"Die ewige Welle"

"Tatort": Die Wahrheit über die Horror-Droge Schmerzpflaster

von Eric Leimann

In der legendären Wellenreiter-Szene am Münchner Eisbach spielte ein bittersüßer, nostalgischer Krimi, der die Jugend von Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) erforschte. Es ging am Rande aber auch um ausgekochte Schmerzpflaster – ein seit 15 Jahren wachsendes Problem im Kampf gegen Drogen.

Münchner Surfer, deren Altervorsorge so ungenügend ist, dass sie auf den letzten Metern ihres auf Freiheit fußenden Lebenskonzepts noch zu Dealern werden müssen, um die Wellenreitrente in Asien genießen zu können: Es war ein bittersüßer, nostalgischer und schwarzhumoriger "Tatort", den die Münchner Kommissare Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) zu bearbeiten hatten.

Worum ging es?

Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) traf nach 35 Jahren seinen Freund Mikesch (Andreas Lust) wieder. Der Altsurfer, der auch mit Mitte 50 noch einen weitgehend bindungslosen, freiheitsliebenden Lebensstil pflegt, wurde Opfer eines Messerangriffs durch einen Junkie. Bald stellte sich heraus: Der klamme Nassbrett-Akrobat wollte große Mengen geklauter Schmerzpflaster in der Drogenszene verticken, um sich damit die Surfrente in Asien zu finanzieren. Leider, man ahnt es, geht der Plan vom großen Aussteiger-Glück schief. Freidenker Mikesch endet deprimierend trivial als Verbluteter in einer zur Nacht abgestellten Münchner Tram. Sicher nicht jener Abgang, von dem coole Surfer träumen.

Sind Schmerzpflaster tatsächlich heiße Waren auf dem Drogen-Markt?

Im "Tatort" will Surfer Mikesch tausende Schmerzpflaster der fiktiven Marke "Tonatin" verkloppen und damit zwischen 50.000 und 100.000 Euro verdienen. Ist das realistisch? "Die Junkies kauen die", sagt ihm ein befreundeter Kleindealer. Der Auftrag soll aber nur zustandekommen, wenn Mikesch einem Großdealer flüssigen Stoff liefert – weshalb er die Pflaster in einem "Breaking Bad"-artigen improvisierten Drogenlabor auskocht. Tatsächlich stellen ausgekochte Schmerzpflaster, die Opiate enthalten, ein großes Problem im gegenwärtigen Kampf gegen den Drogenmissbrauch dar. Gefragt bei Junkies ist vor allem Fentanyl , eines der potentesten Schmerzmittel überhaupt. Das künstliche Opioid wirkt etwa 100-mal stärker als Morphin. Es sollte in der Regel erst bei besonders starken Schmerzen verabreicht werden, die sich nicht mehr durch andere Mittel behandeln lassen.

Wie kommen die Süchtigen an solche Schmerzpflaster heran?

Fentalyn ist zwar verschreibungspflichtig, wird aber – das kritisieren Ärzte wie Drogenhilfsorganisationen – viel zu oft und leichtfertig verschrieben. Heroinabhängige konsumieren das Mittel als Ersatzdroge, da es im Körper nicht den "Kick" ihres Wunschwirkstoffes erzeugt, aber beruhigt und Entzugserscheinungen lindert. Deshalb begeben sich Süchtige mitunter auf wahre Arzt-Odysseen, um sich solche Pflaster verschreiben zu lassen. Anwendung finden sie jedoch nicht auf einem "schlimmen Rücken", sondern als Kaugummi-Ersatz oder – viel häufiger – in der ausgekochten Variante.

Wie gefährlich ist das Auskochen von Schmerzpflastern?

Sehr gefährlich. Weil kaum zu kontrollieren ist, wie viel Wirkstoff beim Auskochen "gewonnen" wird. Dazu kommt, dass viele Süchtige den einfachen Weg gehen und gebrauchte Pflaster aus Mülltonnen fischen, bei denen völlig unklar ist, wie viel Wirkstoff darin noch enthalten ist. Bis zu 70 Prozent der ursprünglichen Menge können es sein, sagen Experten, was den Pflastermüll zu einer gefährlichen Droge macht. Tatsächlich ist Bayern eine Hochburg des Fentalyn-Missbrauchs. Seit 2005 gibt es immer mehr Drogentote, bei deren Ableben der Wirkstoff eine Rolle spielte. Ein Jahr zuvor kamen sogenannte "Matrixpflaster" in Deutschland auf den Markt. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität München untersuchte 2014 die Todesursachen von Opiat-Opfern und fand, dass bei knapp über 50 Prozent der Wirkstoff Fentalyn beteiligt war.

Was ist eine "stehende Welle"?

Die im "Tatort" beschriebene Münchner Surfszene ist in der Tat eine weltweit einzige. Da die bayerische Metropole fernab jeglicher Meere liegt, ließ man sich am wilden Eisbach, einem Seitenarm der Isar, etwas Besonderes einfallen: Die große, etwa einen halben Meter hohe Welle an der Eisbachbrücke, am südlichen Rand des englischen Gartens, wird durch eine Steinstufe und eine dadurch resultierende Stromschnelle erzeugt. Längst ist jener Spot, der am Anfang des "Tatorts" Surfer Mikesch in Action zeigt, eine Münchner Touristenattraktion. Die Welle selbst ist jedoch nichts für Anfänger. Sie gilt als schwierig zu reiten. Leichter sind andere Flussreiter-Spots in und um München herum. So etwa die "kleine Eisbachwelle", etwa 100 Meter hinter der großen Schwester, die Floßländewelle in Thalkirchen oder eine Isarwelle in Plattling bei Deggendorf.

Wer spielte den surfenden Episoden-Star?

"Tatort"-Stammschauer, denen Surfer Mikesch bekannt vorkam, irrten nicht. Erst im März 2019 spielte der österreichische Schauspieler Andreas Lust, 52, im Schwarzwälder "Tatort: Für immer und dich" einen Mann, der mit einer sehr jungen Geliebten ebenfalls "on the run" war – nur eben im Auto.

Gegenwärtig gibt es kaum einen deutschsprachigen Schauspieler, der psychisch und physisch so brillant die Rolle eines Mannes verkörpert, der sich mit aller Macht gegen das Erwachsensein stemmt, ohne dass es nach klassischer Comedy aussieht. Andreas Lust, gebürtiger Wiener, spielte lange an kleineren Theatern Österreichs, eher er 2009 seinen Durchbruch als Filmschauspieler feierte. Der brillante psychologische Ösi-Thriller "Revanche" (Regie: Götz Spielmann), in dem Lust einen Polizisten spielt, wurde sogar für den Oscar als "Bester fremdsprachiger Film" nominiert.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren