Im Interview

Wie ein Berliner Forscher den Spinosaurus wiederentdeckte

22.08.2025, 10.38 Uhr
Seit seiner Kindheit träumte Nizar Ibrahim von Dinosauriern. Heute ist der deutsch-marokkanische Forscher bekannt für seine Entdeckung des Spinosaurus-Skeletts in der Sahara. In einer neuen Dokumentation teilt er seine Abenteuer und Erkenntnisse über die Urzeit.

Schon als Kind träumte der Anatom Nizar Ibrahim von der Sahara. Tiere und ihre Entwicklungsgeschichte faszinierten ihn seit jeher – also hat er seinen Traum zum Beruf gemacht. In der sechsteiligen BBC/ZDF-Produktion "Terra X: Unter Dinos – Geheimnisse der Urzeit" (ab Sonntag, 24. August, 19.30 Uhr im ZDF) erzählt der gebürtige Berliner, wie man Paläontologe wird und berichtet von seinem bedeutenden Fund: dem Fossil des Spinosaurus aegyptiacus. Im Interview erklärt der deutsch-marokkanische Forscher auch, warum es tröstlich ist, dass "besondere Momente der Geschichte" im großen Zusammenhang oft kaum Folgen haben.

prisma: Haben Sie denn einen Lieblingsdinosaurier?

Nizar Ibrahim: Wenn man als Wissenschaftler an etwas arbeitet, dann ist es oft so, dass das urzeitliche Tier, an dem man gerade arbeitet, das absolute Lieblingstier ist – ob das ein Flugsaurier ist, ein Tyrannosaurus rex oder ein Triceratops. Wahrscheinlich müsste ich aber den Spinosaurus nehmen, weil er so er so außergewöhnlich ist und weil es weltweit nur ein Skelett gib, das ist schon was ganz Besonderes.

"Ich hatte damals schon eine gewisse Abenteuer- und Reiselust"

prisma: Was hat Sie an Dinosauriern derart fasziniert, dass Sie das Fach zu Ihrem Beruf gemacht haben?



Ibrahim: Naja, ich habe mich schon von klein auf für Tiere, ihre Vielfalt und ihre Entwicklungsgeschichte interessiert. Mit vier oder fünf Jahren habe ich ein Buch über ausgestorbene Tiere bekommen und habe dann zum ersten Mal gemerkt, dass 99,9 Prozent aller Tiere und Pflanzen, die es je gegeben hat, ausgestorben sind. Das heißt, die Tierwelt, die wir heute sehen, so spektakulär sie auch sein mag, ist letztendlich nur ein winzig kleiner Teil von der gewaltigen, großartigen Geschichte des Lebens auf unserem Planeten. Ich hatte auch damals schon eine gewisse Abenteuer- und Reiselust und träumte davon, Orte wie die Sahara, die Wüste Gobi, Patagonien und so weiter zu besuchen. Als ich dann herausgefunden habe, dass das auch so die Orte sind, wo man oft Dinosaurierfossilien findet, da habe ich als Fünfjähriger meine Berufswahl getroffen und habe sie auch nie wirklich geändert.

prisma: Und wie verlief dann Ihre Reise in den Beruf?

Ibrahim: Die Paläontologie ist ein besonderes Gebiet, weil sie zwischen den Bio- und Geowissenschaften liegt. Ich habe deshalb auch sowohl Biologie als auch Geologie an der Universität in Bristol studiert und habe im Anschluss meine Doktorarbeit abgeschlossen an einer medizinischen Fakultät in Dublin in Irland. Meine Laufbahn ist eine Mischung aus verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten, unter anderem Humananatomie, Geowissenschaften und Evolutionsbiologie.

"Die Art von Fund, von der man eigentlich träumt als Wissenschaftler"

prisma: Sie erwähnten schon den Spinosaurus. In der "Terra X"-Dokumentation "Unter Dinos" sprechen Sie und Ihre Kollegen über den besonderen Fund. Welchen Einfluss hatte die Entdeckung des Spinosaurus-Skelett auf Ihre Forschung?

Ibrahim: Es ist die Art von Fund, von der man eigentlich träumt als Wissenschaftler. Es ist natürlich toll, wenn man einen T. rex findet oder einen Diplodocus, aber von denen haben wir eine ganze Menge Skelette. Wenn man dann etwas findet, was einzigartig ist, das ist fantastisch. Ich habe viele, viele Dinge gemacht und entdeckt und beschrieben in meiner Laufbahn, aber letztendlich wird alles überschattet vom Spinosaurus. Und das ist ja nicht das Schlimmste. Ich denke, damit kann ich leben (lacht). Aber der Spinosaurus ist halt auch wirklich etwas ganz Besonderes, weil er uns zeigt, dass Dinosaurier weitaus vielfältiger und anpassungsfähiger waren, als wir es lange Zeit dachten. Insofern war es für mich persönlich natürlich ein ganz, ganz wichtiger Fund und für die Paläontologie insgesamt auch ein toller Fund.

prisma: Sie haben das Spinosaurus-Skelett in der Sahara gefunden, das ist jetzt nicht unbedingt die lebensfreundlichste Umgebung. Vor welche Herausforderung stellt es einen, wenn man so eine Ausgrabung vornimmt?

Ibrahim: Es ist in vielerlei Hinsicht weitaus nervenaufreibender und abenteuerlicher, als sich das Hollywood je vorstellen könnte. Und in Hollywood sind das alles Spezialeffekte, Stuntleute und Plastikschlangen. Bei uns sind die Schlangen echt, und an manchen Orten schwärmt es nur so von Skorpionen. Außerdem gibt es Sandstürme, und es herrscht natürlich eine wahnsinnige Hitze mit 45 Grad oder mehr. In manchen Gebieten treiben auch Banditen ihr Unwesen, und man braucht einen bewaffneten Begleitschutz. Im Kem Kem Gebiet, wo das Spinosaurus Skelett gefunden wurde, werden außerdem die Knochen nicht einfach so auf dem Boden gefunden. Man muss erst mal hochklettern auf diese Gesteinsebenen, das ist sehr schwieriges Terrain. Es ist ein echtes Abenteuer. Aber das ist auch einer der Gründe, weshalb wir sehr wenig über die Sahara und die Dinosaurier der Sahara wissen. Es ist eben sehr viel schwieriger, als zum Beispiel in Südfrankreich oder in Wyoming Dinosaurier auszubuddeln.

"Unsere Geschichte ist letztendlich auch nur ein sehr kleines Kapitel"

prisma: In der Dokumentation wird sehr viel von der Verhaltensweise des Spinosaurus und anderen Dinosauriern gesprochen, die wahrscheinlich in dieser Gegend gelebt haben. Wie ist es möglich, anhand von Fossilien Verhaltensweisen von Dinosauriern zu bestimmen?

Ibrahim: Es gibt einiges, was wir direkt von den Fossilien ableiten können. Manchmal finden wir zum Beispiel Dinosaurierfährten, die zeigen, dass eine ganze Herde von Langhalsdinosauriern oder Ähnliches durch die Landschaft gezogen ist. Wir können von Isotopen in den Fossilien selbst ableiten, dass die Tiere auf ihren Wanderungen an ganz verschiedenen Orten Wasser getrunken haben. Manchmal ist es die Position der Fossilien selbst, die eine ganz spannende Geschichte erzählt. Es gibt zum Beispiel einen Fund von einem Velociraptor, einem Raubsaurier, und einem pflanzenfressenden Protoceratops, die im Kampf miteinander gestorben sind. Die wurden ineinander verkeilt und in einer ganz wilden Pose in der Mongolei gefunden. Mithilfe von Fossilien, ihren noch lebenden, direkten Verwandten, den Vögeln und anderen Verwandten Gruppen, vor allem den Krokodilen, kann man schon ein ziemlich plausibles Bild der Tiere erstellen. Hochmodernen Forschungsmethoden helfen uns auch, die Verhaltensbiologie von den Dinosauriern darstellen, zum Beispiel CT-Scans von Dinosaurierschädeln, die es ermöglichen, das Gehirn zu rekonstruieren.

prisma: Dinosaurier stehen für eine lang vergangene Ära auf diesem Planeten. Was macht es mit dem eigenen Zeitgefühl, wenn man sich die ganze Zeit mit Lebewesen auseinandersetzt, die vor 100 Millionen Jahren auf diesem Planeten gelebt haben? Im Vergleich zu den Dinosauriern ist ja die Menschheitsgeschichte nur ein kleiner Abstecher.

Ibrahim: Ich glaube, die Paläontologie spielt eine ganz wichtige Rolle, wenn es darum geht, uns ein bisschen Demut zu lehren und dass wir nicht der Mittelpunkt von allem sind. Sie erinnert uns daran, dass unsere Geschichte letztendlich auch nur ein sehr kleines Kapitel ist und vielleicht auch bleiben wird. Es kann gut sein, dass wir geologisch betrachtet letztendlich nur ein kleiner Blipp sind in einer großen, gewaltigen Geschichte. Es ist natürlich ein ganz besonderes Gefühl von Zeit, wenn man in der Sahara steht und es sind 45 Grad im Schatten, aber man weiß auch, dass dort mal ein riesiges Flusssystem war. Auf Englisch nennt man das "Deep Time", also tiefe Zeit. Und die Dinge, die uns jetzt als ganz besondere Momente der Geschichte erscheinen, sind letztendlich fast ohne Konsequenzen im großen Gesamtbild.

"Wir sollten das Beste draus machen"

prisma: Wie blicken Sie auf dieses Zeitgefühl?

