Pommes, Chlor und 90er-Nostalgie: Ein Gespräch mit Jeannine Michaelsen




In "Für immer Freibad" kehrt Moderatorin Jeannine Michaelsen (43) nicht nur wieder einmal auf die Leinwand zurück, sondern auch gedanklich in ihre eigene Jugend der 90er-Jahre – in eine Zeit, in der der Sommer noch nach Chlor, Pommes und Freiheit schmeckte. Der Film (Donnerstag, 14. August, 20.15 Uhr, ZDF, sowie vorab in der Mediathek) ist weit mehr als ein nostalgischer Rückblick: Regisseurin Laura Fischer erschuf einen Ort, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart treffen, an dem Familienfragen, Freundschaft und das Lebensgefühl einer Generation zusammenkommen – und an dem kulturelle Grenzen nicht nur im Wasser kurzerhand verschwimmen. Im Interview spricht die vielseitige Bühnenkünstlerin und Mutter einer Teenager-Tochter Michaelsen darüber, warum das Freibad für sie schon immer mehr war als ein Ort zum Planschen und was sie ihrer Tochter über diese Zeit mitgibt. Das "Joko gegen Klaas – Das Duell um die Welt"-Urgestein weiß, weshalb es gerade heute Geschichten braucht, die verbinden, statt zu trennen. Ein Gespräch über Selbstfindung und das Spannungsfeld zwischen Erwartungsdruck und Lebenswirklichkeit. Ach, die herrlich echten 90er-Jahre ...
prisma: Frau Michaelsen, waren Sie diesen Sommer selbst schon einmal im Freibad?
Jeannine Michaelsen: Ja, aber ehrlich gesagt bin ich eher der Seegänger. Naturgewässer sprechen mich mehr an. Freibäder sind oft rappelvoll, gerade in Großstädten. Die Seeumgebung gefällt mir da einfach besser. Was dort aber fehlt, ist die Pommesbude – da hat das Freibad klar die Nase vorn.
prisma: Abgesehen von den Schwimmbad-Pommes: Was war Ihr persönlicher Freibad-Moment, der Ihnen für immer in Erinnerung bleibt?
Michaelsen: Ich glaube, das war immer die Sprungturm-Situation. Eine Mischung aus Mutprobe, Sozialstudie und Treffpunkt der coolen Kinder – mit ständigem Kampf zwischen Sicherheitsbedürfnis und Performancedruck. Anstehen, gucken, wer da steht, sich nicht trauen oder gerade deshalb hochgehen. Ab dem Fünfer immer dieses 'Springe ich oder nicht?' Sobald man vorne steht, muss man. Lustigerweise hat der Sprungturm für mich bis heute seinen Reiz nicht verloren. Selbst beim Dreh sind wir nach Feierabend alle nochmal hoch – der Zauber bleibt.
"Hoffentlich lernt jeder irgendwann, diese Vergleiche nach und nach abzulegen"
prisma: Für viele ist Springen ein Gefühl von Freiheit, wofür das Freibad im Film steht. Allerdings war die Zeit um die Jahrtausendwende in vielen gesellschaftlichen Bereichen auch von Erwartungsdruck geprägt.
Michaelsen: Ja, aber ich glaube, dieser Erwartungsdruck entsteht oft durch den Vergleich mit Freundinnen und Freunden. Sei es, weil eine schon mit zwölf weiß, was sie werden will, während man selbst noch keine Ahnung hat: Krankenschwester, Pferdepflegerin, Hirnchirurgin oder Astronautin? Von meiner Familie habe ich diesen Druck nicht bekommen, aber innerlich war er da. Gerade wenn andere eine klare Leidenschaft hatten – sechsmal die Woche Handball -, dachte ich: Warum mache ich das nicht? Oder wenn andere schon geknutscht haben und man selbst noch nie.
prisma: Sie kennen dieses Spannungsfeld also aus Ihrer eigenen Jugend?
Michaelsen: Ja, ich glaube, dieser Prozess des Teenager-Daseins ist ziemlich zeitlos. Jetzt, wo ich selbst eine Teenager-Tochter habe, sehe ich das noch einmal ganz deutlich: Dieser Druck entsteht, weil man merkt, dass man nur Teil einer größeren Welt ist, zu der man dazugehören möchte. Dann fangen vor allem Jugendliche an, sich zu vergleichen. Hoffentlich lernt jeder irgendwann, diese Vergleiche nach und nach abzulegen. Ich muss sagen, ich hatte das Glück, dass es damals noch kein Social Media gab.
prisma: Weil das die persönliche Entwicklung und Vergleiche noch schwieriger macht?
Michaelsen: Ich war nicht im Internet unterwegs, hatte kein Facebook, Instagram oder TikTok, wo mir ständig Ideale vorgespielt wurden, die ich für real halten sollte. Ich hatte nur mein persönliches Umfeld und meine eigenen Erfahrungen. Selbst damit hatte ich schon zu kämpfen, denn oft dachte ich: "Oh Mann, die anderen wissen schon, worum es im Leben geht, und ich stümpere noch herum." Heute bin ich wahnsinnig dankbar, dass ich in den 90ern aufgewachsen bin und mich nicht ständig mit dieser nicht ganz realen Welt vergleichen musste, in der man als Teenager eigentlich nur verlieren kann. Insofern war die Zeit damals leichter, und ich bin sehr froh, dass meine Teenagerjahre in den 90ern lagen und nicht heute.
"Ein Raum, in dem es um mehr als nur Konsum geht"
prisma: Welche Lehren können vor allem junge Menschen heutzutage aus dieser Zeit ziehen?
Michaelsen: Ich glaube, heute ist es wichtiger denn je, Kinder und Jugendliche an die Hand zu nehmen und ihren Blick auf sich selbst zu schärfen – also weg vom ständigen Vergleich. Dazu gehört ein offener Umgang mit Social-Media-Inhalten, auch wenn das nervt. Ich finde eine Einschränkung ehrlich gesagt auch wichtig – in Bezug auf die Nutzungsdauer und die Plattform. Begleitung ist wichtig: über Inhalte sprechen, Abstand schaffen, Offline-Momente ermöglichen.
prisma: Verbote aussprechen?
Michaelsen: Mittlerweile sollten Eltern Jugendliche nicht mehr von Social Media fernhalten, es gehört zur Welt dazu. Aber wir können Alternativen schaffen, die attraktiver sind und ihnen andere Zugänge ermöglichen. Gemeinsam etwas unternehmen, Sport, kreative Hobbys – all das hilft. Vor allem wir als Eltern können uns nicht einfach zurücklehnen und sagen: 'Mein Kind hängt nur am Handy.' Da kann sich niemand aus der Verantwortung ziehen.
prisma: Sie als Medienprofi sind da vielen Eltern gegenüber allerdings im Vorteil ...
Michaelsen: Menschen, die beruflich mit Medien zu tun haben, haben natürlich einen anderen Zugang. Wenn mein Kind jedoch eine Leidenschaft entwickelt, von der ich keine Ahnung habe – sagen wir Astrophysik -, dann habe ich über mein Kind doch bereits einen Zugang dazu. Das gilt auch für Social Media. Wenn ich sage, das ist für mich alles Neuland, kann ich trotzdem fragen: 'Zeig mir doch mal, was du da machst, wie das funktioniert.' So entsteht Interesse, Austausch und ein Raum, in dem es um mehr als nur Konsum geht, in dem man sich nicht nur im Netz wegbeamen kann. Parallel dazu sehe ich unser Schulsystem stark in der Pflicht.
prisma: Inwiefern?
Michaelsen: Das Schulsystem muss diese Inhalte dringend in den Unterricht integrieren und Medienbewusstsein schaffen. Die Kinder arbeiten mit iPads, also ist es Quatsch, ihnen nicht zu erklären, wie Social Media funktioniert, was mit Daten und Fotos passiert, wie man Inhalte verifiziert und so weiter. Das passiert an einigen Schulen schon, aber wie so oft: absolut ausbaufähig.
"Schritt für Schritt wurde man unabhängiger"
prisma: Was war für Sie das Schönste damals?
Michaelsen: Ich glaube, das Schöne an damals war dieses Gefühl, dass alles möglich ist. Im Teenageralter bekam ich mehr Freiheit, durfte länger raus und dachte: Jetzt packe ich mir das Leben. Gleichzeitig hatte ich mit den großen Themen des Erwachsenseins noch nichts zu tun: keine Steuererklärung, keine Verantwortung, andere kümmern sich darum, dass man isst (lacht). Dann sind da die ersten Male: Konzerte, Festivals, das erste Mal allein mit Freunden verreisen. Schritt für Schritt wurde man unabhängiger – und wenn es zu gruselig wurde, konnte man immer noch zu Mama oder Papa nach Hause gehen. Das ist der Zauber dieser Zeit: Sie ist aufregend, leicht und voller Möglichkeiten. Für mich waren das die späten 90er und die Nullerjahre mit der besonderen Aufregung des Jahrtausendwechsels. Dieses Level an Aufregung hält nicht ewig an, aber zwischen 16 und 20 fühlt sich alles wahnsinnig groß und wichtig an.
prisma: Sehen Sie die Entscheidungen, die Sie an den wesentlichen Weichen getroffen haben, mit Wehmut oder gar Reue?
Michaelsen: Bei den großen Weichenstellungen muss ich sagen: Nein. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Berufswahl und den Entscheidungen, die ich danach getroffen habe, weil ich dabei immer meinem Gefühl gefolgt bin. Ich bin dankbar, dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene – aus Bauchgefühl und Leidenschaft heraus, ohne dass mir jemand aus der Familie reingeredet hat. Diese Eigenständigkeit trägt mich bis heute und ich habe keine Reuemomente.
prisma: Sie würden wirklich gar nichts ändern wollen?
Michaelsen: Nicht unbedingt ändern, aber was mir manchmal fehlt, ist die Trennung zwischen öffentlichem und privatem Ich. Früher standen Künstler nur dann in der Öffentlichkeit, wenn sie ein Buch, einen Film oder eine Tour präsentierten – danach zogen sie sich wieder zurück. Heute ist das schwieriger, weil Social Media immer präsent ist. Ich wäre lieber in dieser Zeit Künstler gewesen, weil mir diese punktuellen Auftritte näherliegen. Ich nutze Social Media trotzdem gerne, aber nur, wenn ich Lust habe. Dann kann es auch mal sein, dass drei Wochen nichts passiert. Das passt zwar nicht zu den Algorithmen, aber das ist dann eben so (lacht).
"Wir kommen langsam raus aus dieser Hilfestellungsrolle"
prisma: Fühlen Sie sich heute als Frau anders wahrgenommen von der Öffentlichkeit als noch zu Ihren Karriereanfängen?
Michaelsen: Ich glaube, dass wir Frauen heute in einem breiteren Spektrum wahrgenommen werden, weil unsere Rollen akzeptierter sind und weil über uns anders berichtet wird. Wir kommen langsam raus aus dieser Hilfestellungsrolle. Wie oft waren Frauen im Film bloß eine Art Steigbügelhalter für die Geschichte der männlichen Hauptfigur? Das passiert zwar immer noch, aber weil vor und hinter der Kamera mehr Frauen sichtbar sind, ändern sich die Erzählweisen. Das war auch bei unserem Film so. Er ist vor allem deshalb so gut geworden, weil wir eine fantastische Regisseurin hatten. Sie hat mit großer Einfühlsamkeit gearbeitet und allen, egal wie groß ihre Rolle war, das Gefühl gegeben, wichtig für den Film zu sein. So entstand eine Atmosphäre der Wertschätzung und der intellektuellen sowie kreativen Gleichwertigkeit.
prisma: Sie sprechen bei "Für immer Freibad" also über einen Film von Frauen für Frauen?
Michaelsen: Nein, nicht nur. Aber wenn mehr Geschichten von Frauen durch Frauen erzählt werden, wird Weiblichkeit anders wahrgenommen. Wenn eine queere Person ihr eigenes Leben erzählt, wird das immer anders sein, als wenn ein weißer Mann in seiner Geschichte über ein homosexuelles Paar schreibt. Und wenn jemand über das spricht, was er selbst erlebt, ist die Perspektive eine andere.
"Viele Familien können sich häufige Besuche kaum noch leisten"
prisma: Was sollen die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Film mitnehmen?
Michaelsen: Ich glaube, was viele aus dem Film mitnehmen, ist ein Gefühl von Nostalgie und die Wärme der Erinnerung an eine Zeit, in der der Fokus ein anderer war und wir weniger abgelenkt waren. Gleichzeitig zeigt der Film, dass viele Themen zeitlos sind: erwartungsvolle Eltern, Selbstfindung, Druck – all das gibt es heute genauso. Nur haben wir heute viel mehr Gründe, nicht genau hinzusehen. Die Figuren im Film zeigen das sehr gut: Die Bademeisterin oder der Bademeister sind in ihren 30ern noch auf der Suche nach Zufriedenheit. Oder der Kioskbesitzer, der vielleicht so aussieht, als hätte er "es nicht geschafft", der aber am Ende einfach ein glücklicher Mensch ist. Es geht darum, zu erkennen, dass wir trotz aller Möglichkeiten verletzliche Wesen auf der Suche nach uns selbst sind. Und dass es gut ist, wenn uns dabei jemand begleitet.
prisma: Seit 2000 ist ungefähr jedes zehnte Schwimmbad in Deutschland geschlossen worden. Das kann doch unmöglich daran liegen, dass niemand mehr Lust auf dieses Gefühl von Freiheit hat.
Michaelsen: Freibäder sind – noch mehr als Hallenbäder – echte soziale Treffpunkte. Ich kenne niemanden in meinem Alter, der nicht viele schöne Erinnerungen an Sommer im Freibad hat. Gerade für kleinere Städte wird so ein Bad beispielsweise wegen der Instandhaltung aber schnell zum Kostenproblem. Viele Familien können sich häufige Besuche kaum noch leisten. Dabei sind Freibäder enorm wichtig – für Kinder, Jugendliche, Familien und auch für ältere Menschen, für die Schwimmen oft die einzige Sportart ist, die sie dauerhaft machen können. In Köln sind wir noch gut ausgestattet, aber selbst hier merkt man: Die Bäder sind im Sommer überfüllt.
prisma: Ausgerechnet hier wird auf kommunaler Ebene oft zuerst gespart.
Michaelsen: Ja leider, weil Freibäder nur ein halbes Jahr aufhaben und als nicht profitabel gelten. Dabei sind es Orte, an denen unterschiedlichste Menschen aufeinandertreffen. Genau solche Räume für kulturellen Austausch braucht jede Stadt. Aber am Ende sind es Einrichtungen und Firmen – und die wollen eben Profit machen.
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Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH