"Televisionärer Menschenzoo"

"Der Bachelor" und Co.: Die Wahrheit über das Phänomen Datingshow

von Julian Weinberger, Christopher Schmitt
Woche für Woche muss "Bachelor" Niko Griesert eine oder mehrere Kandidatinnen nach Hause schicken. Hier erfahren sie, wer wann ausgeschieden ist raus ist und wer die letzte Rose bekommen hat.
BILDERGALERIE
Woche für Woche muss "Bachelor" Niko Griesert eine oder mehrere Kandidatinnen nach Hause schicken. Hier erfahren sie, wer wann ausgeschieden ist raus ist und wer die letzte Rose bekommen hat.  Fotoquelle: TVNOW

Zwischen Faszination und Fremdscham: Datingshows gibt es im deutschen TV mittlerweile wie Sand am Meer. Doch was ist echt, was ist inszeniert? Und warum machen so viele junge Menschen mit?

Er schmachtete, datete, küsste – und neun Wochen lang fieberte die treue Fangemeinde vor dem Fernseher und in den sozialen Medien mit: Die Rede ist von "Bachelor" Niko Griesert. Nun steht die finale "Nacht der Rosen", beziehungsweise "Das große Finale" (Mittwoch, 17. März, 20.15 Uhr, RTL), an – und damit die Entscheidung, welche der 22 Single-Damen das Herz des charmanten Junggesellen für sich erobern konnte. Seitdem RTL 2003 erstmals und ab 2012 im jährlichen Turnus einen Traumprinzen auf die Balz schickte, ist die Show nicht nur Quotengarant für den Kölner Sender, sondern als ausgewiesen langlebige Produktion auch so etwas wie ein König im immer größer werdenden Reich der TV-Datingformate.

Was Ende der 1980er-Jahre mit der aus heutigen Sicht harmlosen Partnersuche bei "Herzblatt" Fahrt aufnahm, hat sich zu einem mannigfaltigen Untergenre des Reality-TV entwickelt – mit immer spektakuläreren Abwandlungen. Mal werden Liebessuchende zur ungenierten Fleischbeschau unverhüllt auf einer einsamen Insel ausgesetzt ("Adam sucht Eva"), mal wird ein eigentlich glückliches Paar zum ultimativen TV-Treuetest in unterschiedlichen Häusern mit paarungswilligen Buhlern untergebracht ("Temptation Island"). Und seit kurzem strahlt TLC eine US-Show aus, in der eine Kandidatin nichts weniger als den perfekten Samenspender für ihr künftiges Kind sucht.

Für Prof. Dr. Joan Kristin Bleicher von der Universität Hamburg ist das keine Überraschung. Die Medienwissenschaftlerin beobachtet schon länger eine Übersättigung im Reality-TV: "Darauf reagieren die Formatproduzenten mit einer Reizsteigerung, etwa bei Konflikten oder Tabudurchbrechungen." Zwar würden Sendungen wie "Das Sommerhaus der Stars" noch immer reichlich Skandalpotenzial in sich bergen, doch insgesamt habe laut Bleicher eine "höhere Akzeptanz des televisionären Menschenzoos" eingesetzt.

Bereitwillige Teilnehmer an diesem sorgsam inszenierten TV-Spektakel, bei dem die Kameras auch die hinterletzten Ecken prächtiger Villen ausleuchten, gibt es mehr als genug. Auch, weil die Wiederverwertungsmaschinerie des Reality-TV eine mehr oder minder schillernde Karriere als C-Promi verspricht. Fans des Genres wissen, wer gemeint ist. TV-Persönlichkeiten wie Elena Miras ("Love Island") oder Paul Janke ("Der Bachelor") tingeln seit ihren Fernseh-Debüts fleißig durch verschiedene Formate. Managements haben sich auf die Vermittlung von Reality-TV-Stars spezialisiert, und Castingagenturen halten Ausschau nach geeigneten Kandidaten.

