"Als Satiriker ist man heute arbeitslos"

Erste Allgemeine Verunsicherung: Warum nach 41 Jahren Schluss ist

von Eric Leimann

Wie sinnvoll ist satirischer Gesellschaftspop in Zeiten, da ohnehin alles erlaubt ist? Thomas Spitzer jedenfalls hat genug und beendet das Projekt "Erste Allgemeine Verunsicherung". Warum, erklärt er im Interview.

Der Österreicher Thomas Spitzer gründete 1977 die Band Erste Allgemeine Verunsicherung. Vor allem in den 80ern entstanden zahlreiche Hits wie "Ba-Ba-Banküberfall", "Märchenprinz" oder "Küss' die Hand schöne Frau", wegen derer das grotesk gewandete Kollektiv aus der Steiermark weitgehend als Klamauktruppe wahrgenommen wurde.

Tatsächlich fand sich in den Texten von Komponist und Gitarrist Thomas Spitzer sowie seines Partners Klaus Eberhartinger (Gesang) fast immer ätzende Gesellschaftskritik. Der Song "Kurti" thematisierte die Nazi-Vergangenheit des ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Mit "Burli" fabrizierte die EAV einen Song über einen Jungen mit Behinderungen nach dem GAU eines Atomkraftwerks. 41 Jahre nach Gründung des anarchisch politischen Projekts soll nun endgültig Schluss sein. Die Band verabschiedet sich mit einem letzten Album und einer Abschiedstournee. Die Hintergründe erläutert Thomas Spitzer (65) im Interview.

prisma: Nach gut 40 Jahren beenden Sie die das Bandprojekt Erste Allgemeine Verunsicherung. Warum gerade jetzt?

Thomas Spitzer: Ich bin 65 und will mit Würde abtreten. Jetzt bin ich noch fit und habe viele unerledigte künstlerische Dinge im Kopf. EAV war ein großes Kapitel meines Lebens, aber das ewige Reproduzieren der alten, durchaus respektablen Hits ermüdete mich auf Dauer.

prisma: Sie fingen als satirische, gesellschaftskritische Band Ende der 70er an. Wie lautet ihr Fazit nach vier Jahrzehnten?

Spitzer: Wir ziehen es auf dem letzten Album, das "Alles ist erlaubt" heißt. Man könnte das entweder als große Freiheit interpretieren oder nach dem Motto: Schlimmer kann die Welt nicht mehr werden. Wer uns kennt, weiß, welche Lesart die wahrscheinlichere ist.

prisma: Ist die Welt heute schlechter als damals?

Spitzer: Wir haben mal ein Lied gemacht, das heißt "Wie schön wäre diese Welt ohne uns bestellt". Die beste aller Welten wäre eine ohne Menschen. Ob ich es noch erleben darf, weiß ich nicht. Aber wir sind auf dem besten Weg, uns selbst auszurotten.

prisma: Das klingt nach Pessimismus ...

Spitzer: Ich sehe mich nicht als Pessimisten. Ich erkenne das an, was gut ist. Zum Beispiel haben wir ein Riesenglück, in der heutigen Zeit in Mitteleuropa zu leben. 70 Jahre ohne Krieg, Hunger und sonstige Katastrophen. Sozial gut gebettet. "Am rechten Ort, zur rechten Zeit" heißt ein Lied darüber auf dem neuen Album. Dennoch könnte man die Welt noch ein wenig mit Vernunft veredeln.

prisma: Was ist gesellschaftlich der größte Unterschied zwischen 1977 und 2018?

Spitzer: Auch das steht im Titel: "Alles ist erlaubt". Jegliche Schranken zu dem, was nicht mehr legitim ist, sind gefallen. Heute darf man Dinge sagen und tun, da wäre man noch vor 20 Jahren des Amtes enthoben worden. Verfassungsfeindlichkeiten sind an der Tagesordnung. Die Realität ist nicht mehr zu karikieren. Auch das ist ein Grund, warum wir aufhören. Ich kann nicht mehr übertreiben, weil die Realität selbst so übertreibt. Als Satiriker ist man heute arbeitslos.

prisma: Leben wir in politischeren oder unpolitischeren Zeiten?

Spitzer: Beides. Einerseits ist es natürlich gut und wichtig, wenn Bands wie Die Toten Hosen oder Kraftklub in Chemnitz spielen und Flagge zeigen. Für Pop-Künstler ist es heute leichter geworden, sich politisch zu äußern. Ich kenne noch eine Zeit, da haben die meisten Musiker politische Aussagen gemieden, um keine Käuferschichten zu verprellen. Heute äußern sich mehr Künstler politisch. Andererseits spielen genau die natürlich oft vor einem "wissenden" Publikum. Eines, das ohnehin die aufgeklärte Meinung der Band teilt. Wichtig wäre es, dass auch mal Schlagersänger und andere Künstler Stellung beziehen, die viele Fans erreichen, die noch ein Aufklärungs-Defizit haben.

prisma: Heute wird viel über sogenannte Echokammern diskutiert, also abgeschlossene gesellschaftliche Zirkel, die einer Meinung sind, sich aber nur noch untereinander austauschen. Ein Hauptproblem unserer Zeit?

Spitzer: Ja, es gibt keine Debattenkultur mehr. Jeder hat seinen Gesinnungszirkel, den er nicht mehr verlässt. Sagt man etwas Politisches in den sozialen Netzwerken oder sonst wo, gibt es entweder einen Shitstorm oder ganz viele Likes und Lob. Nichts mehr dazwischen.

prisma: Aber warum ist die Auseinandersetzung so aggressiv geworden? Lange dachte man, es läge am Schutz durch die Anonymität, die das Netz gewährt. Mittlerweile scheint aber auch im direkten Umgang mehr Aggressivität zu herrschen ...

