ZDF-Film

"Ich brauche euch": Psychodrama lässt bewusst viele Fragen offen

von Wilfried Geldner

Ihre Schwester wurde vom eigenen Mann getötet, nun soll sich Silvi um die traumatisierten Kinder des Paares kümmern. Max Färberböck (Buch und Regie) beobachtet in seinem Psychodram "Ich brauche euch" alles sehr genau.

ZDF
Ich brauche euch
Drama • 11.05.2020 • 20:15 Uhr

Eine Ehe endete jäh. Nach 23 Jahren scheinbar glücklichen Zusammenlebens tötete der Vater die Mutter (Fritz Karl, Judith Engel) im Affekt. Eine Fassade stürzt ein, kurz zuvor noch hatte die Mutter auf einem Familienfest ihre Ehe, den Mann und die beiden Kinder vor den versammelten Gästen gepriesen. Jetzt ist alles aus, der Mann abgeführt, die Kinder stehen unter Schock. Jani, der Ältere steigert sich in einen posthumen Liebesrausch. Alexandra, die Kleinere, begreift noch nicht viel, sie zieht sich in sich zurück. Max Färberböck (Buch und Regie) beobachtet in seinem Psychodrama "Ich brauche euch" alles sehr genau. Geradezu unerbittlich stellt er Silvi, die Schwester, die sich jetzt um die Kinder kümmern soll, unter das Mikroskop.

Silvi, die Mavie Hörbiger grausam gegen sich selbst und gegen andere als vom Leben gezeichnete Modedesignerin spielt, tritt mit ihrer ganzen Hilflosigkeit der Nachricht entgegen: Die Schwester ist tot. Draußen im Auto warten die Kinder, um die sie sich kümmern möge. Sie hat die Familie offensichtlich seit Jahren gemieden, die Schwester und deren Mann nicht mehr besucht. Beim Familienfest dreht sie kurz vor der Ankunft um. Sie ist einen anderen Weg gegangen als die Schwester, hat sich in ihre Karriere als Modemacherin gestürzt. Termine um die Ohren, London, Kunden aus Korea, und dann wartet ja auch noch das Pausentofu mit dem Blattsalat.

Aber natürlich kümmert sie sich um die Waisen. Sie will sich ihr eigenes Herz beweisen, auch wenn sie schon lange nicht mehr an die Liebe glaubt. Ganz dick bekommt Alex, ihr Freund, sein Fett ab. Eben will sie ihm schon wieder die Türe weisen. Da mag er ihr noch so sehr beteuern, wie sehr er sie liebt und wie schön sie sei. Marvie Hörbiger und Fabian Hinrichs, der eben jenen Alexander spielt, machen das in Echtzeit, eins zu eins vor den Filmkindern Elias Eisold und Geraldine Schlette. Man hat so was in deutschen TV-Filmen lange nicht mehr gesehen.

Man könnte das alles in irgendwelche Psycho-Schubladen packen: Leidet diese Silvi am Asperger-Syndrom, kann sie einfach ihre Gefühle nicht weitergeben, keine empfangen? Färberböcks Kunst liegt in der Aussparung. So wird etwa die Familiengeschichte nicht breitgetreten. Die tüchtige Schwester, die als Geschäftsfrau reüssiert, und die andere, die sich den falschen Mann, einen Versager genommen hat und dann all die Jahre womöglich wider besseres Wissen zu ihm hielt? Färberböck fällt kein Urteil, er zeichnet bloß auf, unbestechlich wie in einer Dokumentation. Am Ende besucht Jani (Elias Eisold) den Vater im Gefängnis. Die Tat bleibt ausgespart, das verbietet der Anwalt. Aber der Vater, Fritz Karl in einer ergreifenden Szene, macht dem Jungen klar, was für eine wunderbare Frau die Mutter war.

So genau hat man Schauspieler lange nicht mehr vom Leben erzählen sehen. Fast schon Ingmar-Bergman-reif. Der Schluss lässt alles offen. Wie kommt man überhaupt aus seiner Haut heraus, aus diesem – im alten Sinne – beschissenen, immer größer werdenden "Social Distancing"?


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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