ARTE-Doku

"Fake America Great Again": Facebook und der US-Wahlkampf

von Jens Szameit

Verhalf der millionenfache Missbrauch von Facebook-Userdaten wirklich Donald Trump ins Präsidentenamt? Eine komplex recherchierte ARTE-Doku schildert verstörende Zusammenhänge – und liefert Belege!

In Beverly Hills, am Wilshire Boulevard Nummer 8383, steht ein schmuckloses Hochhaus. Weißer Sichtbeton, dunkel spiegelnde Fensterfronten. Man würde ohne Weiteres nicht auf die Idee kommen, dass hinter dieser unscheinbaren Fassade Strategien entwickelt wurden, welche die westliche Demokratie seit ein paar Jahren in ihren Grundfesten erschüttern. Doch genau das versuchte der Franzose Thomas Huchon nachzuweisen – und zwar lückenloser als andere Dokumentarfilmer vor ihm. "Fake America Great Again", titelt seine Recherchearbeit, die ARTE am Dienstagabend (9. Oktober, 20.15 Uhr) in deutscher Erstausstrahlung zeigt. Wer den Facebook-Skandal um das Unternehmen Cambridge Analytica endlich mal verständlich aufbereitet wissen will, dem ist der 60-Minüter sehr ans Herz zu legen. Mehr noch: Der Film weist erstmals eine Verbindung zwischen dem millionenfach beklagten Datenmissbrauch und der erfolgreichen Präsidentschaftskampagne Donald Trumps nach.

77.000 Stimmen waren es in letzter Konsequenz, die Trump Ende 2016 den Wahlsieg und das Präsidentenamt bescherten. 77.000 Stimmen Vorsprung in den drei Schlüsselstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania. Hillary Clinton unterlag, obwohl sie landesweit fast drei Millionen Stimmen mehr erhielt. Das umstrittene Wahlmännersystem der USA machte es möglich. Nur mit Zufall hatte das nichts zu tun. Dafür sorgte das inzwischen insolvente Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica. Im Kern geht es also um die schwierige Beantwortung einer simplen, aber unerhörten Frage: Wie konnte "eine kleine britische Firma zur heimlichen Stellschraube für Trumps Wahlsieg 2016 werden"? Nun, in einem Satz ist das schlechterdings nicht zu entschlüsseln.

So nähert sich der faktendichte Film kapitelweise diesem beängstigenden Wahlcoup – und kreist dabei immer dichter um eine graue Hinterzimmereminenz wie aus dem Science-Fiction-Roman. Nicht Donald Trump und auch nicht sein Berater und späterer Chefstratege Stephen Bannon. Nein, es ist der Tech-Guru und Milliardär Robert Mercer, auf den alle Fäden wie in einem Spinnennetz zulaufen. Mercer kaufte 2010 das rechte Nachrichtenportal Breitbart News und installierte dort seinen Gesinnungsgenossen Bannon. Und er war Mitgründer von Cambridge Analytica, einem Tochterunternehmen der britischen SCL Group, die sich auf gezielte Wählermanipulation spezialisiert hat. Breitbart, Cambridge Analytica und Stephen Bannons Filmfirma Glittering Steel haben in Los Angeles alle dieselbe Adresse, an der die Kamera gleichwohl vor verschlossenen Türen verbleibt: Wilshire Boulevard, 8383.

Im Film ist Robert Mercer nicht einmal im Bewegtbild zu sehen. Mercer, geboren 1946 in San José, Kalifornien, gilt als einer der brillantesten IT-Spezialisten seiner Generation. Einen Namen machte er sich bei IBM, steinreich wurde der offenbar extremst menschenscheue Big-Data-Spezialist als Hedgefonds-Manager. Öffentliche Auftritte gibt es von ihm so wenige wie öffentliche Stellungnahmen. Was die politische Agenda eines der zehn einflussreichsten Milliardäre der USA ist, hat er nie öffentlich erläutert. Wohl aber weiß man, welche Institute und Lobby-Gruppen der Waffensammler finanziert: gegen Wirtschaftsregulierung, gegen linkslastige Medien, für die Leugnung des Klimawandels.

Dass reaktionäre Lobbyisten wie Mercer politische Kampagnen "mit ihrem Geld fluten" können, wie es im Film Tad Devine umschreibt, ist einer Gesetzesänderung aus dem Jahre 2010 geschuldet. Seither dürfe man "Geld spenden, so viel man will, und muss vielerorts nicht einmal seine Identität offenlegen", beklagt der Politikberater: "Unser System ist korrumpiert durch Lobbyistengelder, die auf allen politischen Ebenen in den Wahlkampf geflossen sind." Über die Absichten dahinter macht sich Devine keine Illusionen: "Diese Leute haben ausgezeichnete Beziehungen und ein klares Ziel: Sie versuchen, die US-Regierung zu übernehmen und zu zerstören." Der Treibstoff hinter dieser Zerstörungskraft: persönliche Daten.

Schwankende Wähler wurden mit "Dark Posts" kontaktiert

Zahlungsbelege dokumentieren, dass Donald Trump Ende Juni 2016, also kurz nach dem Brexit-Referendum, überzeugt ist, Cambridge Analytica könne auch seiner Kampagne wertvolle Dienste leisten. Rund elf Millionen Dollar fließen insgesamt an das Unternehmen, das bereits 2014 durch einen vorgeblichen Persönlichkeitstest an sensible Daten von 300.000 Facebook-Nutzern sowie deren Facebook-Freunden gelangt ist. 87 Millionen Nutzerprofile wurden durch den Schneeballeffekt insgesamt kompromittiert. Die so erworbenen Daten sind die Grundlage dafür, im Wahlkampfendspurt 2016 die wenigen 10.000 Wähler in den Schlüsselstaaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania zu identifizieren, von denen das Unternehmen dank seiner Analysen weiß, dass sie noch schwanken.

All das mag aufmerksamen Zeitungslesern in Grundzügen bekannt sein. Weniger verbreitet dürfte indes die Erkenntnis sein, wie die schwankenden Wähler kontaktiert wurden. Nämlich durch sogenannte "Dark Posts", persönliche Facebook-Nachrichten, die alleine für den Empfänger sichtbar sind und nach wenigen Stunden gelöscht werden. "Sie könnten alles Mögliche gesagt haben, von dem wir nie erfahren werden, weil es weg ist", hadert die britische Journalistin Carole Cadwalladr in der Doku. "Es ist interessanterweise noch auf dem Facebook-Server. Aber sie geben es nicht raus."

Solange das so bleibt, sind Transparenzbekenntnisse aus dem Munde von Facebook-Chef Mark Zuckerberg nicht sehr viel mehr als ein Lippenbekenntnis. Derweil wird am Wilshire Boulevard hinter verschlossenen Türen die Spaltung der US-Gesellschaft wohl weiter vorangetrieben – die nächsten Wahlen stehen an. Es ist schwer, sich nach Ansicht von "Fake America Great Again" jener Weltuntergangsstimmung zu entziehen, wie sie die Journalistin Cadwalladr formuliert: "Wir wussten, dass die neuen Technologien die Zeitungen, den Journalismus und die Musikindustrie kaputtmachen. Nun wird die Politik zerstört – und mit ihr die Demokratie. Donald Trump ist der große Zerstörer."

("Fake America Great Again": Dienstag, 9. Oktober, 20.15 Uhr, ARTE)


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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