Markus Lanz in hitziger Diskussion mit Precht über den Krieg in der Ukraine: "Die lachen dich aus"
Über das Vorgehen in Bezug auf den von Russland angezettelten Krieg, vertreten Markus Lanz und Richard David Precht unterschiedliche Standpunkte. Derzeit hält sich der ZDF-Moderator wegen Dreharbeiten in der Ukraine auf. In ihrem gemeinsamen Podcast, erklärte Lanz, warum die Ukrainer auf die Frage nach Verhandlungen nur lachen können.
Die jüngsten Ausgaben der ZDF-Talkshow "Markus Lanz" wurden mit einigen Tagen Vorlauf aufgezeichnet. Am Freitag erklärte sich der Grund: Lanz reist derzeit im Zuge von Dreharbeiten für eine TV-Reportage durch die Ukraine. In Folge 108 seines Podcasts "Lanz und Precht" meldete sich der Talker und Journalist bei seinem Gesprächspartner Richard David Precht aus einem Hotelzimmer in Kiew. "Es ist Abend, wir warten auf den mittlerweile schon fast gewohnten nächtlichen Luftalarm. Wenn das passiert, müssen wir unterbrechen."
"Du erlebst Menschen, die anderthalb Jahre Ausnahmesituation leben"
Für die Dauer der Podcast-Unterhaltung trat der Alarmfall nicht ein, und so hatte Markus Lanz Gelegenheit, ausführlich über seine Erlebnisse und Eindrücke der vergangenen Tage zu sprechen. "Ich darf und will mich nicht als der große Ukraine-Experte aufspielen", relativiert er vorweg seine Expertise. "Ich bin nur ein neugieriger Reporter, der durchs Land fährt." In dieser Rolle habe er Begegnungen gehabt "mit den ganz einfachen Menschen, die mir wahnsinnig unter die Haut gegangen sind".
Als "berührend, offen" und erstaunlich freundlich beschreibt Lanz das Aufeinandertreffen mit Ukrainerinnen und Ukrainern: "Du erlebst Menschen, die anderthalb Jahre Ausnahmesituation leben und die trotzdem immer ein Lächeln für dich übrig haben. Die immer freundlich reagieren, wenn sie hören, dass du aus Deutschland kommst. Die sich bedanken für das, was Deutschland macht. Das hat mich wahnsinnig bewegt."
Markus Lanz beeindurckt von den Menschen in der Ukraine
Konkret kommt Lanz unter anderem auf die Bekanntschaft einer Mutter und ihrer Tochter zu sprechen, beide schwerst kriegsversehrt. Ein Teenager aus Butscha schilderte ihm das Grauen der Kriegsverbrechen, die er erlebte und irgendwann "rächen" wolle. Ein Soldat habe ihm auf seinem Handy furchtbare Bilder von der Front bei Bachmut gezeigt. "Da siehst du Sachen, die kannst du dir nicht vorstellen", blieb Lanz an dieser Stelle im Vagen. "Er sagt: 'Ich komme damit gut zurecht.' Du merkst: Er kommt damit gar nicht zurecht."
Zugleich bewundere er, wie die Menschen im Land den Lebensmut nicht verlören, wie sie sich einen Alltag bewahrten, sogar Hochzeiten feierten. "Diese Resilienz, dieser Durchhaltewille, das beeindruckt einen, und man fragt sich immer: Könnte man das selber auch?", rekapituliert Lanz und formuliert auch seine Erkenntnis: "Ich glaube, wir könnten das auch, ich glaube, Menschen sind so."
Kontroverse Standpunkte
Während Richard David Precht die erste Podcast-Hälfte über weitgehend in der interessierten und spürbar bewegten Zuhörerrolle verbleibt, kommt er zur Mitte des Gesprächs auf die politischen Konsequenzen zu sprechen. Durchaus ein kontroverses Thema zwischen den befreundeten Podcastern. Precht hatte schon früh nach Beginn der russischen Invasion eine ukrainische Kapitulation aus moralischen Gründen empfohlen, dann eine "Fehlannahme" über deren Verteidigungsfähigkeit eingeräumt, später aber den Sinn weiterer Waffenlieferungen an das angegriffene Land infrage gestellt.
