Michael Fitz im Interview

"Ich rechne mit dem Schlimmsten, wenn ich ehrlich bin"

von Frank Rauscher

"In der Wirtschaft wird schon Wochen, bevor es ernst wird, nach Hilfe und Entschädigungen geschrien. Ich könnte jetzt auch losschreien. Aber als Freiberufler wirst du nicht gehört, da hast du keine Chance": Michael Fitz grübelt nach ersten Coronavirus-bedingten Terminabsagen seiner Liedermacher-Tournee über Existenzielles.

"Liebe Fans, liebe alle, die es betrifft. Es macht wirklich keinen Spaß, Konzerte abzusagen oder zu verlegen, obendrein noch so kurzfristig" ... – Auf seiner Facebookseite verkündete Michael Fitz am Donnerstag in einer ausführlichen Erklärung, dass und warum er kurzfristig die ersten Konzerte seiner "jetzt auf gestern"-Tournee verschoben hat. Die Verbreitung des Coronavirus hält die ganze Gesellschaft im Griff, warum sollte sie vor einem bayerischen Liedermacher Halt machen. Was aber heißt es eigentlich für einen leidenschaftlichen freischaffenden Künstler, von heute auf morgen Termine canceln zu müssen?

Der bundesweit vor allem als Schauspieler bekannte Ex-"Tatort"-Star gewährt im Interview tiefe Einblicke in sein Seelenleben und spricht von Sorgen, wie sie derzeit gewiss viele seiner Berufskollegen umtreiben. Es könnte, wie Fitz erklärt, schnell um die Existenz gehen, auch wenn der 61-Jährige als Schauspieler noch bestens gebucht zu sein scheint – demnächst ist er im ZDF gleich in zwei großen Spielfilmen zu sehen: als Arzt in "Annie – kopfüber ins Leben" (Donnerstag, 19. März) und als Kommissar in "Die Toten von Salzburg – Wolf im Schafspelz" (Mittwoch, 1. April, 20.15 Uhr).

prisma: Herr Fitz, Sie haben am Donnerstagnachmittag schweren Herzens den für den Abend geplanten Auftakt Ihrer Tournee absagen müssen. Das Konzert in Bayreuth wurde, wie bereits einige andere, kurzerhand verschoben. Was für eine Entscheidung war das – regierte bei Ihnen der Kopf oder der Bauch?

Michael Fitz: Ganz klar der Kopf. Aber zunächst einmal war es eine höchst unangenehme Entscheidung. Und eine, die ich mir natürlich nicht leicht gemacht habe. Ich bin einfach, was manche vielleicht immer noch nicht so genau wissen, ein Musiker mit Herzblut.

prisma: Auf Ihrer Homepage steht, dass Sie in den vergangenen zehn Jahren rund 700 Konzerte gegeben haben ...

Fitz: Spricht für sich, oder? Also, ja, mir blutet das Herz. Ich wusste, dass in Bayreuth mindestens 150 Leute da sein würden, was eine schöne Größe für einen solchen Liedermacher-Abend ist. Ich habe mich total auf diesen Auftritt und die kommende Tour gefreut. Aber nachdem ich Donnerstagmittag die Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gesehen habe, bei der zum ersten Mal von einer sogenannten "Durchseuchung" von 60 bis 70 Prozent die Rede war, die wohl in der Natur eines solchen Virus liegt, hat sich bei mir etwas verändert. Da habe ich mir eigentlich zum ersten Mal intensiv über die Corona-Ausbreitung Gedanken gemacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass es besser ist, jetzt nicht aufzutreten. Mir wurde schlagartig bewusst, was da alles dran hängt und welche Verantwortung da auch auf mir als Künstler lastet. Es geht nun vor allem darum, das Tempo der Ausbreitung zu verlangsamen. Da sind wir alle in der Pflicht.

prisma: Trotzdem: Sie sollten eigentlich jetzt im Auto auf dem Weg zu Ihrem zweiten Gig in Marburg sitzen. Stattdessen geben Sie zu Hause dieses Interview. Wie geht es Ihnen damit?

Fitz: Nicht gut. Abgesehen von meiner Leidenschaft und abgesehen davon, dass ich diese Abende mit dem engen Kontakt zum Publikum liebe, geht es hier natürlich auch um meinen Broterwerb. Es ist ein Ausfall, für den ich nichts kann und den mir keiner kompensiert. In der Wirtschaft wird schon Wochen, bevor es ernst wird, nach Hilfe und Entschädigungen geschrien. Ich könnte jetzt auch losschreien. Aber als Freiberufler wirst du nicht gehört, da hast du keine Chance.

prisma: Immerhin sind Sie noch ein gut beschäftigter Schauspieler. Demnächst sind Sie im ZDF gleich in zwei großen Spielfilmproduktionen zu sehen ...