So werden die Kandidaten gecastet

Von einer solchen wurde auch Leonard Freier kontaktiert. Als Student habe er sich mit Modeljobs Geld dazu verdient, erinnert sich der "Bachelor" von 2016. Jahre später habe sich die Agentur wieder gemeldet und ihn für die Rolle des Rosenkavaliers ins Spiel gebracht. Proaktiv auf passende Kandidaten zuzugehen, sei auch eine gängige Methode bei "Love Island", wie eine Sprecherin der Produktionsfirma ITV bestätigt: "So können wir schon einmal ein erstes Gefühl dafür bekommen, wie die potenziellen Islander leben, worauf sie Wert legen und wie sie sich nach außen geben." Dann entscheiden ein Selfie-Video, intensive Telefongespräche und ein persönliches Casting als folgende Schritte über die Eignung für die Datingshow.

Per Online-Bewerbung hat jedoch jeder Single die Möglichkeit, sich zu empfehlen: Mit wenigen Klicks ist die Anfrage rausgeschickt. Fragen wie "Welche/r Kandidat/in bei Love Island 2020 gefällt Dir am besten und warum?" sind freiwillig, die Größenangabe jedoch obligatorisch. Auch die TV-Erfahrung von Bewerberinnen und Bewerbern wird abgefragt, laut ITV-Sprecherin spiele sie jedoch keine entscheidende Rolle im Auswahlprozess.

Bei Leonard Freier kam der entscheidende Anruf drei Monate nach dem Erstkontakt mit der Agentur: "Ich hatte die Möglichkeit, eine tolle Frau kennenzulernen – und das in traumhaften Kulissen bei einem wunderbaren Urlaub. Das klingt als Single ja eigentlich perfekt." Die Kameras um sich herum habe er schnell vergessen, wie er versichert – auch, wenn ohne Kameras bei Freiers "Bachelor"-Teilnahme gar nichts ging: "Sobald die Kamera aus ist, wurden wir wirklich auseinandergezerrt. Es gab keinen Kontakt zwischen den Teilnehmerinnen und mir ohne Kamera, kein Wort."

Und selbst nach dem Ende der Show mussten sich der Unternehmer und seine Auserwählte Leonie strengen Regeln unterwerfen. Um bis zur Ausstrahlung der Sendung die Vergabe der letzten Rose nicht zu spoilern, durften sich die beiden wochenlang nicht sehen. Das Resultat: Die Beziehung – oder der "Urlaubsflirt", wie es Freier heute nennt – zerbrach nach kürzester Zeit. Auf seine Entscheidungen innerhalb der Show habe die Produktion allerdings keinen Einfluss gehabt, stattdessen habe er "komplett eigenständig" gehandelt, wie der 36-Jährige betont.

Muskeln und gebräunte Haut

Ansonsten überlassen die Produzenten lieber nichts dem Zufall – erst recht nicht, wenn es um die Auswahl geeigneter Teilnehmerinnen und Teilnehmer geht. Laut Joan Kristin Bleicher handele es sich allen voran um "attraktive Frauen und Männer: Muskeln, Haarfarbe und die gebräunte Haut – alles stimmt". Der intellektuelle Anspruch sei laut der Medienwissenschaftlerin hingegen "eher rudimentär ausgeprägt". Außerdem, vermutet sie, würden sich viele Kandidaten selbst ganz toll finden: "Bei den Männern hat man immer den Eindruck, sie bräuchten gar keine Frauen, weil sie so in sich selbst verliebt sind."

Bei Männern setzen laut Bleicher Datingformate eher "auf Muskeln denn auf Gehirn", und auch Frauen würden in Shows wie "Love Island" "fast ausschließlich über ihre schönen Körper funktionieren" – was die Frage aufwerfe, inwieweit dadurch Sexismus vorangetrieben werde. Insbesondere im Feuilleton sieht sich die televisionäre Single-Balz natürlich häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würde veraltete Geschlechterbilder vermitteln. So angesagt manche Formate also sein mögen, zeitgemäß sind sie eher nicht. Doch der Anspruch von Datingformaten sei ohnehin ein anderer, wie Bleicher erklärt: "Es ist eine reine Unterhaltungsorientierung, wo man verschiedene Bausteine wie körperliche Attraktivität, exotische Handlungsorte, Konflikte, Liebe und sinnlose Spieleinheiten miteinander kombiniert."