Spitzer: Viele Menschen nehmen sich nicht mehr die Zeit, miteinander zu reden. Wir haben mit unserer Musik immer Widerstand von der rechten Seite bekommen. Früher kam regelmäßig die Staatspolizei zu uns und sagte: "Bitte spielt die Kurt-Waldheim-Nummer nicht, sonst müssen wir das Konzert in der Stadthalle verbieten." Uns war klar, dass wir das nicht tun würden. Wir haben dieses und andere kritische Lieder trotzdem gespielt. Aber vor dem Konzert haben wir uns mit der Staatspolizei auf ein Gulasch und ein Bier zusammengesetzt und über die Sache geredet. Das nenne ich mal den österreichischen Weg (lacht). Auch wenn der Konflikt nicht gelöst wurde, am Ende war doch weniger Aggressivität zwischen uns. Das wünsche ich mir auch für die Konflikte und Gegner von heute.

prisma: Woher kommt der Hass bei vielen, denen es eigentlich nicht so schlecht geht?

Spitzer: Es ist die Ahnung, dass es bald bergab gehen könnte. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auch bei uns in den reichen Ländern immer weiter auseinander. Das ist ja keine Behauptung, sondern eine statistisch belegbare Tatsache. Wenn dann noch so "Gottesgeschenke" wie Flüchtlinge eintreffen, hat man natürlich den perfekten Sündenbock, um die privaten Ängste jemandem anzulasten. Die Abstiegsangst ist der Hauptgrund, warum überall auf der Welt Populisten großen Zulauf erhalten.

prisma: Herrscht heute mehr Angst als 1985, als die Erste Allgemeine Verunsicherung "Ba-Ba-Banküberfall" sang?

Spitzer: Ich glaube schon. Damals gab es noch eine gewisse Aufbruchsstimmung und Vertrauen in das System Kapitalismus. Die Pensionen waren sicher, Institutionen wie Banken schienen solide und vertrauenswürdig. Dann folgte der Mauerfall, der eine große Euphorie der Freiheit und Selbstbestimmung auslöste. Der Kapitalismus schien zu funktionieren. Heute ist all das Positive, was ich gerade aufgezählt habe, nicht mehr da. Alles schwimmt, alles ist unsicher. Das ist es, was den Leuten Angst macht.

prisma: Welche EAV-Lieder haben am meisten bewirkt?

Spitzer: Wahrscheinlich die Hits. Meine Lieblingslieder waren jedoch immer intellektuelle Nummern, die zu sperrig fürs Radio waren. Stücke wie "Das goldene Sofa" oder "Willkommen im Neandertal" hat man im Radio nicht so oft gehört, weil sie den Menschen das Frühstück versaut hätten. "Burli" von 1987 war ein Lied, das die Leute geschockt hat. Es handelte von einem Jungen, der nach dem GAU eines Atomkraftwerks zur Welt kam und viele Mutationen aufwies. Es war ein Hit, aber sicher im Grenzbereich dessen, was die Menschen damals nach Tschernobyl noch hören konnten. Vielleicht war es das EAV-Lied, das am meisten bewirkte. In dem Sinne, dass die Leute mehr Angst vor Atomkraft hatten.

prisma: Warum war das Lied ein Skandal?

Spitzer: Weil es im scheinbar lustigen Grundton von einem behinderten Kind erzählte. Aber was soll man tun? Ein Lied, das nicht aneckt, ist für mich ein sinnloses Lied. Wer künstlerisch gegen Atomkraft ist und dagegen vorgehen will, braucht ein emotionales Bild, das Stress verursacht. Wir haben Songs gegen Nazis gemacht wie "Eierkopf-Rudi", da habe ich über Jahre hinweg Morddrohungen bekommen. Macht natürlich keinen Spaß, aber da muss man durch.

prisma: Sie leben seit 1990 etwa die Hälfte des Jahres in Kenia. Wie verändert das Leben dort den Blick auf Europa?

Spitzer: In der sogenannten Dritten Welt zu leben, ist sehr heilsam. Man merkt, wie gut es uns geht. Man wird sehr viel bescheidener. In Afrika würde selbst ein Schwerkranker auf der Bahre einem auf die Frage, wie es ihm geht, noch "gut" antworten. Das Wort "schlecht" gibt es dort nicht, solange man noch reden kann. Bei uns in Österreich oder Deutschland sagen viele Leute, es gehe ihnen schlecht, ohne dass man von außen den Grund dafür erkennen könnte. Es ist schon ein Wahnsinn. Jedem, der sich bei uns über sein geschütztes Leben mit Job, Gesundheit und ausreichend Geld beschwert, würde ich aus therapeutischen Gründen einen Kurzurlaub im Kriegsgebiet empfehlen. Ich bin mit sicher, er käme geläutert zurück – als geheilter, glücklicher Mensch.

prisma: Warum tickt der Mensch so?

Spitzer: Weil der Mensch im Krisenmodus seinen Überlebensmodus und die Schönheit des Lebens entdeckt. Es gibt in Kriegszeiten so gut wie keine Selbstmorde und einen wesentlich stabileren Familienzusammenhalt. Wenn es dem Menschen richtig mies geht, findet er wieder zu seinesgleichen. Vielleicht ist das ein Trost für uns alle – in schwieriger Zeit.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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