wir weniger pointiert von Helden oder Versagern berichten.

Kritik an der Berichterstattung über Schalke

prisma: Aber suchen die Leute nicht gerade jene Geschichten im Sport?

Lena Kesting: Es gibt ein gewisses menschliches Bedürfnis, Geschichten von großen Siegen oder eben vom Scheitern zu lesen. Aber man muss sich auch klarmachen, was das mit den Menschen macht, um die es da geht. Ich habe intensiver die Berichterstattung zur Abstiegs-Saison von Schalke 04 verfolgt. Natürlich muss man eine Mannschaft kritisieren dürfen für die Art, wie sie Fußball spielt. Wie jedoch über diese Mannschaft geschrieben wurde, das war schon oft weit weg von normalem Journalismus. Da ging es oft ins Persönliche. Wenn man von solcher Kritik getroffen wird und vielleicht eh schon persönliche Probleme hat, kann das übel ausgehen. Ich glaube, dass man aus Fällen wie jenen von Robert Enke oder zuletzt der Turnerin Simone Biles wenig gelernt hat.

prisma: Was haben Sie in Ihrer Arbeit herausgefunden?

Lena Kesting: Ich habe mir die Berichterstattung zu physisch und psychisch Erkrankten von 2000 bis 2014 in sieben überregionalen Zeitungen angeschaut und diese ausgewertet. Über physische Erkrankungen oder Verletzungen wird eigentlich ständig berichtet, über psychische sehr selten und eigentlich nur dann, wenn prominente Namen wie Robert Enke, Sebastian Deisler oder Sven Hannawald im Spiel waren.

prisma: Physische Verletzungen lassen sich als Sportler kaum verstecken, psychische hingegen schon. Liegt nicht darin schon ein großer Unterschied, der schwer zu vergleichen ist?

Lena Kesting: Aber gerade darin liegt das Problem. Meine Theorie ist, dass sich Sportler nach wie vor nicht trauen, mit seelischen Krankheiten an die Öffentlichkeit zu treten. Dass dieser Bereich nach wie vor ein Tabu ist, ebenso wie ein schwules Outing männlicher Fußball-Profis. Ich kann dies alles sogar verstehen, fände es aber gut und wichtig, wenn sich bei beiden Themen etwas ändern würde.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte dich auch interessieren