Aufseiten der Sender weist man die Kritik, man würde veraltete Geschlechterbilder reproduzieren, naturgemäß von sich. RTL-Unterhaltungschef Markus Küttner betont, dass bei "Der Bachelor" viele emanzipierte Frauen teilnehmen würden. Ihnen stehe es während der Produktion jederzeit frei, ihren Weg sowie das Rollenbild, dem sie entsprechen möchten, frei zu wählen.

Vergleichsweise schnell wird Datingformaten das Label "Trash TV" verpasst. Zu Unrecht? "Mit dem Begriff 'Trash' kann ich wenig anfangen, weil er ein negatives Licht auf Programme wirft, die von sehr vielen Menschen sehr gemocht werden", so Markus Küttner. Und zweifellos: Die Resonanz spricht wohl wirklich für sich. Doch warum schalten Millionen von Menschen überhaupt für Datingshows ein?

Erfolgsgeheimnis Voyeurismus

In der Medienpsychologie hat sich unter anderem Voyeurismus als Nutzungsmotiv etabliert. Das Privatleben anderer erweckt grundlegendes Interesse, insbesondere wenn es um Liebe und Beziehungen geht. Hinzu kommt der Faktor Schadenfreude: Viele laben sich an den Peinlichkeiten und Blamagen der Kandidaten, um sich so über sie zu erheben. Nicht zuletzt liefern die Formate Gesprächsstoff: Soziale Gruppen können sich über das Gesehene austauschen und es einordnen.

Letzteres lässt sich auch auf den "Bachelor" übertragen, der auf Social Media immer wieder kontroverse Diskussionen entfacht. RTL-Unterhaltungschef Küttner bezeichnet das Format nicht zu Unrecht als "Institution für die Twitter-Community" – wenngleich viele Kommentare spöttisch bis gehässig das Treiben auf dem Bildschirm bewerten. Die Macher begrüßen die hohe Involviertheit des Publikums ins Programm.

Wirtschaftlich zahlen sich die Datingformate für die Sender jedenfalls aus. Küttner merkt an, dass der Erfolg der Sendungen wie in jedem Genre von der wahrgenommenen Wertigkeit der Produktion abhinge. Dieser sei bei Formaten wie "Der Bachelor" oder "Die Bachelorette" vergleichsweise hoch. Zudem seien Dating-Programme für Werbekunden besonders attraktiv – "nicht zuletzt wegen der guten Möglichkeiten, Placements unterzubringen". Was ist ein Rosenkavalier samt seiner Verehrerinnen schließlich ohne das passende Outfit? Oder den passenden Drink?

Mehr Diversität im Reality-TV

Doch wie geht es die kommenden Jahre weiter? Wann ist es genug? – Auch wenn Küttner noch keine Übersättigung an Datingformaten ausmacht und die Etablierung starker Marken sowie die große Fanbase hervorhebt, waren die Quoten beim "Bachelor" im Vergleich zu den vorherigen Staffeln zuletzt rückläufig. "Es wird sich weiter ausdifferenzieren, die Formate werden spezieller im thematischen Zugriff und bei den Inszenierungen", wagt Prof. Bleicher einen Ausblick in die Zukunft des Reality-TVs.

Bereits erkennbar ist, dass das Dating-Genre diverser wird: Auf die Gay-Datingshow "Prince Charming" folgt mit "Princess Charming" auf TVNOW bald das lesbische Pendant. Gleichzeitig muten kommende Formate schon im Ideenstadium klischeebeladen an: So sucht ITV Studios per Casting Single-Frauen samt offen schwulem besten Freund, die "gemeinsam einen Sommer voller aufregenden Begegnungen erleben möchten". Langweilig wird es im Dating-Genre also definitiv nicht.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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