Keyboarder von The Cure

Roger O'Donnell: Von Krähen, The Cure und sinnfreien Texten

von Nadine Wenzlick

Roger O'Donnell findet die Texte, die Gastsängerin Jennifer Pague für seine neue Soloplatte schrieb, weitgehend "sinnfrei". Genommen hat er sie trotzdem. Außerdem erklärt der Keyboarder im Interview, wie es mit dem neuen Album (oder den neuen Alben?) von The Cure weitergeht.

Als Keyboarder der Band The Cure steht Roger O'Donnell auf den größten Bühnen der Welt. Nun veröffentlicht der 64-Jährige ein Soloalbum, das alles andere als stadiontauglich ist: Auf "2 Ravens" treffen sorgsam arrangierte Streicher auf klassisches Klavier. Die eine Hälfte des Albums ist instrumental, für die andere lud O'Donnell die amerikanische Sängerin Jennifer Pague ins Studio ein. Im Interview verrät er, wie sich das Leben auf dem Land in England auf den Klang seines Albums auswirkte, warum Musik manchmal mehr aussagt als Worte und wie es für The Cure weitergeht.

prisma: Herr O'Donnell, was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen?

Roger O'Donnell: Ich lebe neben einem Milchbetrieb, rund 30 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt. Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich Felder und das Tal, noch mehr Felder und Bäume. Eine typische ländliche Gegend Englands.

prisma: Sind Sie ein Landei?

O'Donnell: Ich bin in Ost-London aufgewachsen, städtischer geht es kaum, aber ich lebe inzwischen seit 30 Jahren in Devon und fühle mich hier sehr wohl. Ich fahre gerne mit dem Rad oder erkunde die Gegend mit dem Auto.

prisma: Es heißt, Ihr neues Soloalbum "2 Ravens" sei stark beeinflusst von diesem ländlichen Leben.

O'Donnell: Das stimmt. Ich schrieb die Songs im Dezember 2016. Wir hatten mit The Cure gerade unserer Welttournee beendet. Ich hatte mich ein Jahr lang danach gesehnt, wieder zu Hause zu sein, aber als ich zurück war, wirkte alles nackt und traurig. Im Winter regnet es hier sehr viel und es ist monatelang einfach nur grau. Auf der anderen Seite hatte sich all diese Kreativität angestaut. Auf Tour standen wir zwar jeden Abend drei Stunden auf der Bühne, aber kreativ ist das nicht. Ich hatte keine Zeit, mich einfach mal ans Klavier zu setzen und zu spielen.

prisma: Als Sie wieder zu Hause waren, sprudelte es also aus Ihnen heraus?

O'Donnell: Ja, dieses Album zu machen, war ein Weg, um all diese Emotionen auszudrücken. Ich hatte in diesem Format, mit Streichern und Klavier, über ein Jahr lang nichts gemacht und wollte einfach mal sehen, ob ich es noch kann – ob mir Harmonien und Melodien einfallen. Als ich die ersten zwei Songs fertig hatte, ging alles ganz schnell. Länger als zwei Wochen habe ich an dem Album nicht geschrieben.

prisma: Klavier und Streicher – wie kamen Sie überhaupt zu diesem Sound? Mit The Cure hat er recht wenig zu tun.

O'Donnell: Zu Beginn meiner Solokarriere gab es zwei elektronische Alben, die ich mit dem monophonen Synthesizer Moog Voyager aufnahm. Damit kann man immer nur einen Ton spielen, und irgendwann erkannte ich, dass das, was ich da mache, im Grunde Orchestrieren ist. Ein Freund von mir spielt Cello im Orchester von Toronto, und sie baten mich damals, etwas für sie zu schreiben. So fing alles an. Das Cello war immer eines meiner Lieblingsinstrumente. Man sagt, dass es das Instrument sei, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt.

prisma: Sehen Sie das auch so?

O'Donnell: Es ist wie eine Tenor-Stimme, es kommt also recht hoch und tief. Ich finde, das Cello klingt wahnsinnig emotional und passt einfach perfekt zum Klavier.

prisma: Die Hälfte Ihres Albums ist instrumental, auf den anderen Stücken ist die amerikanische Sängerin Jennifer Pague zu hören. Wie kam es zu der Kollaboration?

O'Donnell: Eigentlich wollte ich ein Instrumentalalbum machen, mit Cello und Klavier auf der einen und Streicherquartett und Klavier auf der anderen Seite. Es war schon fertig, als ich einen neuen Verlagsdeal bei einem alten Freund, mit dem ich schon seit 25 Jahren arbeite, unterschrieb. Er schlug vor, einigen Songs Gesang hinzuzufügen. Die Idee fand ich interessant, denn instrumentale Musik wirkt auf eine Menge Leute etwas einschüchternd. Ich dachte, wenn der Gesang und der Vibe stimmen und das Album dann mehr Leute hören, warum nicht? Mein Freund erzählte mir dann von Jennifer Pague. Sie hat ihr eigenes Projekt namens Vita And The Woolf. Ich schickte Jennifer den Song "An Old Train" und wenige Tage später bekam ich 30 Sekunden mit Gesang zurück. Es passte einfach perfekt. Spannend fand ich auch den Kontrast, dass sie diese amerikanische Rock-Sensibilität mitbringt und man dazu dann die europäischen Streicher und das Klavier hat. So etwas habe ich noch nie gehört.

prisma: Inwiefern untermalen Jennifers Texte die Emotionen und Themen, die Sie musikalisch transportieren wollten?

O'Donnell: Ich möchte Jennifer nicht beleidigen, aber einige ihrer Texte wirken auf mich etwas sinnfrei. "The Haunt" handelt von einer Trennung, aber "An Old Train" ist, glaube ich, komplett willkürlich. Die Wörter sind eher ein Vehikel für die Melodie. Um ehrlich zu sein, habe ich Jennifer aber nie gefragt. Vielleicht sollte ich das ..? Aber mit jemandem zu kollaborieren, bedeutet für mich auch, die andere Person ihr Ding machen zu lassen und ihr zu vertrauen. Außerdem, wenn wir es mal umdrehen: Jennifer hat mich auch nie gefragt, was ich mit der Musik aussagen will.

prisma: Was würden Sie ihr denn antworten?

O'Donnell: Das Album erzählt keine Geschichte, sondern zeichnet ein Bild von einem bestimmten Moment in meinem Leben. Die Emotionen, die ich fühlte, die Atmosphäre und die Szenerie um mich herum. Mit Ausnahme von einem Stück: "The Hearts Fall" basiert auf einem Gedicht des englischen Schriftstellers Ted Hughes. Er lebte wie ich in Devon und schrieb viele Gedichte über Krähen. Der Song basiert auf einem Gedicht namens "Crow's Fall". Es handelt von einer Krähe, die von der Sonne genervt ist, weil sie ihr zu hell ist. Also fliegt sie der Sonne entgegen, um sie zu attackieren. Natürlich klappt das nicht, und während die Krähe ihr näher kommt, verbrennt sie, wird schwarz und fällt auf die Erde zurück. Es ist ein unglaubliches Gedicht, das von der Musik in dem Song erzählt wird. Wer das Gedicht liest und gleichzeitig den Song hört, weiß, was ich meine.

prisma: Kann Musik Emotionen manchmal besser transportieren als Worte?

O'Donnell: Das ist eine gute Frage. Für mich ist die emotionalste Musik orchestrale Musik. Sie ist wie ein Gemälde. Ich persönlich schaue mir lieber ein Gemälde an, als ein Buch zu lesen. Die Geschichten in meinem Kopf werden von Sounds und von Bildern getriggert. Ich will nicht die Geschichte von jemand anderem hören, weil ich genug eigene Geschichten im Kopf habe. Deswegen höre ich viel instrumentale Musik.

prisma: Ist eigentlich etwas dran an der Legende, dass Sie zu Hause neben dem Klavier geboren wurden?

O'Donnell (lacht): Das stimmt. Ich wurde im Esszimmer geboren, zwei Meter neben dem Klavier. Und ich sage immer, dass ich mich nie in meinem Leben weit vom Klavier entfernt habe. Meine Eltern spielten beide Klavier, das Instrument war also immer da. Und ich erkannte früh, dass es ein Weg ist, um mich auszudrücken.

prisma: Sie spielen – mit kurzen Unterbrechungen – seit 1987 bei The Cure. Wie wichtig ist es, neben der Band eigene kreative Räume zu haben?

O'Donnell: Sehr wichtig, sowohl für mich als auch für die Band. Vor allem für Robert (Smith, Anm. d. Red.), damit ich ihn weniger nerve. Wenn wir mit The Cure ein neues Album aufnehmen, habe ich nicht den Drang, auf jedem Track Keyboard spielen zu müssen, denn ich kann mein eigenes Ding machen. Ich bin dahingehend sehr entspannt. Meine Soloalben sind für mich wie ein Ventil, durch das die Kreativität entweichen kann. Es geht nicht darum, Geld zu machen oder Platten zu verkaufen. Ich möchte einfach, dass die Leute es hören.

prisma: Angeblich sollen dieses Jahr drei neue Alben von The Cure erscheinen.

O'Donnell: Definitiv drei, vielleicht sogar sechs (lacht). Im Ernst, ich weiß nicht, ob es wirklich zwei oder drei werden, aber das eine, an dem wir gerade arbeiten, ist immens. Es ist ein großes Album und genau so, wie es sein sollte. Gemessen daran, wo wir an diesem Punkt in unserer Karriere stehen, wer wir sind und wie wir spielen, ist es das, was alle erwarten. In Hinblick auf die aktuelle Situation in der Welt dauert es vielleicht noch eine Weile, bis es fertig ist, aber niemand wird enttäuscht sein.

prisma: Als Sie Anfang des Jahres von dem britischen Musikmagazin "NME" als bester Festival-Headliner ausgezeichnet wurden, sagte Robert Smith, die Shows im vergangenen Sommer seien die besten gewesen, die Sie je gespielt haben. Können Sie das unterschreiben?

O'Donnell: Wir kamen uns letztes Jahr sehr nah. Auch spielerisch wuchsen wir über uns hinaus. Es gab in der Vergangenheit tolle Line-ups von The Cure, aber das gerade ist die vollkommenste Besetzung, die die Band je hatte. Wir sind in einem Alter, in dem wir das nicht mehr machen müssen. Wir machen es, weil wir es lieben. Und diese Nähe zwischen uns kommt auf der Bühne rüber, das Publikum kann das spüren. Einige dieser Shows übertrafen wirklich alle Erwartungen und alles, was wir zuvor erlebt hatten. Ich liebe diese Jungs, wir sind eine Familie - und ich hoffe, dass wir das, was wir letzten Sommer gemacht haben, wiederholen können.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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