"Eine der besten deutschen Serien 2023"

Kritik zu "Deutsches Haus": So gut ist die Serie von Disney+

14.11.2023, 12.24 Uhr
von Julian Weinberger

Diese Serie hat es in sich: Die Disney-Original-Serie "Deutsches Haus" dreht sich um den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 und holt die grausamen Taten der Nazis auf besondere Wiese zurück ins Bewusstsein.

Fünf Minuten dauert eine der eindrücklichsten Szene aus der neuen deutschen Disney-Serie "Deutsches Haus". Filmisch passiert nicht viel, die Macher verzichten auf einen Schnitt. Die Sequenz zeigt die Anklageverlesung eines Gerichtsprozesses, es ist mucksmäuschenstill. Denn der Inhalt steht für sich, lässt selbst den Staatsanwalt schlucken. Da ist von Massenerschießungen und Vergasungen die Rede, von schrecklichen Misshandlungen und Kindermorden. Die Anklageverlesung markiert den Auftakt zum ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963, der im Zentrum der Serie steht, die am 15. November startet.

Das alles ist schwerer Tobak, den viele Deutsche in der Wirtschaftswunderzeit nicht hören wollen. Der Krieg und die Gräuel der Nationalsozialisten sind längst verdrängt, der Blick ist nach vorne gerichtet. Und die jüngere Generation, die während des Krieges noch im Kindesalter war, besticht hauptsächlich mit Nichtwissen. So auch Eva Bruhns (Katharina Stark). Die junge Frohnatur packt in der titelgebenden Gaststätte ihrer Eltern Edith (Anke Engelke) und Ludwig (Hans-Jochen Wagner) mit an, ehe die Dolmetscherin unversehens mit einer neuen Aufgabe betraut wird: Sie soll bei dem Auschwitz-Prozess aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzen.

"Sie sind auch nur eins von den Millionen dummen Fräuleins"

"Sie sind auch nur eins von den Millionen dummen Fräuleins", wirft einer der Mitarbeiter von Staatsanwalt Hans Kübler (Max von der Groeben), David Miller (Aaron Altaras), Eva an den Kopf. Doch je länger der Prozess dauert, desto erschütternder offenbaren sich der jungen Übersetzerin die Wahrheit und die Taten der Angeklagten um Robert Mulka (Martin Horn) und Wilhelm Boger (Heiner Lauterbach). Durch ihren Job stellt Eva nicht nur die zarte Liebesbeziehung mit Versandmagnat Jürgen Schoormann (Thomas Prenn) aufs Spiel. Ihre Nachforschungen bringen auch ihre eigene Familie ins Wanken.

"Deutsches Haus" rekapituliert das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Entsprechend fällt die fünfteilige Disney-Produktion an vielen Stellen bedrückend, schockierend und teils unfassbar traurig aus. Als sich die jüdische Ärztin Rachel Cohen (phänomenal: Iris Berben) nach ihrer Zeugenaussage vor den selbstgefällig und siegesgewiss dreinblickenden Nazis aufbaut und ihrer Wut und Trauer freien Lauf lässt, zieht sich als Zuschauer vor dem Bildschirm unwillkürlich der Magen zusammen.

Richtigerweise verzichten die Regisseurinnen Randa Chahoud und Isabel Prahl darauf, die grausame Wahrheit abzumildern, um das Publikum zu schonen. Dadurch setzen die Macherinnen auch einen gelungenen Kontrapunkt zur gesellschaftlichen Sicht auf den Prozess von damals. Einer Gesellschaft, die alles totgeschwiegen hat. Einer Gesellschaft, in der Judenhass noch immer präsent ist. Einer Gesellschaft, in der angeklagte Nationalsozialisten in Vier-Sterne-Hotels residieren.

"Deutsches Haus" ist eine der besten deutschen Serien 2023

So schafft "Deutsches Haus" – eine Adaption des gleichnamigen Romans von Annette Hess – einen wichtigen Teil zur Erinnerungskultur. Zeitzeugen, die das Grauen von Konzentrationslagern und das nationalsozialistische Terrorregime ertragen mussten, wird es nicht mehr lange geben. Und doch verfällt die herausragende deutsche Produktion nie ins Schuldidaktische oder gar Dokumentarische. Der Kniff, die Geschichte durch die unschuldigen Augen von Eva Bruhns zu erzählen, erweist sich als äußerst wirkungsvoll. Dass quasi nebenbei noch das Hinterfragen von Geschlechterstereotypen und des damaligen Frauenbildes abgehandelt wird, komplettiert das gelungene Abbild der deutschen Gesellschaft Anfang der 1960er-Jahre.

Einzig die Vielzahl an Nebenhandlungssträngen trübt den ansonsten sehr guten Gesamteindruck. Gerne hätte man noch mehr über das Schicksal von David Miller herausgefunden oder erfahren, weshalb sich Evas Schwester Annegret (Ricarda Seifried) derart hartnäckig der Vergangenheit verschließt. Trotzdem gelingt Disney mit seiner dritten deutschen Serien-Eigenproduktion "Deutsches Haus" neben dem Netflix-Erfolg "Liebes Kind" die beste deutsche Serie des Jahres 2023.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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