Von Lanz wollte er nun wissen, welches das "dominierendere Gefühl" nach den am Ort des Kriegsgeschehens gewonnenen Eindrücken sei: dass die Ukraine "koste es, was es wolle" das Unrecht zurückschlagen müsse, auch wenn das auf noch viele Jahre Krieg hinauslaufe? "Oder sagst du, jeder Tag, den dieser mörderische Krieg weitergeht, ist ein Verbrechen an den Menschen, die an ihm beteiligt sind?"
"Weder das eine noch das andere", antwortete Lanz und holte dann etwas aus. Dass die Ukraine den Krieg gewinnen und alle Gebiete befreien werde, sei zunächst mal eine "Durchhalteparole", die "ganz im Ernst" keiner in der Ukraine glaube. Precht hakte direkt ein, dass diese Annahme "in deutschen Talkshows" durchaus geglaubt werde, und nannte den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, den Politikwissenschaftler Carlo Masala und die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Beispiele.
"Da ist auf der anderen Seite eine Grausamkeit, die könnt ihr euch nicht vorstellen"
Markus Lanz hat deren Positionen anders verstanden, er vermutet hinter ihnen "taktische Erwägungen", um die Ukraine bei Waffenstillstandsgesprächen in eine machtvolle Position zu bringen. "Das Thema" in der Ukraine sei aber ein ganz anderes. Frage man die Menschen dort nach der Notwendigkeit von Verhandlungen, ernte man nur Unverständnis: "Die lachen dich aus. Die sagen: 'Wie denn? Da ist auf der anderen Seite eine Grausamkeit, die könnt ihr euch nicht vorstellen.'"
Precht entgegnet: Dass Russland den Krieg seinerseits nicht gewinnen könne, stehe doch ebenso fest. Lanz kontert: "Der Punkt ist, die Leute hier haben wirklich Angst. Die sagen: Wenn die Russen mit dem Krieg aufhören, hört der Krieg auf. Aber wenn wir aufhören, hört die Ukraine auf." Dieser Satz sei ein Schlagwort geworden, aber "natürlich ist an dem Argument wirklich was dran".
Um das zu begreifen, müsse man sich nur Fotos aus russischen Folterkellern ansehen, die es im Übrigen schon seit 2014 gebe und in denen unvorstellbare Grausamkeiten "Alltag" seien. "Das ist das, wovor die Menschen hier Angst haben". Precht versteht genau das nicht: "Wenn der Krieg eingefroren wird, dann ist doch die Hoffnung, dass das zu Ende geht, dann ist doch diese unmittelbare Bedrohung geringer." Lanz, der nur wiedergeben, aber "keine Position" beziehen möchte, hält dagegen: "Das glauben die denen eben nicht. Die Ukrainer sagen: Die machen weiter, die kommen wieder." Russland verkörpere in ihren Augen historisch "eine Kultur des Todes".
"Das kann wahrscheinlich nicht noch Jahre gehen." – "Doch."
Precht unterstellt daraufhin, so "grausig" der Krieg auch sei, die Russen kämen "aus ihrer Position gesehen aus rationalen Motiven" und nannte die Nato-Osterweiterung als Konfliktthema, das man in Verhandlungen zumindest denkbar lösen könne. Doch auch hier kann ihm Lanz wenig Hoffnung machen.
Die Ukrainer seien überzeugt, der Krieg dauere "noch Jahre". Precht hält das für illusorisch: "Das kann wahrscheinlich nicht noch Jahre gehen." Die erschütternde Replik: "Doch. Die Ukraine braucht 300.000 bis 400.000 Mann jedes Jahr, und das können die lange durchhalten." Precht: "Glaubst du, dass die Ukraine das gesamte Potenzial dieser Menschen sterben lässt?" Lanz: "Die Frage habe ich denen auch gestellt, aber die stellen sie sich nicht." Langfristige Perspektiven über den nächsten Tag hinaus entwickle niemand. "Erst mal geht's darum, durchzukommen."
In den kommenden Tagen will Markus Lanz weiter in Richtung der Kriegsfront nach Süden aufbrechen, nach Mykolajiw und Cherson, um dann über die Hafenstadt Odessa wieder Richtung Deutschland zu reisen: "Wir müssen mal sehen, ob wir diesen Plan tatsächlich aufrechterhalten können."
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH