Drama im ZDF

"Totgeschwiegen": Wenn Eltern das Verbrechen ihrer Kinder vertuschen

von Eric Leimann

Drei 16-Jährige töten im Streit einen Obdachlosen, ihre Eltern wollen die Tat vertuschen. Im Anschluss an das fiktive Drama zeigt das ZDF noch die Doku "Wenn Kinder zu Tätern werden".

ZDF
Totgeschwiegen
Drama • 21.09.2020 • 20:15 Uhr

Manchmal tun Menschen brutale Dinge, von denen sie zuvor dachten, dass sie dazu niemals fähig wären. So wie das 16-jährige Trio Mira (Flora Li Thiemann), Jakob (David Al Rashed) und Fabian (Lenius Jung) im ZDF-Krimi "Totgeschwiegen". Die drei Berliner Schulfreunde haben Alkohol getrunken, als sie nachts an einer U-Bahnstation von einem ebenso betrunkenen Obdachlosen belästigt werden. Ein Streit eskaliert, der Mann stirbt dabei. Die Überwachungskameras zeigen – von hinten – drei flüchtende junge Leute. Fälle, ähnlich wie dieser, sind im Deutschland der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder vorgekommen. In ihrer brutalen Konsequenz unerklärliche Gewalttaten durch sehr junge Täter. Das Besondere an der fiktiven Umsetzung des Stoffes durch die Autorinnen Gwndolyn Bellmann und Franziska Schlotterer ("Ende der Schonzeit", auch Regie) ist jedoch, dass die porträtierten Jugendlichen aus vordergründig behüteten Verhältnissen stammen – und ihre Eltern die Tat nach deren Entdeckung decken.

Claudia Michelsen spielt Esther, die viel beschäftigte Krankenhausärztin und Mutter des Mädchens Mira. Die hat fast schon ein engeres Verhältnis zu Jean (Mehdi Nebbou), dem sensiblen Freund ihrer taffen Mutter. Auch in der vierköpfigen Familie des Täters Fabian scheint alles wohlgeordnet. Vater Volker (Godehard Giese) ist ein Rationalist von deutscher Kühle, während Mutter Brigitte (Katharina Marie Schubert) ihrem Sohn, der noch einen Bruder hat, jeden Wunsch von den Augen abzulesen scheint. Einzig die alleinerziehende Nele (Laura Tonke), die zwei Kinder von zwei mittlerweile abwesenden Vätern hat, scheint sich mit der Vertuschung des Falls wegen "der Zukunft der Kinder" schwerzutun. Nele recherchiert das Leben des Toten und sucht sogar heimlich dessen Angehörige auf. Derweil forciert die Polizei ihre Suche nach den Tätern. Kann der Schweigeschwur der drei Familien "gutgehen"? Und was hieße das in diesem Fall überhaupt?

Wie realistisch man diese Erzählung einschätzt, mag von Betrachter zu Betrachter variieren. Wahr ist jedoch, dass Eltern zu ziemlich viel bereit sind, um ihre Kinder zu schützen. Auch wenn dieser Schutz, wie sich im Film zeigt, zulasten einer zunehmenden Korrosion der Beziehungen aller Beteiligten geht. Einerseits sind die Figuren im Film ein wenig formelhaft gewählt: der kühl-akademische Vaterstratege (Giese), die gluckenhafte Mutter ohne eigenes Selbstwertgefühl (Schubert), die Powerfrau mit entfremdeter Beziehung zur Tochter (Michelsen) und die sensible, anfangs leicht manipulierbare Träumerin mit eigenem Café (Tonke). Die Qualität dieser Schauspieler trägt dazu bei, dass das ein oder andere Charakter-Klischee in diesem Plot sanft umschifft wird, auch dann, wenn die Jugendlichen vielleicht ein wenig zu explizit an ihrer (Horror)welt leiden. Andererseits gehört es zur Jugend dazu, dass das eigene Drama als absolut und ohne Ausweg wahrgenommen wird und man sich zudem viel zu gefangen und verstockt fühlt, um einen, wenn auch schmerzhaften Ausgang aus diesem Höllentrip herbeizuführen.

Im Anschluss an 90 fiktive Filmminuten läuft um 21.45 Uhr die Dokumentation "Wenn Kinder zu Tätern werden", in der Autorin Liz Wieskerstrauch am Beispiel der Filmszenen Jugendgewalt in Deutschland und ihre Ursachen erforscht. Nach ihren Recherchen stieg die Zahl krimineller Jugendlicher in Deutschland vor allem nach der Wiedervereinigung rasant an: zwischen 1993 und 1998 um mehr als 50 Prozent auf mehr als 300.000 jugendliche Tatverdächtige pro Jahr. Die polizeiliche Kriminalstatistik notiert zudem eine "erhöhte Gewaltbereitschaft bei gesunkener Hemmschwelle".

Viele Regeln, so wird erklärt, die früher für Prügeleien unter Jugendlichen galten, scheinen heute aufgelöst. Der Kopf ist sehr wohl ein Ziel und es ist auch nicht immer Schluss, wenn ein Opfer am Boden liegt und aufgibt. Als mögliche Ursachen der Eskalation gelten: Gewalt im Elternhaus, geringes Selbstwertgefühl, das Bedürfnis, durch Gewalt Stärke zu zeigen und der Versuch, Respekt durch Abwertung von anderen zu erlangen. Hinzukommen problematische Wohnsituationen, Konsum brutaler Filme und Computerspiele, sozialer Neid und schlicht Langeweile.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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