Wir haben nachgeforscht

"Tatort" aus Münster wirft Frage auf: Schaden Mikrowellen dem Hirn?

18.03.2024, 09.02 Uhr
von Elisa Eberle

Ein scheinbar unglücklicher Todesfall führt die Münster "Tatort"-Kommissar Thiel (Axel Prahl) und den Rechtsmediziner Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) auf die Spuren schrecklicher Verbrechen zur Zeit der Wiedervereinigung. Im Laufe der Geschichte ermordet ein russischer Geheimagent Polizisten mithilfe von Mikrowellenstrahlung. Wie realistisch ist das?

Es hätte die Glanzstunde seiner Karriere werden können: "Wir haben 20 Morde auf einmal gelöst!", freute sich Kommissar Thiel (Axel Prahl) gegen Ende des 45. Münster-"Tatort: Unter Gärtnern" (Regie: Brigitte Maria Bertele, Buch: Regine Bielefeldt). Doch in letzter Sekunde machten russische Geheimagenten dem Team einen Strich durch die Rechnung: Sie vernichteten alle Beweise, befreiten die soeben überführte Mörderin (Margarita Breitkreiz) und tötete noch dazu eine Handvoll Streifenpolizisten per Mikrowellenstrahlung.

Die pure Existenz dieser Tötungsmethode hatten Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) und seine Assistentin Haller (ChrisTine Urspruch) erst einige Filmminuten zuvor experimentell nachgewiesen. Den entscheidenden Denkanstoß lieferten Berichte über das sogenannte Havanna-Syndrom. Was steckt wirklich hinter dieser 2016 erstmals nachgewiesenen mysteriösen Erkrankung?

Worum ging es im "Tatort"?

Der 45. Kriminalfilm von Thiel und Boerne begann vergleichsweise gewöhnlich: In einem Schrebergarten wurde Sabine Schmid (Sibylle Canonica) tot aufgefunden. Zunächst deutete alles auf einen altersbedingten Tod hin. Als jedoch Thiel unweit der Leiche zwei tote Eichhörnchen entdeckte, wurde der Rechtsmediziner skeptisch. Die Obduktion der Leiche stellte den erfahrenen Rechtsmediziner vor noch größere Rätsel, denn sowohl die Frau als auch die Eichhörnchen schienen körperlich völlig unversehrt.

Im Schrebergarten der Toten fanden Boerne und Haller schließlich eine weitere Leiche: Der aufgrund seiner politischen Gesinnung als "der rote Polizist" bekannte Kollege wurde vor 30 Jahren von Schmid ermordet und im Gemüsebeet vergraben. Zuvor hatte er seinerseits versucht, den sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse zu ermorden. Schewardnadse, so erzählten die Zeitzeugen "Vadder" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) und der Historiker Ulrich Winer (Hans Uwe Bauer), hatte sich am 18. Juni 1990 mit dem deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) getroffen, um in Münster über die bevorstehende deutsche Wiedervereinigung zu verhandeln. Nach dem vereitelten Attentat auf Schewardnadse beging Schmid im Auftrag der USA etliche weitere Morde weltweit.

Worum ging es wirklich?

Der "rote Polizist" wurde erschossen, weitere Opfer von Schmidt wurden mit Nervengiften wie Botox oder Explosionen zur Strecke gebracht. Die Attentäterin selbst allerdings starb an einer ungewöhnlichen Ursache: Ihr Gehirn, so zeigte eine Computertomografie, wurde zu einer flüssigen Masse geschmolzen. Doch wie kann so etwas passieren?

Eine Postkarte aus Russland erinnerte Boerne schließlich an die Havanna-Morde: "Seit 2016 wurden 1.500 Fälle vom Havanna-Syndrom aus 96 Ländern gemeldet", erklärte er: "Am meisten übrigens von Mitarbeitern von US-Botschaften." Assistentin Haller entgegnete: "Ja, aber das alles sind doch sehr widersprüchliche Aussagen. Hundertprozentig belegt ist das doch alles nicht." Boerne hingegen hielt an seiner These fest: "Ich bitte Sie! Aus dem Nichts heftige Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Sehstörungen, Hörverlust?"

Gibt es das Havanna-Syndrom wirklich?

Was wie ein verrückter Einfall aus einem Science-Fiction-Comic klingt, ereignete sich tatsächlich in der namensgebenden Hauptstadt Kubas: Im Herbst 2016 klagten zahlreiche in Havanna lebende US-Diplomaten und ihre Angehörige über "rätselhafte Kopfschmerzen, Hörverlust, Schwindel und Übelkeit", wie etwa die "Tagesschau" berichtete. Weitere Symptome, die genannt wurden, waren Schlaflosigkeit, Tinnitus und Gedächtnisverlust.

Die US-amerikanische Botschaft reagierte und reduzierte ihr Personal vor Ort auf ein Minimum. Die ohnehin schon angeknackste Beziehung der beiden Staaten kam 2017 vollständig zum Erliegen. In den folgenden Jahren breiteten sich die mysteriösen Krankheitssymptome auch in anderen Ländern aus. Im August 2021 klagten Medienberichten zufolge mehrere Beschäftigte der US-Botschaft in Berlin über entsprechende Symptome.

Was verursacht das Havanna-Syndrom?

Viele der Betroffenen glaubten, Opfer eines Anschlags von Russland oder einer anderen Nation geworden zu sein. Einige berichteten von einem seltsamen Geräusch, das sie unmittelbar vor dem Auftreten der Symptome gehört haben wollen. Im Jahr 2022 kam ein unabhängiges Expertengremium zu dem Schluss, dass es sich bei dem Anschlag um den gezielten Einsatz elektromagnetischer Strahlung gehandelt haben könnte.

Demnach rührten die beschriebenen Töne von Druckänderungen im Gehirn her, die durch Erhitzung der Hirnmasse durch Mikrowellen verursacht seien. Gestützt wurde diese These unter anderem von dem US-amerikanischen Universitätsprofessor James Lin, der die vermeintlichen Töne bereits in den 1970-ern wahrgenommen haben will, nachdem er sich einem Selbstversuch unterzogen hatte.

Wurde das Rätsel jemals gelöst?

Im echten Leben wurde das Rätsel, was das Havanna-Syndrom ausgelöst haben könnte, nie geklärt: Im März 2023 veröffentlichten US-Geheimdienste einen Bericht, wonach sie von keinem Einfluss "ausländischer Gegner" ausgingen: Viele der 1.500 untersuchten Fälle hätten durch medizinische Erkrankungen, schlecht funktionierende Klima- und Lüftungsanlagen oder elektromagnetische Wellen, die von harmlosen Geräten wie einer Computermaus ausgingen, erklärt werden können. Vollständig abgeschlossen wurden die Untersuchungen allerdings nicht.

Gab es einen vereitelten Anschlag auf Eduard Schewardnadse?

Auch der im "Tatort" thematisierte Anschlag auf Eduard Schewardnadse entspricht nur in Teilen der Wahrheit: Der 2014 in Tiflis verstorbene Politiker musste gleich drei versuchte Anschläge in seinem Leben verkraften. Das erste Attentat fand am 3. Oktober 1992 im Georgisch-Abchasischen Krieg statt. Verantwortlich war das russische Militär. Das Treffen von Schewardnadse mit Genscher 1990 im Rathaus von Münster verlief hingegen friedlich.

Wie geht es mit dem Münster-"Tatort" weiter?

Durch die Befreiung der Hauptverdächtigen im Schrebergartenmord endet der "Tatort: Unter Gärtnern" überraschend offen. Dass der folgende 46. Film die Geschichte noch einmal aufgreifen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Dreharbeiten unter dem Arbeitstitel "Tatort: Der Fluch der Grabmaske" (Regie: Janis Rebecca Rattenni) haben im Februar 2024 begonnen.

Drehbuchautor Sascha Arango erzählt in dem Film vom mysteriösen Tod des Anwalts Oskar Weintraub (Nils Brunkhorst): Sein Körper wurde vom Speer einer exotischen Kriegerskulptur durchbohrt. Doreen Prätorius (Cordelia Wege), der das wie ein Museum eingerichtete Wohnhaus gehört, war bei dem Todesfall anwesend, kann sich allerdings an nichts erinnern.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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