Fitz: Das ist schon richtig, aber wie es da weitergeht, weiß auch niemand. Im Mai steht für mich der nächste Dreh für die ZDF-Reihe "Die Toten von Salzburg" an. Ich weiß nicht, ob man dann schon wieder in Österreich drehen kann. Und wenn wir nicht drehen, verdienen wir Schauspieler kein Geld. Keine Arbeit, kein Einkommen – das ist ganz einfach. Ich weiß bereits von einigen Kollegen, dass aufgrund abgesetzter oder aufgeschobener Produktionen die Situation schon zugespitzt ist. Das geht schnell ins Existenzielle bei Freiberuflern. Wenn mir jetzt die zunächst mal vier, fünf Konzerte wegbrechen, stehen ein paar tausend Euro auf dem Spiel. Es ist bitter.

prisma: Gibt es eine Versicherung gegen solche Ausfälle?

Fitz: Wahrscheinlich. Aber ich kenne keinen Musiker, der sich eine leisten könnte. Und für Schauspieler wird so etwas gar nicht angeboten. Ich finde gut, was Emmanuel Macron in Frankreich angekündigt hat: dass es dort Steuererleichterungen für Künstler und Freiberufler geben soll. Es würde mir gut gefallen, wenn man so etwas auch in Deutschland entscheiden würde – zumindest eine Aussetzung der Steuerrückzahlungen wäre in Zeiten von Corona begrüßenswert. Natürlich bin ich da voll betroffen, denke auch in die eigene Tasche. Also: Ich will nicht jammern, aber ich weiß, ganz ehrlich, auch nicht, wie ich über die Runden kommen werde, wenn es in den nächsten Monaten so weitergeht. Aber das ist das Schicksal von Freiberuflern. Mich hat ja keiner gezwungen, Künstler zu werden (lacht).

prisma: In Deutschland stehen die Künstler und Freiberufler derzeit tatsächlich nicht oben auf der Agenda ...

Fitz: Nein, was auch irgendwie nachvollziehbar ist. Da geht es um andere Berufsgruppen und erst mal um die große Wirtschaft. Für jemanden wie mich ist es ja privates Risiko. Aber ich schlage mich schon durch. Bisher habe ich den 40 Jahren, in denen ich arbeite, gerade ein einziges Mal Arbeitslosenhilfe bezogen.

prisma: Wann hoffen Sie, wieder auftreten zu können?

Fitz: Vielleicht schon nächste Woche. Ich habe am 19. März in Planegg und am 20. März in Tuttlingen zwei kleinere Konzerte, die die Veranstalter gerne durchziehen wollen, und ich würde sie, Stand jetzt, auch spielen. Kann aber sein, dass es Mitte der Woche ganz anders aussieht. Ich rechne mit dem Schlimmsten, wenn ich ehrlich bin. Immerhin konnte ich die meisten der bisher schon gecancelten Auftritte verschieben: Die Verträge bleiben erhalten, die Leute behalten ihre Karten und können sie zurückgeben, wenn sie den neu angesetzten Termin nicht wahrnehmen können. Das wäre alles noch kein Drama. Ich würde mir nur ein bisschen mehr Vernunft in der ganzen Debatte wünschen.

prisma: Was meinen Sie?

Fitz: Dass die Medien das Ganze nicht noch viel dramatischer machen sollten, als es ohnehin schon ist! Wir haben bei Corona Krankheitsverläufe und Mortalitätsraten, die noch weit unter den Zahlen des Grippevirus liegen – über die Grippe berichtet nur keiner. Ich gebe dieses Interview auch, weil es mir nicht nur als Musiker oder Schauspieler, sondern vor allem als ganz normaler Mensch wichtig ist, mich genau zu diesem Punkt zu äußern: über meine Verantwortung und zur Frage, wie weit ich mich von der ganzen Hysteriewelle mitreißen lasse. Überhaupt: Warum tun eigentlich alle so, als würde es morgen kein Klopapier mehr geben?

prisma: Haben Sie noch keine Hamsterkäufe getätigt?

Fitz: Nein. Das ist total absurd. Ich kenne in meinem Umfeld auch niemanden, der sich den Keller mit Ravioli vollgeladen hat oder so ... Wenn wir über Verantwortung reden, meine ich auch überhaupt nicht die egoistische Verantwortung für mich selbst, sondern ich meine das, was wir alle tun können, um die Ausbreitung dieses Virus einzudämmen: Wo gehe ich überhaupt noch hin? Mit wem komme ich dabei zusammen? Wie viel Abstand halte ich bei meinen sozialen Kontakten? – 50 bis 60 Millionen Menschen werden infiziert werden, das scheint jetzt schon klar, aber es müssen ja nicht alle auf einmal sein. Machen wir uns nichts vor: Für alle, für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft an sich, wird ein großer Schaden entstehen. Wir haben es jedoch alle mit in der Hand, wie schnell und wie heftig das über uns kommt. Jeder muss sich Gedanken machen, was die angemessenen Verhaltensweisen sind. Für mich war es am Donnerstag eben angemessen, jetzt mal die ersten Konzerte abzusagen.

prisma: Was fordern Sie von der Politik?

Fitz: Dasselbe wie von uns allen: dafür zu sorgen, dass für die Alten, Kranken, für die an Corona ernsthaft leidenden Menschen genügend Aufmerksamkeit und Kapazität vorhanden ist. Darum geht es. Debatten über die kritische Größe von Musikkonzerten sind da wenig hilfreich.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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