Collien Ulmen-Fernandes im Interview

"In fast jedem von uns steckt ein bisschen Helikopter"

von Eric Leimann

In der Sendung "Generation Helikopter-Eltern?" gehen ZDFneo und Collien Ulmen-Fernandes der Frage nach, ob und warum wir unsere Kinder heute überbehüten. Ein Gespräch über persönliche sowie gesellschaftliche Ängste, die immer mehr zuzunehmen scheinen.

Collien Ulmen-Fernandes ist Mutter einer siebenjähigen Tochter, die sie mit ihrem Mann Christian Ulmen großzieht. Das Elternpaar ist gebildet und wohlhabend. Kurioserweise wohl die perfekte Mischung, um ziemlich viel falsch zu machen. Natürlich nur rein statistisch betrachtet. Im Social Factual-Format "Generation Helikopter-Eltern?" (Donnerstag, 5. Dezember, 20.15, ZDFneo) untersucht die Moderatorin, Autorin und Schauspielerin mit Experten und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, was dran ist am Phänomen der überbehütenden Eltern, die ihre Kinder jedoch auf anderem Gebiet zu stark fordern könnten. Mit Reportagen, Gesprächen und vor der Kamera durchgeführten Experimenten will die 38-Jährige herausfinden, ob und warum sich Eltern heutzutage viel mehr Sorgen machen als nötig.

prisma: Gibt es mehr Helikopter-Eltern als früher, oder ist das nur ein gefühlter Trend?

Collien Ulmen-Fernandes: Natürlich haben wir bei Wissenschaftlern nachgefragt, ob Forschungsergebnisse die heutige Übervorsichtigkeit der Eltern belegen. Sie tun es in der Tat. Man kann das beispielsweise am Bewegungsradius festmachen, in dem sich Kinder eines bestimmten Alters ohne elterliche Aufsicht bewegen dürfen. Seit den 60-ern ist dieser Radius immer kleiner geworden. Damals waren es mehrere Kilometer, heute sind es gerade noch 500 Meter. Wir schauen uns aber auch andere, qualitative Ergebnisse an. So sprechen wir mit einer Psychologin, die zum Thema Angst forscht und herausgefunden hat, dass sich elterliche Sorgen durchaus auf die Kinder übertragen und sie deshalb im schlimmsten Fall sogar Krankheitssymptome entwickeln können.

prisma: Sie haben auch das Phänomen Schulweg untersucht ...

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, auch der gehört zum Thema Bewegungsradius. In den 70er-Jahren gingen noch 90 Prozent der Kinder alleine zur Schule. Heute wird die Mehrheit der Grundschulkinder von den Eltern gebracht. Durch das Phänomen "Elterntaxi" entstehen rund um die Schulen Staus und gefährliche Verkehrssituationen. Deshalb ist das elterliche Bringen mit dem Auto an Schulen auch eher ein Reizthema.

prisma: Mit welchen wissenschaftlichen Disziplinen untersuchen Sie das Phänomen Helikoptereltern?

Collien Ulmen-Fernandes: Wir haben Neurowissenschaftler, Kinderärztinnen und Psychologinnen in der Sendung. Wir schauen aber auch auf die kommerzielle Seite der Überbehütung.

prisma: Wie meinen Sie das?

Collien Ulmen-Fernandes: Wir waren auf der Messe "Kind + Jugend", die jedes Jahr in Köln stattfindet. Dort gab es in diesem Herbst allein 151 Aussteller nur zu den Themen Sicherheit und Kinderüberwachung. Eine Rekordzahl, wie man uns bestätigte. Wir haben die Gimmicks, die dort angeboten wurden, von unseren Expertinnen einschätzen lassen. Das meiste dient nur der psychologischen Beruhigung der Eltern. Es wurde zum Beispiel ein Chip vorgestellt, den man sich als schwangere Frau an den Bauch klemmen kann. Er misst die Schlafposition des Kindes, seine Atmung und Herzfrequenz. Sogar Wehentätigkeit wird angezeigt. Das Problem ist nur: Als Laie kann man diese Daten überhaupt nicht einschätzen. Viele Sicherheitsprodukte sind eher Spielzeuge denn wirkliche Hilfsmittel.

prisma: Statistiken belegen, dass unser Leben heute sicherer ist als früher. Warum glauben so viele Menschen und eben auch Eltern, dass das Gegenteil der Fall ist?

