Neues Album "Da draussen"

Sarah Lesch: "Auch Nazis sind Menschen"

von Anke Waschneck

Sarah Lesch bezeichnet sich selbst als Liedermacherin und beherrscht ihr Handwerk perfekt. Im Interview erklärt sie, warum ihr der Begriff wichtig ist und für wen sie keine Songs schreiben möchte.

In einer schwäbischen Kleinstadt, in der jeder Geigenunterricht hatte und sich später einen Carport vors Haus zimmert, sei sie als "Ossi-Arbeiterkind" aufgewachsen, erzählt Sängerin Sarah Lesch. Sie wollte auffallen. Von der Idee, Dreadlocks aus ihren Haaren zu machen, hielt ihre Mutter aber nichts. "Spinnst du?" hieß es damals noch. Heute kann die Songwriterin ihre langen Dreads einmal um das Gesicht wickeln, wie das neue Cover ihres neuen Albums "Da Draussen", das am 11. August 2017 erscheint, eindrücklich zeigt. Doch nicht mit ihrer Frisur sorgte die zierliche Wahl-Leipzigerin im vergangenen Jahr für Schlagzeilen, sondern mit ihrer Musik. Sie präsentiert sich als Liedermacherin und möchte diesem Begriff auch treu bleiben. "Es hat etwas Romantisches, etwas Handwerkliches. Wie ein Hutmacher", betont die 31-Jährige im Interview.

"Man fragt doch gar nicht mehr nach der Wahrheit"

Mit ihrem fünf Minuten langen Song "Testament" (2015), der lediglich mit Gitarrenbegleitung auskommt und immerhin über 1,5 Millionen Mal auf YouTube geklickt wurde, landete sie in den Schlagzeilen. Freuen aber konnte sie sich darüber nur bedingt. Denn das Lied wurde auch von rechtsradikalen Gruppierungen aufgegriffen und gefeiert. Heute erklärt die Liedermacherin ruhig: "Jeder interpretiert seine Lebenswahrheit in Kunst hinein, und dafür ist sie da: als Projektionsfläche. Ganz blöd gesagt: Auch Nazis sind Menschen. Auch ihnen fällt es vielleicht schwer, die Kinder morgens zur Schule zu bringen." Natürlich gebe es Überschneidungs- und Berührungspunkte und "deshalb finden sich auch solche Leute in meiner Musik wieder." Alle möglichen politischen Gruppierungen hätten Synergien gesehen. Die Sorgen der Menschen seien schließlich oft ähnlich, nur die Feindbilder unterschiedlich.

Die Liedermacherin fühlte sich falsch verstanden und arbeitete ihre Sorgen in einem Chanson auf, im Titelstück des Albums "Da Draussen". Ihre Botschaft kommt an: "Ich schreib euch keine Parolen." Doch auf ihrem neuen Album spricht sie noch mehr Probleme an. "Man fragt doch gar nicht mehr nach der Wahrheit, und auch ich habe Angst, meinen kleinen Heiligenschein abzulegen. Wenn ich mir einen Kaffee im To-go-Becher hole oder im H&M ein in Bangladesch gefertigtes T-Shirt kaufe, dann ist das doch auch eine Art, nicht nach der Wahrheit zu fragen."

Das neue Album ist voller Botschaften und die Schöpferin voller deutlicher Worte: Heuchelei beherrsche die Gesellschaft. Es gebe so viele Menschen, die zwar Toleranz predigen, selbst damit aber nichts am Hut haben, legt Sarah Lesch den Finger in die Wunde. Am eigenen Körper etwas zu erfahren, ist für die Songwriterin wichtig, denn nur über Erlebtes und Gefühltes kann sie auch einen Text schreiben, erklärt sie.

Dazu schöpft sie viele Erfahrungen aus der eigenen Vergangenheit. "Mein Lebensweg ist recht ungewöhnlich", erklärt Sarah Lesch. Locker sitzt sie vor ihrem grünen Tee und lässt sich viele Fragen erst mal durch den Kopf gehen, bevor sie eine Antwort gibt – außer, man erkundigt sich nach ihrer Kindheit. Die Musik habe sie immer schon begleitet, auch wenn sie erst spät begann, Gitarre zu spielen. Vor allem ihren Vater, Ralf Kruse, der damals mit der Band Amor & die Kids und später als Teil des Erzgebirgs-Duos Karriere machte, himmelte die gebürtige Thüringerin vor dem Fernseher an – persönlich kannte sie ihn damals noch nicht.

"Ich wollte immer Rockstar-Frisörin werden"

Zu dieser Zeit hatte sie auch noch andere Karrierewünsche: "Ich wollte immer Rockstar-Frisörin werden. Eine Mischung aus Axl Rose und meiner geliebten Tante Beatrice", schmunzelt die Mutter eines Sohnes heute. Statt diesen ausgefallenen Wunsch zu realisieren, fing sie eine Ausbildung als Erzieherin an. Kurz nach ihrem Abschluss – währenddessen hatte sie schon ein Album veröffentlicht – hielt es sie nicht mehr in dem bürgerlichen Leben. "Ich musste einfach losziehen", gesteht sie.

Klare Texte machten sie bekannt, der Zuhörer hat das Gefühl, die Chansonnette nehme kein Blatt vor den Mund. Doch der Schein trügt. Sie sei vorsichtiger geworden: "Ich möchte nicht der AfD einen Hit liefern!" Inzwischen lasse sie die Texte oft gegenlesen von ihrem Team, das sie über die Jahre aufgebaut hat. Denn sie ist nicht nur Musikerin, sie ist auch Geschäftsfrau. Zwei Alben hat die Blondine im Selbstverlag herausgegeben, sich alles hart erkämpft. Jetzt möchte sie das Ruder auch in der Hand behalten. Zusammen mit ihrem Team und einigen Musikern geht sie auf Tour. Einer fehlt aber während der anstehenden Reise durch Deutschland und wird von der Songwriterin schmerzlich vermisst: ihr Sohn. "So eine Reise ist nicht vereinbar mit dem Leben eines Schulkindes." Der Zwölfährige muss dann bei seinem Vater bleiben.

Denn jetzt ist Zeit für die Karriere. Preise wie den Förderpreis für junge Songpoeten der Hanns-Seidel-Stiftung oder auch den Förderpreis des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg hat sie bereits gewonnen. Sarah Lesch möchte weiterhin in die Fußstapfen ihrer Vorbilder treten, großer Liedermacher wie Hans-Eckardt Wenzel, Reinhard Mey und Gerhard Schöne, die sich nicht davor scheuten politische Themen anzusprechen, zu besingen und das was in der "Gesellschaft herumschwirrt" wahrzunehmen und zu vertonen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren