"Überall ist Hass"

Lauterbach fordert empfindliche Strafen für Social-Media-Konzerne

19.03.2024, 08.41 Uhr
von Doris Neubauer

Die AfD dominiert TikTok und punktet bei den Jungen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ein "Gegengewicht" schaffen – und zeitgleich Konzerne strenger regulieren und gegebenenfalls bestrafen. Digital-Experte Sascha Lobo hält eine mögliche "Verbotsdebatte für grundfalsch".

"Echte Männer sind rechts, [...] echte Männer sind Patrioten, dann klappt's auch mit der Freundin": Mit solchen Aussagen sei AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah auf TikTok "extrem erfolgreich". "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth brachte den Beweis: Laut Statistik würden Krahs Videos und die anderer AfD-Politiker mehr als doppelt so oft angeklickt wie die Auftritte anderer Politiker und Parteien.

"Nicht jede Art von Bekanntheit ist automatisch ein Erfolg", zeigte sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) davon im ARD-Talk am Montagabend nicht beeindruckt. "Es ist sicher möglich, interessant zu sein, ohne sich zum Hans-Wurst zu machen." Wie Krah wolle er jedenfalls nicht auftreten, denn "ich möchte mich nicht zum Gespött der Zuschauer machen".

Als erstes Regierungsmitglied hatte Lauterbach kürzlich sein erstes TikTok-Video gepostet, um ein "Gegengewicht zur AfD zu bilden" und Inhalte "spritzig rüberzubringen". So wolle er das Cannabis-Gesetz mit ein paar Worten erklären, brachte er ein Beispiel. "Kommt das jetzt?", wurde Louis Klamroth sofort hellhörig. "Es steht auf Messers Schneide", gestand der Minister, er werde aber dafür kämpfen, es am Freitag im Vermittlungsausschuss durchzubringen.

Sascha Lobo: AfD-Erfolg ist "nicht ausschließlich auf Tiktok zu schieben"

"Ich halte es für Meinungsbildung essenziell, dass auch das mit Abstand wichtigste und interessanteste Instrument in den digital-sozialen Medien von der Bundesregierung bespielt wird", betonte Digitalexperte Sascha Lobo. Der Erfolg der AfD in der jungen Generation sei nicht "ausschließlich auf TikTok zu schieben". Vielmehr sei der Erfolg von Krah und Co. auf der Plattform die Folge des Versagens der Politik in vielen anderen Bereichen und die "Folge, dass sich viele Junge von der Parteipolitik in Deutschland nicht ernst genommen fühlen", analysierte er.

Generell ortete Lobo überwiegend "positive Auswirkungen von Sozialen Medien", durch sie sei der Austausch zwischen dem "Planet Politik und der Bevölkerung einfacher geworden". Dennoch gebe es auch "katastrophal negative Auswirkungen", gab er zu und verwies etwa darauf, "dass TikTok Debatten im eigentlichen Sinn verschiebt". So habe der Algorithmus nachweislich dafür gesorgt, dass dicke oder queere Menschen weniger Reichweite erhielten und seltener viral gingen.

Dies gelte auch für politische Debatten: "Herr Krah ist nicht nur Putin-freundlich, sondern auffällig China-freundlich. Und wenn ein China-freundlicher Politiker in Deutschland besonders viel Erfolg auf TikTok hat, kann man fragen, warum das so ist", brachte der "Spiegel"-Kolumnist ein provokantes Beispiel.

Lauterbach über Social Media: "Mist wird verbreitet"

Dass in den USA zudem aus Angst vor einer Datenspionage aus China ein Verbot von TikTok diskutiert wird, dessen war sich auch Karl Lauterbach bewusst. Er habe sich für die die Social-Media-App ein eigenes Handy angeschafft, "auf dem nichts drauf ist, das erspäht werden könnte". Auf Lobos Hinweis, dass ein Nicht-Regierungshandy interessante Daten wie Ortsdaten ausgebe, meinte Lauterbach, selbige seien abgeschaltet.

Klamroths Frage, ob die Nutzung von TikTok eine Legitimation der Plattform darstelle, wies er von sich. Er wolle sich sozialen Medien nicht verweigern, "sondern der großen Gruppe, die dort unterwegs ist, etwas anbieten". Gleichzeitig sprach er sich für eine stärkere Regulierung und empfindliche Strafen gegenüber Konzernen aus, denn: "Überall ist Hass, sind Drohungen und Mist wird verbreitet, der dort nicht hingehört." Konzerne verständen "keine andere Sprache, als sechs Prozent des Umsatzes abzuführen in Form von Konventionalstrafen", meinte er. Der SPD-Politiker könnte sich auch vorstellen, "drastische Möglichkeiten zu erwägen", wie etwa die App aus deutschen Stores zu verbannen. "An dem Punkt sind wir aber nicht", fügte er hinzu.

"Wenn wir über Verbote sprechen, verunsichert das eine ganze Generation", hielt Sascha Lobo die "Verbotsdebatte für grundfalsch". Vielmehr bedürfe es einer "intensiven Aufklärung der jungen Menschen, wie soziale Medien und Internet funktionieren". Der Digitalexperte fordere seit 20 Jahren "ein Schulfach Interneterziehung und wie die deutsche Bildungspolitik unterwegs ist, wird 2085 sicher etwas passieren".

Schulleiterin: Schulsystem ist "charmante Ruinenverwaltung"

"Das Schulsystem funktioniert für die Herausforderungen von heute nicht mehr", bestätigte Silke Müller, Schulleiterin einer Oberschule in Niedersachsen und Autorin, aus der Praxis. Es sei "charmante Ruinenverwaltung". Dies sei kein Angriff an die Lehrkräfte, vielmehr müsse man beispielsweise über die "heilige Kuh des Föderalismus" sprechen. "Um Interneterziehung, Medienbildung oder Ethik in Schulen – und eigentlich schon in der Kita – vermitteln zu können, braucht es einerseits Richtlinien, die für alle in Europa gelten", übte Müller klare Kritik an der Politik, den Kinder- und Jugendschutz nicht in den Fokus zu rücken.

Von einer "Überreglementierungsdebatte" hielt sie allerdings nichts. Wichtiger sei "gesellschaftliche Kompetenzbildung" und damit das Bewusstsein der Eltern, aber auch Ärztinnen, Lehrkräfte und andere über die Welt, in der sich die Kinder und Jugendlichen bewegen. "Ich kann nicht über TikTok reden, wenn ich niemals auf dieser Plattform war", meinte sie und fügte mit Blick auf Lauterbach hinzu: "Ihr Video ist schon nicht schlecht gewesen, aber vielleicht geht es noch besser."

Zum Thema "Wie gefährlich sind soziale Medien?" diskutierten bei Louis Klamroth außerdem Politiker Muhanad Al-Halak (FDP), Videoproduzentin und Autorin Tara-Louise Wittwer, YouTuber Alexander Prinz sowie die TikToker Mischa und Anthony.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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