Ibrahim: Es gibt mir auf jeden Fall was Positives. Wir sind ein winzig kleiner Teil in dieser riesigen Geschichte, aber wir haben das Privileg, hier zu sein und es alles aufzusaugen und so viel wie es geht herauszufinden und zu erforschen. Und wir sollten das Beste daraus machen.

prisma: Eine sehr schöne Perspektive! Wenn man so auf unsere Gesellschaft und die Pop-Kultur blick – gibt einen Fakt über Dinosaurier, von dem Sie sich wünschen würden, dass er im Allgemeinwissen besser verankert wäre?

Ibrahim: Boah, da gibt es so viele. Es gibt zum Teil im öffentlichen Diskurs, auch in Deutschland, diese Idee, die noch relativ tief verankert ist in den Köpfen der Leute, dass Dinosaurier im Grunde genommen ein gescheitertes Experiment sind sozusagen, also eine Art Sackgasse der Evolution. Die Wahrheit ist aber, dass Dinosaurier eine der größten Erfolgsgeschichten der Evolution sind. Und sie sind keine Sackgasse, sondern sie sind noch unter uns. Vögel sind Dinosaurier. Und es gibt mehr Vogelarten als Säugetierarten auf der Welt heute, von Pinguinen bis zum Vogelstrauß. Insofern sind Dinosaurier nach wie vor noch unglaublich erfolgreich und in Wahrheit ein echtes Erfolgsmodell. Homo sapiens wird auch nicht für immer da sein. Und insofern ist es albern, zu sagen, dass, weil eine bestimmte Tiergruppe ausgestorben ist, es sozusagen ein Fehlschlag der Evolution ist.

"Letztendlich können wir von den Dinosauriern lernen"

prisma: Also ist die Geschichte der Dinosaurier eigentlich etwas Kontinuierliches ist, das bis in unsere Zeit reicht?

Ibrahim: Dinosaurier sind nach wie vor überall in unseren Köpfen. Insofern würde ich sagen, haben die Dinosaurier da doch noch einiges mitzureden.

prisma: Welche Vorstellungen aus der Popkultur sind grundlegend falsch?

Ibrahim: Da gibt es sehr viele. Einige Leute haben zum Beispiel ein gewisses Bild vom Velociraptor in ihren Köpfen. Das ist mehr oder weniger das Bild, was man in den "Jurassic Park"- oder "Jurassic World"-Filmen sieht. Der echte Velociraptor war aber sehr viel kleiner. Mehr so wie ein mittelgroßer oder kleinerer Hund, und dazu kommt die Annahme, dass das ein wahnsinnig schnelles Tier war. So schnell wie ein Gepard. Aber tatsächlich haben diese Tiere relativ kurze (aber starke) Beine und gehören nicht zu den allerschnellsten Dinosauriern. Sie waren relativ schnell im Wenden, waren aber keine Super-Sprinter. Und wir wissen inzwischen auch, dass sie sehr befiedert waren. Sie würden wahrscheinlich ganz anders als in den Filmen aussehen.

prisma: Und der T. rex?

Ibrahim: Der ist bekannterweise in den "Jurassic Park"-Filmen ziemlich kurzsichtig und erkennt Leute nicht wirklich, wenn sie sich nicht bewegen, obwohl er direkt vor ihnen ist. Wir wissen aber, dass er einen unglaublichen guten Geruchssinn hatte. Insofern hätte er die Leute auch schon von ganz weit weg riechen können. Das wäre aber dann ein ganz anderer Film geworden. Und ziemlich gut sehen konnte er wahrscheinlich auch!

prisma: Sie finden solche aber dennoch nicht verwerflich, oder?

Ibrahim: Das Tolle an diesen Filmen ist, die Leute gehen in Scharen ins Kino und viele danach aber auch ins Museum, um dort mehr über die echte Welt der Dinosaurier zu erfahren. Insofern habe ich auch keinerlei Probleme mit, dass es die Filme gibt. Ich glaube, sie spielen eine wichtige positive Rolle und tragen dazu bei, dass Leute so begeistert sind von Dinosauriern. Und der erste Film von 1993 ist ja auch wirklich ein Meisterwerk der Filmgeschichte.

prisma: Zum Abschluss: Was können die Dinosaurier uns Menschen im Jahr 2025 beibringen?

Ibrahim: Ich denke, einer der Gründe, weshalb wir Dinosaurier so faszinierend finden, ist nicht nur ihre Größe und so weiter, sondern auch die Tatsache, dass sie so wahnsinnig dominant waren, aber dann, geologisch betrachtet, sehr schnell von der Erdoberfläche verschwunden sind, auch Giganten wie Tyrannosaurus und Triceratops. Auch wenn einige Teile des Dinosaurierstammbaums überlebt haben – die Vögel, letztendlich hat danach das Zeitalter der Säugetiere begonnen. Gerade sind die Menschen sehr dominant. Letztendlich können wir von den Dinosauriern lernen, dass wir unserem Planeten, oder auch außerplanetarischen Dingen wie Meteoriten, ziemlich ausgeliefert sind und vor allem, dass wir unseren Planeten sehr viel mehr brauchen, als er uns braucht.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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