"Geliefert"-Schauspielerin

Anne Schäfer: "Das Geklatsche war wieder so eine Symbol-Sache"

von Eric Leimann

Ein Paketbote und alleinerziehender Vater steht im Fokus des Dramas "Geliefert". Anne Schäfer die Freundin eines von Bjarne Mädel dargestellten Paketboten. Ein Gespräch über Alltagshelden und moderne Ausbeutungssysteme.

Anne Schäfer plädiert als Schauspielerin für ein bewussteres, nachhaltiges Leben. Nachdem man das letzte Interview in einem Hamburger "Zero Waste"-Café führte, befindet sich die 42-Jährige nun auf dem Weg zum Dreh eines neuen "Barcelona-Krimis" mit Spielpartner Clemens Schick – und redet am Telefon über den tatsächlich außergewöhnlichen ARD-Film "Geliefert" (Mittwoch, 13. Oktober, 20.15 Uhr, Das Erste). Darin spielt sie die Freundin eines von Bjarne Mädel hinreißend verkörperten Paketboten, der trotz täglichem Knochenjob kaum genug Geld verdient, um sich und seinen halbwüchsigen Sohn in der "Mitte der Gesellschaft" und über Wasser zu halten. Im Interview spricht Anne Schäfer darüber, warum es so wenige Filme wie dieses ARD-Kleinod gibt und was wir tun müssten, um die Gesellschaft nachhaltiger und gerechter zu machen.

prisma: Der englische Regisseur Ken Loach drehte 2019 den gefeierten Film "Sorry We Missed You" über das harte Leben eines Paketboten. Ist "Geliefert" die deutsche Version?

Anne Schäfer: Ich weiß, dass unser Autor und Regisseur Jan Fehse den englischen Film liebt, aber seine Inspiration für "Geliefert" kommt aus der eigenen Familie. Er hat wohl einen Onkel, der ebenfalls ein solcher Held des Alltags ist, wie Bjarne Mädel ihn spielt.

prisma: Was heißt "Held des Alltags" in diesem Fall?

Anne Schäfer: Jemand, der unter widrigen Bedingungen sehr viel arbeitet, dafür schlecht bezahlt wird und trotzdem immer seine Integrität und Würde behält – und dabei noch seinen Mitmenschen hilft.

prisma: Heldengeschichten gibt es viele im Kino und im Fernsehen. Wie schwierig ist es, solch ungewöhnliche Helden wie einen Paketboten gut zu treffen?

Anne Schäfer: Künstlerisch ist es vielleicht nicht einfach, das ist auch immer eine Frage des Genres. Tatsächlich trifft man die Helden des Alltags aber jeden Tag. Es ist interessant, dass wir die Corona-Pandemie benötigten, um die sogenannten systemrelevanten Berufe überhaupt wahrzunehmen – also jene Leute, die unser Alltagsleben am Laufen halten. Jene Menschen, die uns Pakete liefern, Wohnungen und Büros putzen oder im Supermarkt arbeiten. Menschen, die ohne Impfung unter hohem Risiko trotzdem arbeiten mussten, obwohl alles andere stillstand – damit dieses Land funktioniert.

prisma: Die "Systemrelevanten" leben und arbeiten oft in prekären Verhältnissen. Nachdem anfangs für Pflegekräfte auf Balkons geklatscht wurde, hieß es bald: Hört auf zu klatschen, tut lieber etwas, das uns wirklich weiterhilft ...

Anne Schäfer: Ich hatte von Anfang an ein komisches Gefühl bei dem Geklatsche. Ich fand's total doof. Es war wieder so eine Symbol-Sache, die einfach geht. Etwas, das man vor sich stellen und sagen kann: 'Ich stehe auf der richtigen Seite'. Allerdings ohne meinen bequemen Lebensstil und meine privilegierte Position im Leben aufzugeben. Eine Haltung, die man vor sich herträgt, anstatt sie wirklich einzunehmen.

prisma: Was müssten die Privilegierten tun, um die Lage der systemrelevanten Geringverdiener wirklich zu verbessern?

Anne Schäfer: Man muss die richtigen Parteien wählen. Jene, die diese Menschen unterstützen. Und natürlich muss man seinen Lebensstil ändern. Im Film gibt es einen jungen Mann, der sich den Wein aus dem Weinladen im Erdgeschoss seines Hauses per Paketdienst nach oben liefern lässt. Warum? Weil der Preis derselbe ist, als wenn er ihn selber hochtragen würde – sagt er. Das wirkt absurd, aber wie viele Leute kenne ich, die sich neuerdings ihr Wasser liefern lassen, das sie früher selbst im Getränkeladen abgeholt haben. Man könnte sich stattdessen auch einen Wassersprudler kaufen – und noch mehr in Sachen Nachhaltigkeit tun.

prisma: Sie plädieren dafür, im Alltag mehr darüber nachzudenken, an welchen Stellen man moderne Ausbeutungssysteme unterstützt ...

Anne Schäfer: Genau. Wir schieben derlei Gedanken oft weg, weil das Liefern für uns so verlockend und bequem ist. Es ist ein modernes Verführungssystem. Natürlich gibt es das Argument, dass man durchs Bestellen Arbeit sichert. Ja, das stimmt – aber man sichert schlecht bezahlte Arbeit! Weil wir alles mega billig, schnell und bequem einkaufen wollen, sorgen wir dafür, dass Menschen bei Amazon und Co. unter widrigsten Bedingungen schuften müssen.

prisma: Wächst das Bewusstsein für diese Problematik in unserer Gesellschaft?

Anne Schäfer: Ich habe den Eindruck, das Bewusstsein wächst, aber die Leute ändern ihr Verhalten noch zu wenig. Es ist das gleiche Phänomen wie beim Klimawandel. Fast jeder hat das Problem erkannt, will aber seinen Lebensstil nicht ändern. Wir müssen damit anfangen, unsere Komfortzonen zu verlassen.

prisma: Im Filmgeschäft gibt es mittlerweile Siegel wie "Green Shooting". Damit können Produktionen ein umweltbewusstes, nachhaltiges Arbeiten nachweisen. Ändert sich Ihre Branche gerade?

Anne Schäfer: Filmproduktionen mit Umweltsiegel nehmen definitiv stark zu. Ich bin bei "Changemakers". Da haben sich Schauspieler mit anderen Gewerken zusammengeschlossen, um sich im Sinne einer freiwilligen Selbstkontrolle zu verpflichten. Es geht darum, was jeder Einzelne tun kann, um nachhaltiger und umweltbewusster in der Filmproduktion zu arbeiten.

prisma: Wie kommt das speziell bei den Schauspielern an?

Anne Schäfer: Bei den meisten sehr gut. Kritiker sind meist männlich und um die 50. Lange Zeit wurde viel vom wenig nachhaltigen Aufwand, der beim Drehen betrieben wird, auf die Schauspieler geschoben. Da hieß es dann: Die Schauspieler brauchen den Luxus. Sie brauchen das Fleisch beim Catering, das Taxi, den Inlandsflug und so weiter. Da sagen wir von "Changemakers", dass das so nicht stimmt und uns auch niemand gefragt hat, ob wir den Luxus so haben wollen. Es haben sich Hunderte von Kolleginnen und Kollegen gefunden, die unterschrieben haben, dass sie bereit sind zugunsten des Klimas auf Luxus zu verzichten.

prisma: Sind dies noch Anfänge oder hat sich die Situation an den Filmsets vor Ort schon deutlich verändert?

Anne Schäfer: Die Situation beginnt sich zu verändern, eine gewisse Dynamik ist zu spüren. Der Bundesverband Schauspiel setzt sich gemeinsam mit den Filmförderungen dafür ein, dass es festgelegte Standards für grünes Drehen gibt. Wir finden, dass man öffentliche Förderung für Filme auch an solche Standards binden sollte. An vielen Sets gibt es mittlerweile den Beruf des "Green Consultant" – das ist jemand, der darauf achtet, dass die Umweltstandards einhalten werden.

prisma: Fühlen sich manche durch solche Maßnahmen gegängelt?

Anne Schäfer: Ja, aber das ist die Minderheit. Es verhält sich wie mit der Frauenquote. Auch da gibt es viele Skeptiker, die sich fragen: 'Muss das sein? Ist diese Frau nicht nur wegen der Quote auf dieser Position?' Trotzdem bin ich klare Verfechterin der Frauenquote wie auch der Umweltstandards. Man braucht erst mal solche auf manche Menschen starr wirkenden Regeln, bis sich die Veränderung, die man erzielen will, durchgesetzt hat. Es ist wie mit dem Rauchen im Zug, in Restaurants oder im Kino. Es gab das Verbot, das war für viele anfangs krass, aber wenige Jahre später redet keiner mehr darüber. Es braucht strengere Gesetze und Regeln, damit die Gesellschaft notwendige Veränderungen schneller vollzieht.

prisma: Sie drehen nach einem Jahr Corona-Pause jetzt wieder zwei "Barcelona Krimis". Wie ist der Umweltstandard in dieser Produktion?

Anne Schäfer: Beim "Barcelona-Krimi" achten wir schon seit Jahren auf Umweltstandards. Es gibt zum Beispiel keine Einweg-Plastik-Flaschen am Set. Wir achten darauf, dass jeder seinen eigenen Getränkebehälter mitbringt, in die man das Wasser zapfen kann. Ich persönlich fliege an den Wochenenden nicht heim zu meiner Familie. Ich habe ein Leih-Fahrrad vor Ort und benutze privat öffentliche Verkehrsmittel. Bei allen Produktionen redet man mittlerweile darüber, dass es zumindest einen Veggie-Tag pro Woche geben muss. Das finde ich persönlich zu wenig. Ich denke, man sollte sich eher einen Fleischtag pro Woche gönnen. Da soll es dann richtig gutes Fleisch geben, dann leben alle gesünder, nachhaltiger und besser. Wir sollten zum Sonntagsbraten zurückkehren. Fleisch muss wieder etwas Besonderes werden, kein billig produzierter Essens-Standard. Natürlich gibt es auch gute Gründe, ganz auf Fleisch zu verzichten, aber das ist eine freiwillige Entscheidung.

prisma: Noch mal zurück zu "Geliefert". Warum gibt es eigentlich so wenige Filme wie diesen im Fernsehen – also Geschichten, die nicht fest in ein Format wie zum Beispiel den Krimi hineinpassen?

Anne Schäfer: Ich glaube, das hat mit Ängsten bei Filmemachern und Produzenten zu tun. Sie fürchten, dass das Publikum keinen Anknüpfungspunkt an die eigenen Unterhaltungsgewohnheiten finden könnte. Ich halte diese Ängste für unberechtigt. Wir müssen wieder mehr Zutrauen in Geschichten und Autoren haben – Schreiben ist kein Hobby. Autoren sollten fürs Schreiben bezahlt werden und nicht erst, wenn ihr Buch verkauft ist. Wenn ein Stoff fertig ist und das künstlerische Team steht, muss man die Leute auch einfach mal machen lassen. Dann wird es auch mehr Filme wie "Geliefert" geben.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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