"Deutschstunde": die individuelle Schuld in einer Unrechtsgesellschaft
Die Verfilmung des Romans von Siegfrid Lenz ist eine zeitgemäße Parabel über Anpassung und Widerstand, über Pflichtbewusstsein und blinden Gehorsam und über die Schuld des Einzelnen.
"Deutschstunde" nannte Siegfried Lenz seinen Roman, der, gleichwohl kontrovers diskutiert, als eines der bedeutendsten Werke der deutschen Nachkriegsliteratur gilt. Ein passender Titel, weil sich der Klassiker mit dem beschäftigt, was die Deutschen im Nationalsozialismus ausmachte.
Der Polizist Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) verrichtet 1943 in dem norddeutschen Kaff Rugbüll seinen Dienst: Er ist besessen davon, seine Pflichten zu erfüllen und ordnet seinem Gehorsamkeitsstreben alles unter. Dass er Befehle ausführen muss, die Unrecht sind, hinterfragt er nicht. Er funktioniert einfach und opfert dafür auch seine alte Freundschaft mit dem Maler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti), einem mitfühlenden, liberalen Menschenfreund und Patenonkel von Jepsens Sohn Siggi (Levi Eisenblätter).
Die Jugendfreunde haben sich auseinandergelebt – und nun will Jepsen mit aller Macht einen Befehl aus Berlin ausführen: Die Nationalsozialisten haben beschlossen, dass Nansens Kunst "entartet" sei und den Maler mit einem Berufsverbot belegt. Um es zu überwachen, spannt der Polizist seinen Sohn ein: Siggi taumelt zwischen Gehorsamkeit seinem Vater gegenüber und der Zuneigung zum Maler, dessen Atelier immer schon ein Zufluchtsort für ihn gewesen ist. Ausgerechnet der Junge muss Stellung beziehen in einer Zeit und vor einem Vater, die gnadenlos sind.
"Deutschstunde" (2019), im ZDF nun zum ersten Mal im Free-TV, ist kein Film der vielen Worte, sondern ein Film der Beobachtungen und Entwicklungen. Christian Schwochow lässt sich und dem Publikum Zeit, in die Atmosphäre einzutauchen und den Figuren dabei zuzusehen, wie sie zweifeln und sich in inneren Kämpfe verlieren. Nur am Ende wird Schwochow hektisch, nach der Auslassung einiger Jahre der Romanhandlung fragt man sich ratlos, was Siggi antreibt, die Bilder seines Freundes zu stehlen und zu vergraben. Er hat offensichtlich einen Schalter umgelegt, warum erfährt man nicht.
Dass der Film im Dritten Reich spielt, ist im Prinzip nur eine Randnotiz. Der Ort ist der Welt entrückt, ihre Mechanismen greifen dort trotzdem. Darum ging es Lenz schon in seinem Roman, und darum geht es Schwochow jetzt noch viel mehr im Film: um das individuelle Verhalten in einer gleichgeschalteten Unrechtsgesellschaft. Wie macht sich ein einzelner Mensch schuldig, wenn um ihn herum kollektive Verbrechen begangen werden?
Gerade deshalb ist "Deutschstunde" auch Jahre nach den geschilderten Ereignissen aktuell. Regisseur Schwochow und seine Mutter Heide Schwochow, die das Drehbuch schrieb, haben den Stoff des 600-Seiten-Romans knallhart verdichtet. Was sie herausfiltern, ist eine zeitlose Essenz, in der es auch und gerade ums Jetzt geht: Dass sich Geschichte wiederholen kann, ist ein ausgesprochen ungutes Gefühl.
Schwochows jüngster Politthriller, "Je suis Karl" (Kinostart: 16. September), schlägt einen ähnlich mahnenden Ton an. Der Film handelt von Maxi Baier (Luna Wedler), einer jungen Frau, die bei einem Terroranschlag in Berlin ihre Mutter und ihre Zwillingsbrüder verliert. Geblieben ist ihr nur ihr Vater (Milan Peschel). Als Maxi Karl (Jannis Niewöhner) kennenlernt, gerät sie mitten hinein in eine europäische Jugendbewegung, die von dem charismatischen Studenten angeführt wird. Zunächst steht der Spaß im Vordergrund – Partys, mitreißende Reden, plötzlicher Ruhm. Doch als Maxi langsam wieder ins Leben zurückfindet, dämmert ihr: Karl und seine Bewegung wollen sie und ihr Schicksal lediglich für ihre Ziele instrumentalisieren.
"Deutschstunde" – Mo. 11.10. – ZDF: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH