Österreichische Produktion

"Freud": Düstere Netflix-Serie fordert den Zuschauer

von Julian Weinberger

Die österreichische Netflix-Produktion "Freud" spielt mit Licht und vor allem Schatten. Erzählerisch hat die Serie viel zu bieten, vom Zuschauer fordert sie viel Aufmerksamkeit.

Die erste deutsche Netflix-Serie "Dark" war für den Streamingdienst ein echter Volltreffer. Das Mystery-Format, extrem komplex auf mehreren Zeitebenen angelegt, avancierte nach dem Start Ende 2017 zum Paradebeispiel einer neuen deutschen Serienkultur und sorgte auch international für bemerkenswerte Resonanz. Nun, so wurde es immer wieder kolportiert, war klar: Die Deutschen können Serie. Dass beinahe zeitgleich Sky und die ARD mit "Babylon Berlin" eine Produktion auf die Leinwand brachten, die an Aufwand und Opulenz das bisher Gesehene in den Schatten stellte, passte hervorragend ins Bild. Was das alles mit dem Neustart der ersten österreichischen Netflix-Eigenproduktion zu tun hat? Ziemlich viel. Denn "Freud" (ab 23. März) zaubert aus den Erfolgsserien aus dem Nachbarland eine Wiener Mélange und vermengt sie zu einem schauderhaften Ausflug ins Jahr 1886.

Dort kämpft Sigmund Freud (Robert Finster) um seine wissenschaftliche Kredibilität. Für sein revolutionäres Konzept des Unbewussten und seine Überzeugung, Hypnose für therapeutische Zwecke einzusetzen, wird er in der Wiener Wissenschaftsszene als Scharlatan verlacht. "Hysterie ist ein anderes Wort für Lüge", ist noch so ziemlich das Netteste, was der Querdenker zu hören bekommt. Doch nicht zuletzt das Aufeinandertreffen mit dem geheimnisvollen Medium Fleur Salomé (Ella Rumpf) beschert Freud erste Erfolgserlebnisse, auch wenn diese den Weg zu grausamen Leichenfunden weisen. Dadurch machen die beiden Bekanntschaft mit dem störrischen Polizeiinspektor Alfred Kiss (sehr überzeugend: Georg Friedrich) – die Geburtstunde eines ungewöhnlichen Trios.

Eine Taschenuhr pendelt bildschirmfüllend langsam von links nach rechts, dazu eine beruhigende Stimme und das unaufhörliche Ticken des goldenen Zeitmessers: Schon die ersten Sekunden von "Freud" umreißen treffend, was die Zuschauer in der Serie erwartet. Beinahe ausschließlich in Großaufnahmen gefilmt, klebt die Kamera während dieser befremdlich anmutenden Praxis förmlich an Sigmund Freud und seiner Patientin. Hypnose ist das bestimmende Thema der Koproduktion von Netflix und ORF und wird in großer Häufigkeit praktiziert, stets filmisch ansprechend umgesetzt.

Komplexes Gesamtbild

Allgemein ist das neue Werk von Regisseur Marvin Kren ("4 Blocks") ausgesprochen düster geraten. Die Szenen in Wien einige Jahre vor der Jahrtausendwende spielen fast ausschließlich im Dunkeln. Ohne Frage sind das ausgeprägte Spiel mit Schatten und die dunkle, entsättigte Farbgebung hübsch anzusehen. Mit der Zeit verkommen die spärlich beleuchteten, nebeldurchzogenen Gassen, die oft genug allein durch den diffusen Schein einer Öllampe erleuchtet werden, ob des inflationären Einsatzes jedoch zur Staffage. Zudem das Übersinnliche in der Handlung ohnehin omnipräsent ist, ob in Séancen, die als Highlights von Zusammenkünften der Wiener Upperclass zelebriert werden, oder in den grausigen Schreckensvisionen, die Freud immer wieder Fleur entlockt.

Erzählerisch kann "Freud" punkten, auch wenn man als Zuschauer aufmerksam bei der Sache sein sollte. Denn die Geschichte aus der Feder von Stefan Brunner, Benjamin Hessler und Marvin Kren ist fordernd. Die Autoren führen ein Füllhorn an Figuren ein, erläutern Hintergründe aus deren Vergangenheit, um nur wenig später andere Handlungsfäden fortzuführen. So entsteht zügig ein komplexes Gesamtbild, das nicht selten Reminiszenzen an "Dark" aufkommen lässt. Was etwa Anja Kling als heimtückische Gräfin Szápáry mit der Mordserie zu tun hat, bleibt lange Zeit im Ungewissen.

Unverkennbar sind auch die Anleihen, die sich "Freud" von "Babylon Berlin" genehmigt. Es ist keineswegs aus der Luft gegriffen, dass die achtteilige Produktion nach der Premiere auf der Berlinale mancherorts als "Babylon Wien" gelobt wurde. Besonders der ausgeprägte Wiener Schmäh verleiht Authentizität, auch wenn das Derbe und der schwarze Humor fehlt, der österreichischen Produktionen oft immanent ist. Insgesamt gesehen hinkt der Vergleich mit "Babylon Berlin" aber, diesem unglaublich facettenreichen und opulent bebilderten Sittengemälde der deutschen Hauptstadt.

Zwar bemüht sich "Freud" nach Kräften, das pulsierende Leben Wiens aufzufangen, doch mehr als ein Ausflug ins Theater oder ein bisschen "Stubenmusi" in der Kneipe springen am Ende nicht heraus. Auch politische Konflikte werden allenfalls angedeutet. Trotzdem: Der Netflix-Erstling aus der Alpenrepublik muss sich gewiss nicht vor der Konkurrenz verstecken und darf getrost als eines der Streaming-Highlights des noch jungen Jahres bezeichnet werden. Oder wie es der Wiener sagen würde: Leiwand!


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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