ZDF-Reportage

"Wir machen Schule": Doku guckt dem Schulsystem auf die Finger

von Julian Weinberger

Was passiert eigentlich hinter den Kulissen des deutschen Schulsystems, direkt in den Schulen? Welche Hürden müssen Lehramtsanwärter während des Referendariats überspringen? Und welche Lösungen zur Teilhabe am Bildungssystem bieten sich für Schüler mit Beeinträchtigung? In drei dokumentarischen Filmen nimmt sich das ZDF mit der Reihe "Wir machen Schule" (drei Folgen, montags, ab 1. Oktober, 00.10 Uhr) dieser Fragen an und bringt dem Zuschauer Geschichten aus dem Schulalltag nahe, erzählt anhand persönlicher Erfahrungen von Schülern und Lehrern.

Schon der Titel des ersten Beitrages ist vielsagend: "Zwischen den Stühlen" begleitet drei Referendare, die nach dem Studium in einer letzten Etappe den Weg zum Lehrer bestreiten. Die angehenden Lehrer stehen vor der Klasse und unterrichten, sie drücken aber auch regelmäßig selbst die Schulbank. Sie lehren, während sie selbst noch lernen. Dabei stehen sie unter ständigem Druck, müssen sich bei Unterrichtsbesuchen beweisen und sind vor Prüfungssituationen ebenso nervös wie ihre Schüler. Denn ihre Betreuer erwarten eine "Progression ihrer Kompetenzentwicklung", wie es die angehende Grundschullehrerin Anna ausdrückt.

Auf den anfänglichen Wissensdurst und die Ideale der drei Referendare treffen bald Resignation und Selbstzweifel. Die Herausforderungen, die der plötzliche Wechsel vom theorie-orientierten Studium in die alltägliche Praxis bringt, scheinen überfordernd. Was anhand der persönlichen Erfahrungen der Protagonisten durchscheint ist eine Kritik am System. Katja, die ihr Referendariat an einer Gesamtschule absolviert, fordert: "Ich möchte mal, dass ein Minister versucht, eine Klasse eine Woche zu unterrichten. Ich glaube, der würde danach etwas anderes denken." So ermöglicht der erste Part der Dokureihe einen aufklärerischen Blick hinter die Kulissen des Lehrerwerdens und schafft ein Gespür, dass Lehrer auch nur Menschen sind.

In den anderen beiden Dokumentarfilmen von "Wir sind Schule" wechselt die Perspektive auf die Seite von Schülern. Für "Berg Fidel – Eine Schule für alle" begleitete Filmemacherin Hella Wenders über drei Jahre hinweg vier Kinder an einer Inklusionsgrundschule in Münster. Wenders erinnert sich an ihren ersten Eindruck von der Schule: "Als ich zum ersten Mal den Klassenrat der Grundschule 'Berg Fidel' erlebt habe, war ich sehr beeindruckt, wie selbstständig die Kinder dort ihre Probleme lösen. Auch das Lernen in den altersgemischten Klassen schien dort wie von allein zu gehen."

Ob Lernschwäche, Hörbenachteiligung oder geistige Behinderung – jedes Kind der Berg-Fidel-Schule hat eine eigene Geschichte. In einfühlsamen Porträts zeichnet Wenders den Weg von vier Kindern nach, erzählt von ihrem Alltag und ihren Träumen. Mit Geduld, spielerischem Lernen und persönlichen Gespräche sollen sie bestmögliche Förderung erhalten. Freilich braucht dieses Konzept Zeit und vor allem Personal – also letztlich finanzielle Mittel. Auch deswegen trennen sich nach der Grundschule die Wege der Schüler.

Den unterschiedlichen Werdegängen spürt Wenders sechs Jahre später nach, als sie für "Schule, Schule: Die Zeit nach Berg Fidel" ihre einstigen Protagonisten besucht. Was ist aus den Schülern geworden, nachdem sie die "Utopie", wie Wenders die Inklusionsschule nennt, verlassen haben? Nicht alle haben den Sprung an eine weiterführende Schule geschafft, manche wurden zu Förderschülern. Mit Sorgenfalten drängt sich dem Zuschauer die Frage auf, ob die Zeit an der Berg-Fidel-Schule damit nicht umsonst war. War es nicht das Ziel, diesen Schülern eine Chance zu geben, der Stigmatisierung einer Sonderbehandlung zu entkommen? Auch beschleicht einen die Befürchtung, dass die Kinder irgendwann einmal als Bildungsverlierer verschrien sein könnten.

So regt die sehenswerte ZDF-Reihe "Wir sind Schule" mit verschiedenen Blickwinkeln auf das Schulsystem zum Nachdenken an. Ungefiltert geben die drei Filme Einsicht in den Alltag von Schülern und Lehrern und werfen Fragen auf, um deren Beantwortung sich die Politik in den nächsten Jahren bemühen muss. Ein Wermutstropfen bleibt zum Ende dennoch: Warum in aller Welt läuft ein derart aktueller und bedeutender Stoff mitten in der Nacht?


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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