Interview mit dem Bestseller-Autor

Sebastian Fitzek: "Die Gewalt reißt dir die Maske vom Kopf"

von Maximilian Haase

Geht es um Thriller, wird er gern als "König" oder "Meister" bezeichnet – Zuschreibungen, mit denen Sebatian Fitzek nicht viel anfangen kann. Schließlich, gibt sich der Bestseller-Autor bescheiden, könne man derlei Erwartungen ja gar nicht genügen. Das Kokettieren mit dem Unprätentiösen macht den 46-Jährigen sympathisch. Leugnen kann der Berliner den Erfolg indes nicht. 18 Romane, zehn Millionen verkaufte Exemplare – und aktuell eine wahre Verfilmungswelle: Im Oktober startet die Kinoadaption "Abgeschnitten" mit Moritz Bleibtreu; fürs TV kaufte RTL die Rechte an gleich zwei Werken.

Ein Gespräch über die Verfilmung "Das Joshua-Profil" (Karfreitag, 30. März, 20.15 Uhr RTL), die Kraft der Gewalt und die mühsame Etablierung von Thrillern in Deutschland.

prisma: RTL hat die Filmrechte an gleich zwei Ihrer Romane gekauft – neben "Das Joshua-Profil" auch "Passagier 23": Darf man davon ausgehen, dass Fitzek-Romane nun regelmäßig verfilmt werden?

Sebastian Fitzek: Mein Beruf ist das Schreiben; und mein Ziel ist es, dass der Verlag sagt: Wir machen noch ein nächstes. Was die Verfilmungen angeht, habe ich nichts in der Hand – aber es wäre natürlich schön, wenn die Mühe derjenigen, die den Film geschaffen haben, belohnt wird. Von RTL fand ich es mutig, das Risiko einzugehen – im Sinne von: Wir investieren jetzt nicht in eine Eintagsfliege.

prisma: Ist das für Sie als Autor eigentlich ein Traum, dass die eigenen Werke verfilmt werden?

Fitzek: Die wenigsten meiner Bücher sind verfilmt worden. Mein Ziel war es nie, meinen Namen auf einer Leinwand zu lesen. Mein Ziel war es noch nicht einmal, mich in einem Buchladen zu entdecken ...

prisma: Tatsächlich nicht?

Fitzek: Ich hatte natürlich Träume. Einer davon war, an der Supermarktkasse zu stehen, und mein Buch dort zu sehen. Denn ich dachte, wenn mein Buch an einem ungewöhnlichen Ort steht wie der Supermarktkasse, dann hat man es auf jeden Fall geschafft (lacht). Was ich nicht wusste: Man steht dort nur, wenn man ein Taschenbuch veröffentlicht hat; es ist ein Mitnahmeartikel.

prisma: Das Ziel hatten Sie schnell erreicht ...

Fitzek: Ja, mein mein erstes Buch war ein Taschenbuch, und ich stand an der Supermarktkasse. Das war aber noch nicht der Beweis, dass ich es geschafft hatte.

prisma: Gab es denn einen anderen Moment, in dem Ihnen klar war: Das ist es jetzt?

Fitzek: Es dauerte sehr lang, bis ich mich als Autor fühlte. Nach zwei Büchern fühlte ich mich immer noch mehr als Leser – ich hatte viel mehr Bücher gelesen als geschrieben. Aber als dann die Lesungen voller wurden, als es Signierschlangen gab – das war zunächst suspekt und unheimlich, und freute mich erst im Nachhinein. Das Tolle am Autorenberuf ist aber: Man ist schnell wieder geerdet.

prisma: Inwiefern?

Fitzek: Man wird ja nicht erkannt; man kommt nach Hause und ist der ganz normale Familienvater. Das hilft auch, Geschichten zu entwickeln, die im Alltag spielen. Das ist unwirklich: Man ist auf der Buchmesse, und es bilden sich Schlangen am Stand. Und zwei Tage später ist man wieder No-Name. Dieses Wechselbad führte bei mir lange dazu, dass ich zögerte zu sagen, ich sei Autor. Das kann ich jetzt nicht mehr leugnen.

prisma: Werden Sie inzwischen erkannt?

Fitzek: Ja, aber nicht so häufig wie jemand, der im TV auftritt. Das Fernsehen hat eine unglaubliche Wirkung. Man ist erst wer, wenn man im Fernsehen ist – ein interessantes psychologisches Phänomen. Ich werde eher erkannt, wenn jemand auf meine EC-Karte schaut. Oder wenn ich für einen Arzttermin den Namen buchstabieren muss – oft kommt dann: "Haha, wie der Autor!" (lacht)

prisma: In der Verfilmung "Das Joshua-Profil" sind Sie zu sehen – in einem gar nicht mal so kleinen Gastauftritt ...

Fitzek: Das war nicht meine Idee. Vor allem nicht, dass ich dann auch noch so viel Text hatte! Mein erster Impuls war: Der Autor, der sich selbst zeigt, das ist schon ein bisschen abgegriffen. Dann meinte Regisseur Jochen Alexander Freydank, er brauche eine Szene, vielleicht einer verkorksten Lesung, um die Erfolglosigkeit der Hauptfigur als Autor darzustellen. Und ich sagte: Da habe ich mal eine erlebt!

prisma: Ihr Auftritt beruht also auf realen Erfahrungen?

Fitzek: Ja, das geschah in Rostock. Da kamen fünf Leute, und drei davon arbeiteten in der Buchhandlung. Ich ergänzte im Skript noch die Frage, die mir als Autor oft gestellt wird: Was für eine Macke muss man haben, um über so etwas zu schreiben? Und meine Antwort lautet dann immer: Wer hat denn die größere Macke? Derjenige, der es schreibt, oder diejenigen, die es lesen, weil sie sogar Geld dafür bezahlen (lacht)? Auch ins Drehbuch fand die tolle Frage des Buchhändlers, ob der Autor es denn nicht mit einem anderen Genre versuchen wolle. Das kannte ich auch vom Anfang von den Verlagen: Ob ich denn nicht lieber etwas Historisches schreiben wolle (lacht).

prisma: Es fällt der Satz: "Thriller funktionieren in Deutschland nicht". Das kann man ja inzwischen nicht mehr sagen ...

Fitzek: Mittlerweile ist es lustig. Aber noch 2004, als ich einen Verlag suchte, war das die Standardabsage. Und 2007, als es die ersten Verfilmungspläne gab, war das die Standardabsage der Fernsehanstalten. Aber heute haben wir nicht mehr nur die Thriller-Welle in der Belletristik, sondern langsam kommt es auch im Film, Fernsehen und bei den Streamingdiensten an.

prisma: Holen die Deutschen in Sachen Thriller-Bewegtbild nach?

Fitzek: Es gab ja immer Versuche, sich etwas zu trauen, man denke an "Das Experiment", "Funny Games" oder Dominik Grafs Serie "Im Angesicht des Verbrechens". Letztere war ihrer Zeit wirklich voraus, floppte damals aber im Free-TV. Krimis können wir – da sind wir Vorreiter. Aber wir haben nicht die Historie und die Erfahrung aus Jahrzehnten Thriller-Produktion. Da sind jetzt aktuelle Serien wie "Dark" und "Babylon Berlin" sehr hilfreich. Ich drücke jedem deutschen Thriller für weltweiten Erfolg die Daumen; davon können wir alle profitieren.

prisma: Was ist für Sie denn der große Unterschied zum Krimi – etwa mit Blick auf "Das Joshua-Profil"?

