Hintergrund zur Energiesicherheit

ZDF-Doku zeigt, wie Deutschland in "Putins Gasfalle" geriet

29.04.2023, 10.27 Uhr
von Christopher Schmitt

Infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine stieg in Deutschland die Sorge um die Energiesicherheit. Über Jahrzehnte hatte man sich von russischem Gas abhängig gemacht. Eine ZDF-Dokumentation legt eine aus heutiger Sicht haarsträubende Naivität politischer Entscheidungsträger offen.

Am 22. Juni 2022 musste ein mitgenommen aussehender Wirtschaftsminister verkünden: "Wir haben heute die Alarmstufe Gas" ausgerufen." Robert Habeck (Grüne) stand nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vor einer Mammutaufgabe: Deutschland unabhängig von russischem Gas zu machen. Wie diese verhängnisvolle Abhängigkeit entstand, zeichnet nun die "#WTF"-Dokumentation "Putins Gasfalle" (Dienstag, 2. Mai, ZDFinfo und aktuell abrufbar in der ZDFmediathek) nach. Von den ersten Annäherungen an die Sowjetunion über die Kumpanei zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin bis zur Sprengung der Nordstream-Pipelines, zeichnet der aufschlussreiche Film von Greta Zimmermann Schlüsselmomente von erschreckender Naivität nach: Deutschland hat für billiges Gas einen hohen Preis bezahlt.

Ein besonders entlarvendes Statement gibt Ex-Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) zur Situation: "Natürlich hat Russland Gas und Rohstoffe als Waffe eingesetzt, aber eben niemals gegenüber Deutschland." Aber etwa gegen Litauen und die Ukraine. Klare Warnungen gab es aus dem Ausland zuhauf, bereits frühzeitig. Das schwedische Verteidigungsministerium schrieb bereits 2006 in einer Risikoanalyse, Deutschland mache sich zu einer "Geisel der russischen Energieversorgung". Alles könne passieren, heißt es in den Dokumenten.

Heute ist kein Land in der EU so abhängig von Erdgas: Mehr als 20 Millionen Haushalte werden mit Gas geheizt, mit über 30 Prozent Anteil ist es der wichtigste Energieträger der Industrie. 2020 bezog Deutschland fast das gesamte Erdgas aus dem Ausland, 55,2 Prozent kamen aus Russland. Der Industriestandort Deutschland ohne Gas? Undenkbar. Hunderttausende Arbeitsplätze sind hierzulande eng mit dem Energieträger verknüpft. Wie konnte es so weit kommen?

Putin und Schröder: Eine nützliche Männerfreundschaft

Dafür wirft die Dokumentation einen Blick zurück. Am 1. Februar 1970 wird feierlich der Vertrag für die erste Gaspipeline aus der Sowjetunion nach Deutschland unterzeichnet, die Ruhrgas AG aus Essen klopft sich auf die Schulter. Das erste Gas ins deutsche Pipelinenetz fließt dann 1973 – ein Durchbruch für das deutsch-russische Verhältnis. Für Peter Altmaier sind diese guten Beziehungen auch für die spätere deutsche Einheit verantwortlich. "Wandel durch Handel" wird mit der Wiedervereinigung gekrönt, nach dem Fall des eisernen Vorhangs soll Russland zum wirtschaftlichen Partner werden.

Spannend wird es, als mit Wladimir Putin ein junger Präsident an die Macht kommt. "Putin stand für einen Durchbruch. Eine Chance für die Wirtschaft und die Entwicklung internationaler Beziehungen", fasst Oleg Buklemishev vom Forschungszentrum für Wirtschaftspolitik an der Universität Moskau zusammen. Am 25. September 2001 tritt Putin eine denkwürdige Rede im Bundestag an – auf Deutsch: "Der Kalte Krieg ist vorbei", erklärt der russische Präsident. "Die Rede war beeindruckend", resümiert Dr. Burckhard Bergmann, damals Vorstandsvorsitzender der Ruhrgas AG. Putins gewinnender Bundestags-Auftritt schafft Bilder mit großer Symbolik: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) klatscht in die Hände.

Putin sucht die Nähe zu Deutschland, und auch Gerhard Schröder nutzt die öffentlich zur Schau getragene Männerfreundschaft: Die damalige rot-grüne Regierung plant den Kohle-Ausstieg und Ende der Atomkraft, ein sogenannter Brücken-Energieträger soll her – und Nordstream 1 wird zum Prestigeobjekt. "Das war ein Projekt, das durchaus weite Zustimmung hatte", so Matthias Machnik, damals Bundesgeschäftsführer der SPD. Da keine Transitgebühren an europäische Nachbarländer anfallen, werden Milliarden eingespart.

Lettlands Ex-Präsidentin: "Einem kleinen Land wäre sicherlich Korruption vorgeworfen worden"

Die "#WTF"-Doku verdeutlicht nachdrücklich, wie stark deutsche Interessen im Fall von Nordstream 1 über die Bedenken von Staaten aus Ost- und Mitteleuropa gestellt wurden. Diese sahen in Nordstream 1 "ein Instrument, um diese Länder zu umgehen und sie anschließend mehr unter Druck setzen zu können von russischer Seite", wie Dr. Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik im Film ausführt. Die ehemalige lettische Präsidentin Vaira Vike-Freiberga stellt klar: "Natürlich haben wir unser Entsetzen deutlich zum Ausdruck gebracht." Gehör fand sie hierzulande nicht, ebenso wenig wie die Stimmen aus Polen und der Ukraine.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit macht Schröder den Deal fix, nur drei Monate später wird der SPD-Mann Aufsichtsratschef bei der Nordstream AG und steht ab sofort auf der Gehaltsliste des russischen Staatskonzerns Gazprom. "Einem kleinen Land wäre sicherlich Korruption vorgeworfen worden", klagt Lettlands Ex-Präsidentin an. "Aber weil es um das große Deutschland ging, fand man für die Beurteilung viel versöhnlichere, viel akzeptablere Worte."

Nach Schröders Abgang ändert sich wenig, auch Neu-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) steht hinter dem Gasgeschäft. Und das, obwohl sich Putins Machtapparat in Russland als zunehmend repressiv entpuppt. Wer den Machtkampf mit Putin sucht, muss mit allem rechnen. In Deutschland herrschte lange weiterhin das Narrativ des verlässlichen Partners – egal, was passiert.

Russland annektiert die Krim – und die Reaktion bleibt aus

Selbst nachdem Russland 2014 die Krim annektiert, werden die Verflechtungen ausgebaut. Nur ein Jahr später bewilligt die Bundesregierung Nordstream 2 und sorgt so für Entsetzen in Europa. Zudem geraten wichtige Gasspeicher hierzulande zu 100 Prozent in die Hände von Gazprom. Laut Dr. Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, zog Russland folgendes Fazit daraus: Deutschland kritisiert zwar, kehrt jedoch immer wieder zum Status Quo zurück.

Teils auch mit dubiosen Methoden, wie der Gründung einer "Klima und Umweltstiftung" in Mecklenburg-Vorpommern, um Nordstream 2 trotz US-Sanktionen an Russland weiterbauen zu können. In Betrieb ging die Pipeline bekanntlich nie, im vermeintlich vertrauensvollen Partner hat man sich getäuscht.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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