Schauspielerin im Interview

Almila Bagriacik: Sie ist die neue "Tatort"-Kommissarin

von Eric Leimann

Am Sonntag feiert Almila Bagriacik ihr "Tatort"-Debüt an der Seite von Axel Milberg. Im Interview spricht die 28-Jährige über ihre Bilderbuch-Karriere, ihre Rolle als Nachfolgerin von Sibel Kekilli und die Debatte um Mesut Özil.

Almila Bagriacik wurde 1990 in Ankara geboren. Im Alter von zwei Jahren zog sie mit ihren Eltern, einem Journalisten-Ehepaar, nach Berlin. Ihr schauspielerisches Naturtalent wurde mit 17 entdeckt. Im Ehrenmord-Drama "Die Fremde", das 2010 mit dem Deutschen Filmpreis geadelt wurde, spielte Almila Bagriacik die kleine Schwester Sibel Kekillis. Furore mit einer eigenen Hauptrolle machte Bagriacik 2016 im ARD-Film "Die Opfer – Vergesst mich nicht". Mit denkwürdiger Intensität spielte sie Semiya Simsek, die Tochter des ersten NSU-Opfers. Noch deutlich vor ihrem 30. Geburtstag hat es die Autodidaktin nun zur "Tatort"-Kommissarin gebracht. Sie ist die Neue in Kiel. Im "Tatort: Borowski und der Haus der Geister" (Sonntag, 2. September, 20.15 Uhr, ARD) ist sie erstmals mit von der Partie. Almila Bagriacik über ihre rasante Karriere, Mesut Özil und den Vorteil, mit zwei Kulturen aufgewachsen zu sein.

prisma: Sie sind im Sommer 28 Jahre alt geworden. Nach der Hauptrolle in einem hochgelobten Film über die NSU-Opfer sind Sie nun "Tatort"-Kommissarin. Wie real fühlt sich das an?

Almila Bagriacik: Richtig realisieren kann ich das noch gar nicht. Obwohl ich schon zwei "Tatorte" abgedreht habe und natürlich auch der NSU-Film so kurz nach Urteilsverkündung noch mal voll ins Gefühlsleben zurückgekehrt ist. Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar – das ist das stärkste Gefühl. Ich bin froh, diese Bestätigung zu bekommen. Glücklich darüber, dass ich so gut in der Branche aufgenommen wurde. Von außen betrachtet ist es natürlich eine Bilderbuch-Karriere. Aber das steht für einen selbst nie im Vordergrund.

prisma: War Schauspielerin Ihr Berufsziel?

Almila Bagriacik: Ich war 17, als ich meinen ersten Film drehte. Davor hatte ich nicht den Wunsch, Schauspielerin zu werden. Nicht, weil es mich nicht interessiert hätte, sondern weil es mir so unmöglich vorkam. Ich wollte Diplomatin werden. Meine Eltern sind beide Journalisten, sie kennen viele Diplomaten. Ich war oft im Gespräch mit denen und konnte früher fünf Sprachen fließend. Ich dachte, mit diesem Job könne ich viel erreichen. Und außerdem überall frei parken, was mir als Kind sehr wichtig erschien (lacht).

prisma: Sie sind bis heute Autodidaktin geblieben. Haben Sie nach "Die Fremde" darüber nachgedacht, sich an Schauspielschulen zu bewerben?

Almila Bagriacik: Autodidaktin stimmt nicht ganz. Für "Die Fremde" bekam ich sechs Monate lang ein Coaching. Das war sehr intensiv, wie eine Art Privatunterricht. So habe ich es weiter gehalten. Für jedes Projekt nahm ich mir einen privaten Coach. Mit Viola Schmidt, die auch an der Schauspielschule "Ernst Busch" in Berlin lehrt, habe ich intensiv meine Stimme trainiert. Oder besser gesagt: Mit ihr habe ich meine wahre Stimme erst gefunden.

prisma: Wie meinen Sie das?

Almila Bagriacik: In der türkischen Sprache und Kultur gibt es eine gewisse Höflichkeitsform, die uns sehr hoch und freundlich in die Kopfstimme gehen lässt (lacht). Das musste ich erst mal wegbekommen. Ich schätze die Arbeit mit einem Coach sehr.

prisma: Waren Sie ein schüchterner Teenager?

Almila Bagriacik: Als ich den Flyer für das Street Casting zu "Die Fremde" bekam, wollte ich mich erst gar nicht melden. Meine Mutter machte mir Mut, es doch zu tun. Ich war zwar ein Klassenclown, andererseits aber sehr zurückhaltend, wenn es ernst wurde. Ich habe lieber gar nichts gemacht, bevor ich etwas Falsches tat. Trotzdem gelang es mir beim Casting, natürlich zu bleiben und nicht viel nachzudenken. Der Produzent von "Die Fremde", Züli Aladag, ist auch der Regisseur von "NSU – Vergesst mich nicht". Man kannte sich also schon, aber das war auch ein Handicap. Weil seine Erwartungshaltung sehr hoch war. Er sah viel in mir und wollte mich beim NSU-Film deshalb immer weiter an meine Grenzen bringen.

prisma: Sie begannen Ihre Karriere in "Die Fremde" als kleine Schwester Sibel Kekillis. Nun spielen Sie ihre Nachfolgerin beim "Tatort". Wie nahe stehen Sie sich?

Almila Bagriacik: Ich sehe sie ab und zu auf Veranstaltungen, dann freuen wir uns darüber. Aber ich musste nach "Die Fremde" auch lernen, dass nach einer intensiven Zeit beim Dreh eines Films jeder wieder einzeln seinen Weg geht. Sie ist ja auch viel in Amerika. Aber wenn man sich sieht, dann ist es immer sehr schön.

prisma: Mit Sibel Kekilli spielte eine türkischstämmige Schauspielerin im Kieler "Tatort" die Kommissarin – und nun übernehmen Sie. Sieht das nicht ein bisschen so aus, als hätte man Sibel Kekilli durch Sie ersetzt?

Almila Bagriacik: Sibel war ja keine Türkin im "Tatort". Sie spielte eine deutsche Rolle, Sarah Brandt. Wenn ich Sie ersetzt hätte, würde ich nun Sarah Brandt verkörpern und überspielen, dass ich anders aussehe. Für mich spielt es keine Rolle, wer vor oder nach mir diesen Platz einnimmt. Mich interessiert nur, was ich aus dem Angebot machen kann.

prisma: Sibel Kekilli äußerte sich öfter genervt, weil ihr in Deutschland immer wieder Rollen mit Migrationshintergrund angeboten werden. Wie sehr stören Sie das?

Almila Bagriacik: Mich nervt es nicht so. Ich finde, man darf das nicht zu persönlich nehmen. Weil man sonst den Blick für besondere Rollen verliert. Semiya Simsek, die Tochter des ersten NSU-Opfers, ist ein Paradebeispiel dafür. Hätte ich die Rolle abgelehnt, wäre das auch künstlerisch ein großer Fehler gewesen. Man muss immer schauen, was eine Rolle vermitteln will. Ich habe in den letzten Jahren fantastische Rollen gespielt – viele davon "mit Migrationshintergrund", wenn man so will. In "4 Blocks" war ich die Schwester in einem arabischen Mafia Clan. Bei Lars Becker eine Drogendealerin. Nun spiele ich eine Deutschtürkin aus Berlin, die in Kiel "Tatort"-Kommissarin wird. Die Herkunft spielt für mich keine große Rolle, das Rollenprofil ist das Interessante.

prisma: Wie interessant ist Ihre "Tatort"-Kommissarin?

Almila Bagriacik: Ich finde Mila Sahin sehr interessant. Sie hat eine unglaubliche Energie und mischt damit den ganzen Laden in Kiel auf. Das macht unfassbar viel Spaß. Und ich merke, wenn ich Spaß am Spielen habe, schaffe ich es erst, den Zuschauer zu unterhalten.

prisma: Ihre erste Sprache ist Türkisch?

Almila Bagriacik: Ja, in meiner Familie wird nur Türkisch gesprochen. Meine Eltern sind der Meinung, dass es besser ist, nicht hin und her zu wechseln, damit man eine Sprache richtig kann. Sie wollten mir früher kein falsches Deutsch beibringen. Das habe ich dann draußen gelernt. Lustig ist, dass mein erster Deutschlehrer an der Kurt-Schumacher-Grundschule in Kreuzberg Borowski hieß – so wie Axel Milbergs Kommissar im Kieler "Tatort". Mit meinem Lehrer Borowski habe ich viel an meinem Deutsch gearbeitet. Er war sehr geduldig, denn ich hatte sehr viele Schwierigkeiten mit den Artikeln.

prisma: Im Zuge der Debatte um Mesut Özil wurde zuletzt sehr hitzig über die Identität der Deutschtürken diskutiert. Inwieweit hat Sie das bewegt?

Almila Bagriacik: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass wir in einer Demokratie leben. Jeder darf seine eigene Meinung haben und sie so zum Ausdruck bringen, wie er es für richtig hält. Wenn Mesut Özil ein Foto mit Erdogan auf Instagram postet, sollte das in der Presse nicht dafür sorgen, dass dies als Erklärung für ein frühes Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft herhalten muss. Wir reden über hochprofessionelle Fußballspieler.

prisma: Finden Sie, das Foto war ein entschuldbarer Fehler?

Almila Bagriacik: Ich kann niemandem vorschreiben, mit wem er ein Foto machen darf und mit wem nicht. Ich verstehe natürlich, dass man aufpassen muss, wenn man als Star mit seinem Handeln sehr viele Leute erreicht. Trotzdem werde ich, wenn Madonna ein Foto mit Trump macht, nicht aufhören, ihre Musik zu hören. Ebenso wie ihr DJ nicht anfangen wird, deswegen Fehler beim Live-Konzert zu begehen, weil er so irritiert ist. Wir wissen nicht, was in den Köpfen der Menschen vorgeht. Deshalb sollten wir sie nicht zu früh verurteilen.

prisma: Fühlen Sie sich manchmal zerrissen – zwischen der türkischen und deutschen Identität?

Almila Bagriacik: Ich sehe das, was manche Zerrissenheit nennen, als Reichtum. Es ist so kostbar, dass ich zwei Sprachen nicht nur sprechen, sondern auch spüren kann. Man fühlt ja in der Sprache auch eine ganze Kultur. Deshalb verstehe ich den deutschen Sarkasmus ebenso wie die türkischen Witze über Menschen am Schwarzen Meer. Das sind unsere Ostfriesen. Es fühlt sich an, als könne ich die Welt in viel mehr Farben und mit mehr Sinnen wahrnehmen. Dieser Aspekt wird oft unterschlagen. Ich empfinde mich durch meine Biografie nicht zerrissen, sondern bereichert.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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