"Die USA und der Holocaust": Hätte die US-Regierung mehr Menschen retten können?
Es ist eine provokante Fragestellung: Hätte Amerika den Holocaust verhindern können? Hätten mehr Juden aufgenommen werden müssen? Eine sechsteilige Doku-Serie bei ARTE zeigt die von Vorurteilen geschürte Fremdenfeindlichkeit als Ursache der Abschottung Amerikas in der NS-Zeit.
Hätte es viele der sechs Millionen Juden, die von den Nazis ermordet wurden, retten können? Die sechsteilige US-Doku-Serie "Die Nazis und der Holocaust" (2022, Erstausstrahlung bei ARTE) legt das mehr als nahe. Es habe, so wird deutlich gemacht, eine historisch gewachsene Angst vor Überfremdung gegeben, längst bevor Hitler in Deutschland die Macht ergriff. Dazu sei ein weit verbreiteter Antisemitismus gekommen. Die aufschlussreiche Serie endet nicht von ungefähr mit den Worten des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der nach dem Kriegsende mahnte: "Ich hoffe, dass wir uns in Zukunft daran erinnern werden, dass es zu keinem Zeitpunkt einen Kompromiss mit Dingen geben kann, von denen wir wissen, dass sie falsch sind."
Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge aus Deutschland wurden aufgenommen
Mit der Aufhebung restriktiver Einwanderungsgesetze oder gar einem viel früheren Eintritt in den Krieg hätte Roosevelt nach der großen Depression einen konservativ und fremdenfeindlich eingestellten Kongress gegen sich aufgebracht. Obwohl große Zeitungen und Rundfunksender spätestens ab der Pogromnacht 1938 über die Verfolgung deutscher Juden berichteten, war eine große Mehrheit der US-Bevölkerung gegen eine Einmischung eingestellt. Der berühmte antisemitisch eingestellte Flugpionier Charles Lindbergh war da nur einer unter vielen Millionen.
Sicher lässt sich der Egoismus und die Sorge der Amerikaner nicht aufrechnen mit deutschen Gräueltaten und der Verantwortung für Millionen ermordeter Juden unter den 50 Millionen Toten durch Hitlers Krieg. Doch das Gebaren der Festung Amerika gegenüber Flüchtlingen, die sich von der Freiheitsstatue auf Ellis Island das Überleben erhofften, ist zumindest im Rückblick erstaunlich. 225.000, nur ein Bruchteil der Flüchtlinge aus Deutschland, wurde letztlich aufgenommen.
Die Serie bindet in den einzelnen Folgen denn auch immer wieder die Schicksale von Holocaust-Überlebenden ein. Auch der Aufstieg Hitlers und des Nationalsozialismus in Deutschland wird in Archivaufnahmen und in Bildern aus den Familienalben geschildert. Die erzwungene Geschäftsaufgabe, die Hoffnung auf die Bewilligung der Ausreise, die sich in endlosen Menschenschlangen vor den Konsulaten manifestierte – eine Visaerteilung konnte zwei bis drei Jahre dauern – wichen schließlich der Deportation in Hitlers Vernichtungslager. Hatte sich das Leuchtfeuer in der Hand der Freiheitsstatue, dieser "Willkommensgruß für alle Exilanten", als Trugschluss erwiesen?
Egoismus und Selbstschutz
Der Ausschluss von Einwanderern habe dabei eine lange Tradition, so erklären die Historiker-Experten vor der Kamera. Den Anfang machte der Chinese Exclusion Act von 1882. Der spätere Zuzug von Millionen Menschen aus Osteuropa rief Rassisten auf den Plan, es wurde nach Hautfarbe und globalen Regionen entschieden. Hitler fand 1924 in Landsberg in der Vertreibung und Ausrottung der amerikanischen Ureinwohner gar ein Vorbild für die Vernichtung der Völker im europäischen Osten.
1932 mussten erstmals mehr Einwanderer die USA verlassen als einreisen durften. Jedes Jahr wurden Hunderte abgeschoben, weil sie die Anforderung für die Staatsbürgerschaft nicht erfüllten. 1933 berichteten die Zeitungen über Großrazzien, die in Deutschland die Juden einschüchtern sollte. Er habe "noch nie gesehen, dass gesetzestreue Bürger in solch einem Terror leben" berichtete der Korrespondent. Es gab 3.000 Artikel über antisemitische Vergehen in Deutschland in Amerika, doch selbst amerikanische Juden wollten nicht "alarmistisch reagieren", um Schlimmeres zu verhüten.
Es ist eine traurige Geschichte, die die US-Serie über weite Strecken erzählt, von Egoismus und Selbstschutz, der in Rassismus und Antisemitismus mündet. Parallelen zu heute zeigen sich, was die Reaktionen in Europa betrifft, am Horizont. Auch nach dem Krieg, als die Katastrophe des Holocaust vor aller Augen offen lag, waren die Befürworter einer höheren Einwanderungsquote in einer erschreckenden Minderheit – nur etwa fünf Prozent der Befragten waren dafür.
ARTE zeigt drei Folgen der Dokumentation zunächst hintereinander an einem Abend. Die weiteren Folgen werden am Mittwoch, 18.10., ab 20.15 Uhr ausgestrahlt. Online verfügbar ab 10. Oktober.
Die USA und der Holocaust – Di. 17.10. – ARTE: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH