Demnächst in "Verräter – Tod am Meer" zu sehen

Albrecht Schuch geht mit seiner Rolle tanzen

von Vanessa Schwake

Was Psychologen und Schauspieler gemeinsam haben, warum er kein Smartphone besitzt und was Iggy Pop mit der Vorbereitung auf seine Rollen zu tun hat, verrät Albrecht Schuch im Interview.

Als Albrecht Schuch am 21. August 1985 in Jena geboren wird, wird ihm sofort die deutsche Lyrik in die Wiege gelegt: Die ersten Wörter die er hört, stammen aus dem Mund seines Vaters, der Zeilen aus Hölderlin-Gedichten zitiert. Weitere Wegbereiterin hin zum Beruf des Künstlers und Schauspielers wird später seine vier Jahre ältere Schwester Karoline, welche die besorgten Eltern (Ärztin und Psychiater) davon überzeugen kann, dass es fernab der akademischen Laufbahn nicht immer nur brotlose Kunst geben muss.

Sowohl Karoline Schuch (35) als auch ihr Bruder Albrecht sind heute erfolgreiche Schauspieler – und das ganz ohne geschwisterlichen Konkurrenzkampf. Albrecht glänzte unter anderem in "Die Vermessung der Welt" als Alexander von Humboldt oder als NSU-Mitglied Uwe Mundlos in der ausgezeichneten ARD-Spielfilmtrilogie "Mitten in Deutschland: NSU". Nun spielt er im ZDF-Film "Verräter – Tod am Meer" (Montag, 21. August 2017, 20.15 Uhr, ZDF), der an Schuchs Geburtstag ausgestrahlt wird, einen DDR-Grenzschutzpolisten kurz vor der Wende, der niemandem mehr trauen kann. Bei der Vorbereitung auf diese Rolle half dem 31-Jährigen nicht nur seine Herkunft, sondern auch ganz viel Musik, wie er im Interview verrät.

prisma: Was hat Sie an der Rolle des Grenzschutz-Polizisten Martin in "Verräter" gereizt?

Albrecht Schuch: Beim Drehbuchlesen fand ich diesen Widerspruch spannend: Martins Mutter ist in den Westen geflohen, als er 16 Jahre alt war, ohne ihn mitzunehmen. Martin arbeitet jetzt als DDR-Grenzschutzpolizist.

prisma: Wie sind Sie mit dem Aspekt umgegangen, dass Martin niemandem trauen kann?

Schuch: Genau damit habe ich mich im Vorfeld sehr lange und intensiv beschäftigt: Ich habe mit Psychologen über Misstrauen, das im Leben von Patienten aus der ehemaligen DDR omnipräsent war, gesprochen. Vor der Wende konnten viele Menschen ja teilweise noch nicht mal ihren Freunden, Eltern oder Partnern trauen. Es bestand immer die Gefahr, ausgehorcht zu werden. Diese Ungewissheit, ob man von der Stasi beobachtet oder einem vermeintlichen Freund ausspioniert wird, kann einen bestimmt verrückt machen.

prisma: Sie selbst kamen 1985 in Jena in der ehemaligen DDR zur Welt ...

Schuch: Ja, deswegen kenne ich natürlich auch selbst viele Geschichten. Meine Eltern haben ja auch zu dieser Zeit in Jena gelebt. Ich war vier als die Mauer fiel, habe also keine konkreten Erinnerungen. Aber durch meine Familie habe ich früh viel über die Ereignisse vor der Wende erfahren. Der Filmplott war also nicht komplettes Neuland.

prisma: Bereiten Sie sich immer ein bisschen intensiver auf Rollen vor, als Sie eigentlich müssten?

Schuch: Hmm, womöglich! Denn die Vorbereitung ist für einer der schönsten Bestandteile meiner Arbeit als Schauspieler. Zum Beispiel, weil ich dabei auch auf Menschen treffe, mit denen ich ansonsten nie in Kontakt käme. Ich kann so ständig in neue Gefilde eintauchen. Das ist einer der größten Reichtümer meines Berufes. Mir reicht es persönlich nicht, einfach nur die Rolle zu spielen. Ich brauche mehr. Ich brauche Tatsachen: Beispielsweise gehört für mich die Begegnung mit Zeitzeugen zur Rollenvorbereitung dazu. Ebenso wie Musik.

prisma: Musik?

Schuch: Ja. Musik ist ein hilfreicher Motor, um in eine Rolle zu finden. Es gibt für mich drei musikalische Eckpfeiler: Einerseits höre ich die Musik, welche die Figur wahrscheinlich gut findet. Dann überlege ich: Welche Musik mag sie wahrscheinlich gar nicht. Bei beidem kommen mir meistens Ideen dafür, wie ich die Rolle spielen könnte. Und drittens: Ich gehe tanzen mit der Rolle in meinem Kopf.

prisma: Sie tanzen mit Ihrer Rolle?

Schuch: So kann ich freier und ohne nachzudenken die Figur in meinen gesamten Körper bekommen. Denn Texte lernen und sich mit viel Theoretischem zu beschäftigen, kann bei mir sehr kopflastig werden. Beim Tanzen schüttelt sich dieses theoretische "Wissen" quasi vom Kopf in meinen Körper, wird also auf eine Art durchgesiebt. Das Essentielle bleibt dann hängen und bildet dann den emotionalen Kern der Rolle.

prisma: War es auch Ihre Idee, dass Ihre Rolle Martin im Film Schlagzeug spielt?

Schuch: Nein, das war die Regisseurin Franziska Meletzky. Ursprünglich sollte Martin, glaube ich, Saxophon spielen, aber als sie erfuhr, dass ich Schlagzeug spiele, wurde das geändert. Dabei kann man noch besser das Getriebensein und das Abreagieren darstellen – fast wie an einem Boxsack. Martin kann beim Schlagzeugspielen einerseits das rauslassen, was er im System Stasi nicht darf, andererseits ist es ein starkes Bild für seine innere Unruhe, Zerrissenheit und Heimatlosigkeit.

prisma: Lassen Sie privat auch Dampf ab beim Schlagzeugspielen?

Schuch: Ja, manchmal. Aber durch meine Rollen kann ich das auch sehr gut. Da darf ich auch mal geliehene Emotionen meiner Charaktere freien Lauf geben. Das heißt, Dinge tun, die ich sonst im Alltag vielleicht vermeide oder unterdrücke. Manchmal erinnert mich das Spielen daran, im Alltag direkter mit mir und meinen Mitmenschen zu sein. Ich finde ja, dass jeder mal einen Schauspielworkshop ausprobieren könnte. Vielleicht wären dann manche entspannter und mehr bei sich.

prisma: Der Film "Verräter" läuft an Ihrem Geburtstag: ein gutes Omen?

Schuch: Ach, ich trenne das.

prisma: Also werden Sie nicht vorm TV mitfiebern und sich zum Geburtstag gute Quoten wünschen?

Schuch: Na klar wünsch ich mir das, aber ich werde den Tag entspannt mit Freunden draußen auf dem Land feiern. Irgendwo im Grünen am Wasser – auf jeden Fall in der Natur.

prisma: Apropos Geburtstag: Es wird kolportiert, dass Ihr Vater Ihnen bei der Geburt im Kreißsaal Hölderlin-Gedichte vorlas.

Schuch: Ja, ich bekam sofort frühkindliche Bildung! (lacht) Aber es ging wohl eher darum, dass meine Mutter ein wenig von ihren Wehen abgelenkt wurde. Und vielleicht dachte er sich, dass ich direkt die Stimme hören sollte, die ich bereits kannte, als ich noch im Bauch war.

prisma: Ihre Eltern sind Ärztin und Psychiater. Sie und Ihre ältere Schwester Karolin Schauspieler. Waren Ihre Eltern gegen die Berufswahl ihrer Kinder?

Schuch: So und so. Meine Schwester ist ja älter als ich und als sie Schauspielerin wurde, hat sie bereits den ganzen Gegenwind eingesteckt, den ich dann nur noch in leichten Böhen abbekommen habe. Bedenken wurden zwar auch bei mir geäußert, aber diese waren bedachter und nicht mehr ganz so überbesorgt. Meine Mutter hätte sich gefreut, wenn ich die Praxis übernommen hätte, und meine Schwester hat ja zunächst Psychologie studiert, aber dann kam alles anders.

prisma: Wäre Psychologie auch etwas für Sie?

Schuch: Ja, wenn das mit dem Schauspiel nicht geklappt hätte oder irgendwann nicht mehr so gut funktionieren sollte, stünde das bei mir auch zur Debatte. Die Berufe Arzt oder Psychologe sind ja auch gar nicht so weit entfernt von der Schauspielerei.

prisma: Das müssen Sie genauer erklären!

Schuch: Was die Berufe verbindet, ist zum Beispiel: Man kümmert sich um einen Menschen. Man schaut sich ihn genau an und versucht, ihm zu helfen. So verstehe ich auch einen Großteil meiner Arbeit: Egal, wen ich spiele, ich muss mich um jede Rolle gleichberechtigt gut kümmern und mich intensiv mit der Person beschäftigen. Egal, ob der gut oder schlecht drauf und ob er abscheulich oder wunderbar ist. Meine eigene Eitelkeit hat dabei nichts zu suchen.

prisma: Apropos Eitelkeit: Im Film gibt es eine Stelle in der Sie Ihr Äußeres beschreiben als "wie ein Briefträger"... Ist Ihr Allerweltsgesicht Segen oder Fluch?

Schuch: Haha. Ein Segen ist auf jeden Fall, dass ich auf der Straße nicht erkannt werde. Ich würde mich freuen, wenn das auch so bleibt (lacht). Ich brauche keinen Starrummel. Nicht erkannt zu werden, bedeutet ja auch, dass ich auch in Zukunft weiter ungestört meine Recherchereisen mit und unter Menschen tun kann. Und, hätte ich ein markanteres Äußeres, wäre ich womöglich eingeschränkter in den Rollenangeboten. Bisher hatte ich ja das große Glück, in viele verschiedene Rollen schlüpfen zu dürfen.

prisma: Noch mal zurück zum Thema Vertrauen: Haben Sie auch Angst davor, dass manche Menschen nur mit Ihnen in Kontakt treten könnten, weil Sie prominent sind?

Schuch: Momentan noch nicht. Und in Deutschland gibt es diesen Superstarstatus sowieso nicht. Ich kann mich ganz gut auf mein Gespür und das meiner Freunde und Familie verlassen. Sie sind gute Ratgeber bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Außerdem glaube ich, nach spätestens einer Stunde Gespräch, kann man dann doch einschätzen, worauf sein Gegenüber aus ist, oder?

prisma: Wer sind denn Ihre Idole?

Schuch: Jetzt wieder: Iggy Pop. Ich habe ihn vor zwei Jahren in Berlin live gesehen. Er und seine Musik geben mir wahnsinnig viel Kraft – privat und beruflich. So eine Energie und Freude an dem, was er macht. Er hat eine absolute Bereitschaft sich hinzugeben und seine Fans wertzuschätzen.

prisma: Stimmt es, dass Sie kein Smartphone besitzen?

Schuch: Ja. So bewahre ich mir im Alltag Ruhe. Es erspart mir eine Menge Stress. Ich habe abends dann eine halbe Stunde Schreibtischzeit am Computer, und mehr nicht. Kein ganztägliches Eintrudeln von Nachrichten. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Fantasie abnimmt, wenn man ständig im Smartphone alles nachschauen kann und Antworten findet. Man denkt nicht mehr selbst nach. Jedes fantasievolle Gespräch wird doch sofort unterbrochen, indem man seine Fragen googelt und somit vermeintliches Wissen auf dem Silbertablett erhält.

prisma: Benutzen Sie auch noch Landkarten?

Schuch: Ja, oder ich versuche mir den Weg einzuprägen.

prisma: Stimmt, Männer fragen ja nicht nach dem Weg.

Schuch: Oh doch, das mache ich sogar sehr gern. Vor allem auf Reisen ist das toll, um mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Von denen kriegt man dann meistens noch die besten Tipps. Durch Smartphones beantwortet man sich alles selbst, die ganze zwischenmenschliche Kommunikation geht verloren.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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