Collien Ulmen-Fernandes: Das ist eine gute Frage. Wir wollten dem Thema auf den Grund gehen mit einem Elternquiz, in dem die Mütter und Väter Zahlen zum Thema Sicherheit einschätzen sollten, beispielsweise die Entwicklung der im Verkehr zu Tode gekommenen Kinder. Tatsächlich ist diese Zahl deutlich zurückgegangen. Trotzdem glauben viele Leute, dass das Gegenteil der Fall ist. Ein Vater schätzte, dass es heute fünfmal soviel tote Kinder im Verkehr gibt wie früher. Tatsächlich kamen 1978 1.449 Kinder auf den Straßen ums Leben. 2017, das ist die aktuellste Zahl, die uns vorliegt, waren es nur noch 61 tote Kinder. Die Unfallzahlen sind also stark zurückgegangen, in der Wahrnehmung der Eltern – es war eine Schätzfrage – sind sie jedoch mehrheitlich nach oben geschnellt.

prisma: Woran liegt das?

Collien Ulmen-Fernandes: Es ist eine Frage der Verfügbarkeitsheuristik. Weil wir heute alle Nachrichten fast in Echtzeit aufs Handy bekommen, nehmen diese Ereignisse gefühlt zu. Man geht davon aus, dass immer mehr Kinder entführt oder Opfer von Sexualstraftaten werden, was einfach nicht stimmt. Dieses Phänomen betrifft nicht nur die Ängste von Eltern. Durch die große Flut von Informationen, der die Menschen heute ausgesetzt sind, entsteht der Glaube, dass schlimme Ereignisse zugenommen haben und die Welt insgesamt schlechter geworden ist. In vielen Bereichen belegen das die Zahlen jedoch nicht.

prisma: Warum waren die Eltern der 70er- und 80er-Jahre offenbar lockerer als die heutige Generation? Gibt es dafür Gründe – über die Informationsflut mit schlechten Nachrichten hinaus?

Collien Ulmen-Fernandes: Es gibt darauf sicherlich nicht nur eine Antwort. Man muss feststellen, dass wir heute weniger Kinder kriegen als früher. Statistisch geht der Trend in Deutschland zur Ein-Kind-Familie. Wer jedoch drei, vier oder mehr Kinder hat, so wie früher oder heute noch in anderen Gesellschaften üblich, kann dem einzelnen Kind gar nicht so viel Aufmerksamkeit widmen. Früher gab es ja auch den Spruch: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen." Damals, zur Zeit der Großfamilien und engen nachbarschaftlichen Gemeinschaften, verteilte sich die Verantwortung für ein Kind auf viele Schultern. Heute sind Eltern oft alleinerziehend oder bestenfalls als Duo unterwegs. Auch die Großeltern haben sich ausgeklinkt oder leben in einer anderen Stadt. Das führt logischerweise zu einem ganz anderen Druck bei den Erziehungsverantwortlichen.

prisma: Ein anderer Trend, über den heute viel gesprochen wird, ist der zur Selbstoptimierung. Menschen überwachen immer mehr Teile ihres Lebens mit Fitness-Trackern und ähnlichem. Ist das perfekte Wohlergehen des Kindes auch ein Teil unserer Selbstoptimierung?

Collien Ulmen-Fernandes: Auch darum geht es in unserer Sendung. In diese Disziplin fallen auch jene enormen Erwartungen, die viele Eltern heute an ihr Kind haben. Am besten ist es mathematisch und sprachlich hochbegabt, Ausnahmetalent in einer bestimmten Sportart und dazu ein musikalisches Genie. Wegen solcher elterlicher Visionen werden Kinder heute einem enormen Stress ausgesetzt. Oft haben diese Kinder keinen einzigen Nachmittag der Woche frei. Sie pendeln zwischen Schule, Sport, Musikunterricht und geplanten Verabredungen. Auch das ist ein Aspekt des Helikoptereltern-Phänomens.

prisma: Was macht der XXL-Terminkalender mit den Kindern?

Collien Ulmen-Fernandes: Dazu sagt der Hirnforscher Ralph Dawirs, den ich zu dem Thema interviewe, dass es für Kindergehirne total wichtig ist, sich zwischendurch auch mal zu langweilen. Viele Kinder sind so von Terminen überfrachtet, dass sie verlernt haben, sich zu langweilen. Durch Langeweile werden jedoch wichtige Prozesse im Gehirn in Gang gesetzt. Weil man eben kreativ werden muss, um diese Langweile zu bekämpfen. Wir haben ein Experiment angestoßen, in dem zwei Kinderzimmer für jeweils eine Woche komplett leergeräumt wurden. Sämtliches Spielzeug war verschwunden. Es war erstaunlich, auf welche Ideen die Kinder in dieser Zeit gekommen sind. Man hat in Untersuchungen festgestellt, dass übervolle Kinderzimmer totale Fantasieräuber sind. Auch Spielzeug, das genau vorgibt, was mit ihm zu geschehen hat, ist letztlich ein solcher Fantasieräuber.

prisma: Ist dieses Untersuchungsergebnis schon in der Pädagogik angekommen?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, zum Teil. Es gibt immer mehr Kitas, die spielzeugfreie Tage oder Wochen einführen. Sogar welche, die ganz auf die Anschaffung von klassischem Spielzeug verzichten. Dann bauen die Kinder eben aus Joghurtbechern eine Rakete oder fangen an, Dinge umzufunktionieren. Man kann förmlich zusehen, wie aus dem nichts etwas entsteht und Kinder in solchen Settings anfangen, kreativ zu werden.

prisma: Wie viel Helikopter-Mama steckt in Ihnen selbst – und woran zeigt sich das?

Collien Ulmen-Fernandes: Ich glaube, in fast jedem von uns steckt ein bisschen Helikopter, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen. Bei uns tendiert aber vor allem mein Mann in diese Richtung. Wer die Serie "Jerks" kennt, weiß, was gemeint ist. Er überträgt beispielsweise seine Hypochondrie auf unser Kind, wodurch wir mittlerweile Stammgäste in der Notaufnahme des Krankenhauses sind – eine Situation, die wir auch in "Jerks" thematisiert haben – und das ist auf jeden Fall "Helikopter". Dass Eltern bei harmlosen Symptomen von schlimmsten Erkrankungen ausgehen, gehört auf jeden Fall in diese Kategorie.

prisma: Sie wandeln sozusagen Ihre eigenen Eltern-Ängste im Comedy um?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja. Das stimmt. "Jerks" ist eine Art therapeutische Maßnahme für uns. Damit sind sie die Ängste zumindest ein Stück weit reflektiert und verarbeitet (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

In der Sendung "Generation Helikopter-Eltern?" gehen ZDFneo und Collien Ulmen-Fernandes der Frage nach, ob und warum wir unsere Kinder heute überbehüten. Ein Gespräch über persönliche sowie gesellschaftliche Ängste, die immer mehr zuzunehmen scheinen.

Collien Ulmen-Fernandes ist Mutter einer siebenjähigen Tochter, die sie mit ihrem Mann Christian Ulmen großzieht. Das Elternpaar ist gebildet und wohlhabend. Kurioserweise wohl die perfekte Mischung, um ziemlich viel falsch zu machen. Natürlich nur rein statistisch betrachtet. Im Social Factual-Format "Generation Helikopter-Eltern?" (Donnerstag, 5. Dezember, 20.15, ZDFneo) untersucht die Moderatorin, Autorin und Schauspielerin mit Experten und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, was dran ist am Phänomen der überbehütenden Eltern, die ihre Kinder jedoch auf anderem Gebiet zu stark fordern könnten. Mit Reportagen, Gesprächen und vor der Kamera durchgeführten Experimenten will die 38-Jährige herausfinden, ob und warum sich Eltern heutzutage viel mehr Sorgen machen als nötig.

prisma: Gibt es mehr Helikopter-Eltern als früher, oder ist das nur ein gefühlter Trend?

Collien Ulmen-Fernandes: Natürlich haben wir bei Wissenschaftlern nachgefragt, ob Forschungsergebnisse die heutige Übervorsichtigkeit der Eltern belegen. Sie tun es in der Tat. Man kann das beispielsweise am Bewegungsradius festmachen, in dem sich Kinder eines bestimmten Alters ohne elterliche Aufsicht bewegen dürfen. Seit den 60-ern ist dieser Radius immer kleiner geworden. Damals waren es mehrere Kilometer, heute sind es gerade noch 500 Meter. Wir schauen uns aber auch andere, qualitative Ergebnisse an. So sprechen wir mit einer Psychologin, die zum Thema Angst forscht und herausgefunden hat, dass sich elterliche Sorgen durchaus auf die Kinder übertragen und sie deshalb im schlimmsten Fall sogar Krankheitssymptome entwickeln können.

prisma: Sie haben auch das Phänomen Schulweg untersucht ...

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, auch der gehört zum Thema Bewegungsradius. In den 70er-Jahren gingen noch 90 Prozent der Kinder alleine zur Schule. Heute wird die Mehrheit der Grundschulkinder von den Eltern gebracht. Durch das Phänomen "Elterntaxi" entstehen rund um die Schulen Staus und gefährliche Verkehrssituationen. Deshalb ist das elterliche Bringen mit dem Auto an Schulen auch eher ein Reizthema.

prisma: Mit welchen wissenschaftlichen Disziplinen untersuchen Sie das Phänomen Helikoptereltern?

Collien Ulmen-Fernandes: Wir haben Neurowissenschaftler, Kinderärztinnen und Psychologinnen in der Sendung. Wir schauen aber auch auf die kommerzielle Seite der Überbehütung.

prisma: Wie meinen Sie das?

Collien Ulmen-Fernandes: Wir waren auf der Messe "Kind + Jugend", die jedes Jahr in Köln stattfindet. Dort gab es in diesem Herbst allein 151 Aussteller nur zu den Themen Sicherheit und Kinderüberwachung. Eine Rekordzahl, wie man uns bestätigte. Wir haben die Gimmicks, die dort angeboten wurden, von unseren Expertinnen einschätzen lassen. Das meiste dient nur der psychologischen Beruhigung der Eltern. Es wurde zum Beispiel ein Chip vorgestellt, den man sich als schwangere Frau an den Bauch klemmen kann. Er misst die Schlafposition des Kindes, seine Atmung und Herzfrequenz. Sogar Wehentätigkeit wird angezeigt. Das Problem ist nur: Als Laie kann man diese Daten überhaupt nicht einschätzen. Viele Sicherheitsprodukte sind eher Spielzeuge denn wirkliche Hilfsmittel.

prisma: Statistiken belegen, dass unser Leben heute sicherer ist als früher. Warum glauben so viele Menschen und eben auch Eltern, dass das Gegenteil der Fall ist?

Collien Ulmen-Fernandes: Das ist eine gute Frage. Wir wollten dem Thema auf den Grund gehen mit einem Elternquiz, in dem die Mütter und Väter Zahlen zum Thema Sicherheit einschätzen sollten, beispielsweise die Entwicklung der im Verkehr zu Tode gekommenen Kinder. Tatsächlich ist diese Zahl deutlich zurückgegangen. Trotzdem glauben viele Leute, dass das Gegenteil der Fall ist. Ein Vater schätzte, dass es heute fünfmal soviel tote Kinder im Verkehr gibt wie früher. Tatsächlich kamen 1978 1.449 Kinder auf den Straßen ums Leben. 2017, das ist die aktuellste Zahl, die uns vorliegt, waren es nur noch 61 tote Kinder. Die Unfallzahlen sind also stark zurückgegangen, in der Wahrnehmung der Eltern – es war eine Schätzfrage – sind sie jedoch mehrheitlich nach oben geschnellt.

prisma: Woran liegt das?

Collien Ulmen-Fernandes: Es ist eine Frage der Verfügbarkeitsheuristik. Weil wir heute alle Nachrichten fast in Echtzeit aufs Handy bekommen, nehmen diese Ereignisse gefühlt zu. Man geht davon aus, dass immer mehr Kinder entführt oder Opfer von Sexualstraftaten werden, was einfach nicht stimmt. Dieses Phänomen betrifft nicht nur die Ängste von Eltern. Durch die große Flut von Informationen, der die Menschen heute ausgesetzt sind, entsteht der Glaube, dass schlimme Ereignisse zugenommen haben und die Welt insgesamt schlechter geworden ist. In vielen Bereichen belegen das die Zahlen jedoch nicht.

prisma: Warum waren die Eltern der 70er- und 80er-Jahre offenbar lockerer als die heutige Generation? Gibt es dafür Gründe – über die Informationsflut mit schlechten Nachrichten hinaus?

Collien Ulmen-Fernandes: Es gibt darauf sicherlich nicht nur eine Antwort. Man muss feststellen, dass wir heute weniger Kinder kriegen als früher. Statistisch geht der Trend in Deutschland zur Ein-Kind-Familie. Wer jedoch drei, vier oder mehr Kinder hat, so wie früher oder heute noch in anderen Gesellschaften üblich, kann dem einzelnen Kind gar nicht so viel Aufmerksamkeit widmen. Früher gab es ja auch den Spruch: "Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen." Damals, zur Zeit der Großfamilien und engen nachbarschaftlichen Gemeinschaften, verteilte sich die Verantwortung für ein Kind auf viele Schultern. Heute sind Eltern oft alleinerziehend oder bestenfalls als Duo unterwegs. Auch die Großeltern haben sich ausgeklinkt oder leben in einer anderen Stadt. Das führt logischerweise zu einem ganz anderen Druck bei den Erziehungsverantwortlichen.

prisma: Ein anderer Trend, über den heute viel gesprochen wird, ist der zur Selbstoptimierung. Menschen überwachen immer mehr Teile ihres Lebens mit Fitness-Trackern und ähnlichem. Ist das perfekte Wohlergehen des Kindes auch ein Teil unserer Selbstoptimierung?

Collien Ulmen-Fernandes: Auch darum geht es in unserer Sendung. In diese Disziplin fallen auch jene enormen Erwartungen, die viele Eltern heute an ihr Kind haben. Am besten ist es mathematisch und sprachlich hochbegabt, Ausnahmetalent in einer bestimmten Sportart und dazu ein musikalisches Genie. Wegen solcher elterlicher Visionen werden Kinder heute einem enormen Stress ausgesetzt. Oft haben diese Kinder keinen einzigen Nachmittag der Woche frei. Sie pendeln zwischen Schule, Sport, Musikunterricht und geplanten Verabredungen. Auch das ist ein Aspekt des Helikoptereltern-Phänomens.

prisma: Was macht der XXL-Terminkalender mit den Kindern?

Collien Ulmen-Fernandes: Dazu sagt der Hirnforscher Ralph Dawirs, den ich zu dem Thema interviewe, dass es für Kindergehirne total wichtig ist, sich zwischendurch auch mal zu langweilen. Viele Kinder sind so von Terminen überfrachtet, dass sie verlernt haben, sich zu langweilen. Durch Langeweile werden jedoch wichtige Prozesse im Gehirn in Gang gesetzt. Weil man eben kreativ werden muss, um diese Langweile zu bekämpfen. Wir haben ein Experiment angestoßen, in dem zwei Kinderzimmer für jeweils eine Woche komplett leergeräumt wurden. Sämtliches Spielzeug war verschwunden. Es war erstaunlich, auf welche Ideen die Kinder in dieser Zeit gekommen sind. Man hat in Untersuchungen festgestellt, dass übervolle Kinderzimmer totale Fantasieräuber sind. Auch Spielzeug, das genau vorgibt, was mit ihm zu geschehen hat, ist letztlich ein solcher Fantasieräuber.

prisma: Ist dieses Untersuchungsergebnis schon in der Pädagogik angekommen?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja, zum Teil. Es gibt immer mehr Kitas, die spielzeugfreie Tage oder Wochen einführen. Sogar welche, die ganz auf die Anschaffung von klassischem Spielzeug verzichten. Dann bauen die Kinder eben aus Joghurtbechern eine Rakete oder fangen an, Dinge umzufunktionieren. Man kann förmlich zusehen, wie aus dem nichts etwas entsteht und Kinder in solchen Settings anfangen, kreativ zu werden.

prisma: Wie viel Helikopter-Mama steckt in Ihnen selbst – und woran zeigt sich das?

Collien Ulmen-Fernandes: Ich glaube, in fast jedem von uns steckt ein bisschen Helikopter, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen. Bei uns tendiert aber vor allem mein Mann in diese Richtung. Wer die Serie "Jerks" kennt, weiß, was gemeint ist. Er überträgt beispielsweise seine Hypochondrie auf unser Kind, wodurch wir mittlerweile Stammgäste in der Notaufnahme des Krankenhauses sind – eine Situation, die wir auch in "Jerks" thematisiert haben – und das ist auf jeden Fall "Helikopter". Dass Eltern bei harmlosen Symptomen von schlimmsten Erkrankungen ausgehen, gehört auf jeden Fall in diese Kategorie.

prisma: Sie wandeln sozusagen Ihre eigenen Eltern-Ängste im Comedy um?

Collien Ulmen-Fernandes: Ja. Das stimmt. "Jerks" ist eine Art therapeutische Maßnahme für uns. Damit sind sie die Ängste zumindest ein Stück weit reflektiert und verarbeitet (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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