Fitzek: Das Haupt-Abgrenzungsmerkmal ist für mich der normale Mensch, dessen Leben auf den Kopf gestellt wird. Im Krimi habe ich Figuren, etwa Polizisten, die dafür trainiert sind, mit Gewalt umzugehen. Bewegender finde ich aber, wenn ich mir die Frage stelle, wie ich damit umgehen würde. Wie würde ich mich verhalten? Ich glaube, die Gewalt reißt dir die Maske vom Kopf.

prisma: Was heißt das genau?

Fitzek: Wir können hochtrabend philosophieren über soziales Engagement und Zivilcourage. Wenn wir dann aber wirklich in der U-Bahn angegriffen werden oder einen Angriff beobachten, entscheidet sich, wie wir uns verhalten. Ohne eine Sekunde, um nachzudenken. Wir müssen instinktiv handeln; unser wahres Ich wird durch die Gewalt freigelegt. Das interessiert mich.

prisma: In "Das Joshua-Profil" geht es um die Vorhersage von Verbrechen ...

Fitzek: Das war für den Roman aber gar nicht die Ausgangsidee. Mir ging es eher um familiäre Fragen: Wie geht man damit um, wenn einem das Kind von offizieller Seite weggenommen werden soll, auch wenn man glaubt, dass es ihm damit schlechter geht. Haut man mit dem Kind ab? Das Predictive Policing kam erst später hinzu.

prisma: Wie kam das?

Fitzek: Die Idee entstand aus einem Scherz; ich sagte auf einer Lesung, dass ich nicht hoffe, dass irgendjemand beim BKA meinen Google-Suchverlauf checkt. Da ist natürlich von K.O.-Tropfen bis zu nicht nachweisbaren Scheinsuizidmethoden alles dabei. Ich bekomme online neue Waffensysteme empfohlen, weil ich mal über Waffen recherchierte. Wenn jemand nicht weiß, dass ich Thriller-Autor bin, würde er denken, ich sei Psychopath. Vielleicht bin ich das ja auch und mach alles nur zur Tarnung. Die Idee war dann: Was passiert, wenn ein Thriller-Autor in ein Verbrechensvorhersage-Programm gerät – wie sie auch in Deutschland unter dem Namen Pre-Cops schon getestet werden?

prisma: Der Normalo wird von fremden Mächten gesteuert – nährt so etwas nicht auch Verschwörungstheorien?

Fitzek: Mit Verschwörungstheorien ist ja meist der Staat gemeint. Ich habe größere Angst vor privaten Organisationen, in die Normalverbraucher und Medien keinen Einblick haben. Die man nicht kontrollieren kann. Ich weiß ja nicht, was mein Alexa-Gerät alles aufnimmt. Unwissenheit nährt Verschwörungstheorien, aber wir wissen eben auch nicht, was in den Laboratorien von Google und Co. vor sich geht. Da finde ich Wachsamkeit angebracht.

prisma: War es eigenartig, selbstreferenziell einen Thriller-Autor als Hauptfigur zu implementieren?

Fitzek: Eigentlich dachte ich: Prima, da muss ich nicht viel recherchieren. Ich weiß ja, wie ein Thriller-Autor lebt und denkt und arbeitet. Dann merkte ich aber, dass der in der Erfolglosigkeit verharrt. Und auch ganz anders schreibt als ich – da hab ich mich dann rangesetzt. Dass das Buch im Buch, "Blutschule", am Ende auch real existiert, das hat mich sehr gereizt. Ich mache gerne Sachen, die es so noch nicht gab.

prisma: Inwiefern waren Sie eigentlich am Drehbuch zur Verfilmung involviert?

Fitzek: Ich habe es in jeder Fassung gelesen. Machte aber von Anfang an klar: ich bin kein Drehbuchautor, das ist eine eigene Kunst. Das muss man lernen, es funktioniert nach anderen Gesetzmäßigkeiten als das Schreiben eines Romans. Ich gab mein Vertrauen im Vorfeld der UFA; nicht blind, sondern nachdem wir merkten, wir liegen auf einer Wellenlänge.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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