Der Moderator im Interview

Jörg Wontorra: "Dortmund ist der neue FC Hollywood"

24.04.2018, 06.10 Uhr
von Florian Blaschke
Moderator und Talkmaster aus Leidenschaft: Jörg Wontorra, bekennender Werder-Bremen-Sympathisant, moderiert seit September 2017 seine eigene Show.
Moderator und Talkmaster aus Leidenschaft: Jörg Wontorra, bekennender Werder-Bremen-Sympathisant, moderiert seit September 2017 seine eigene Show.  Fotoquelle: Getty

    Seit 35 Jahren ist Jörg Wontorra auf Sendung – zunächst bei der Sportschau, später bei ran und Doppelpass, inzwischen auf dem frei empfangbaren Sky-Sender "Sport News HD". Ein Gespräch über Traditionsfußball, journalistischen Jagdtrieb und die dunklen Seiten des Sports.

    Herr Wontorra, wie empfinden Sie die aktuelle Saison? Spannend oder langweilig?

    Von Platz 2 bis 18 spannend wie selten zuvor aufgrund der geringen Punkteunterschiede. Oben aber ist das Problem, dass die Bayern enteilt sind. Da müssten die Wettbewerber gegensteuern, aber dafür müssten sie eben auch die selben Mittel in die Hand nehmen können.

    Das klingt nicht so, als würden Sie nach so etwas schreien wie der Deckelung von Gehältern oder Ablösesummen ...

    Für mich muss man keine Spielergehälter deckeln, das ist nicht machbar, und ich glaube, das würde vor Gerichten auch keinen Bestand haben, aber man kann überlegen, ob man die 50+1-Regelung fallen lässt, damit Vereine sich gegenüber Investoren öffnen können. Da haben etliche Vereine auch Trends verschlafen. Man sagt ja: "Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit", und das sieht man bei vielen Traditionsclubs. Man muss schon mit den Wölfen mitheulen, wenn man Ambitionen hat.

    Ein Thema auch für Sie als Fußballbeobachter in diesem Jahr war der Videobeweis. Wie fällt kurz vor Saisonende Ihr Fazit aus?

    Unterm Strich hat der Videoassistent doch für mehr Gerechtigkeit gesorgt. Und vor allem: Wir befinden uns ja noch in der Anfangsphase, das Thema spielt sich gerade ein, die Wochenenden mit massiver Empörung werden weniger ... Aber ohne Frage, der Videoassistent hat für eine Menge an Diskussionsstoff gesorgt.

    Insofern ist das Thema für Sie und Ihre Talkshow natürlich ein gefundenes Fressen ...

    Ja, uns Journalisten ist da ein Thema zugelaufen. Wir müssen uns eigentlich bedanken. Für mich als Fußballfan gab es aber schon den ein oder anderen Aufreger, gerade in der Umsetzung...

    Sie bezeichnen sich also auch als Fan? Nicht nur als Sportjournalist?

    Ja, auf jeden Fall! Ich bin natürlich in erster Linie Journalist, in zweiter bin ich Fan des Fußballs, und zum Dritten bin ich Sympathisant von Werder Bremen. Sympathisant, kein Fan.

    Dafür haben Sie den Verein ja auch schon zu oft hart rangenommen.

    Das stimmt. (lacht)

    Als Ihre Talkshow auf Sky angekündigt wurde, klangen die Schlagzeilen nach Senderkrieg, schließlich haben Sie lange den "Doppelpass" auf Sport 1 moderiert. Wie sehen Sie das rückblickend?

    Ich kann mir vorstellen, dass damals der ein oder andere bei Sport 1 in die Tischkante gebissen hat. Aber ich sehe das pragmatisch, wie einen Wechsel von einem Konzern zum anderen. Und ich war ja schon zwei Jahre Rentner, da hatte ich keine moralischen Bedenken. Dazu kommt: Viele Leute haben die beiden Sendungen als Konkurrenten angesehen, aber ich wusste schon früh, dass das nicht stimmt. Das zeigen auch die Zahlen: Wir haben aus dem Stand nahezu 200.000 Zuschauer geschafft, der Doppelpass hat seine Quoten aber ebenfalls erhöht. Es gibt also für beide Sendungen eine Klientel. Ich glaube, wir sind mehr Diskussionsforum als der Doppelpass. Oder anders: Wer verdienstvolle Alt-Internationale sehen will, guckt den Doppelpass, wer die Entscheider der Bundesliga sehen will, guckt uns.

    Nun sind Talksendungen über Fußball ja ein Paradox. Eigentlich muss man diesen Sport doch gucken, nicht darüber reden oder sogar Menschen dabei zugucken, wie sie über ihn reden. Warum hat das für viele trotzdem so einen Reiz?

    Der Fußball bringt ja seine Themen selbst auf den Markt, Personalien beispielsweise, Entlassungen. Die sind viel spannender geworden. Dazu kommt aber, dass viele informiert sein wollen, um mitreden zu können, sie wollen die Hintergründe erfahren. Das ist ja alles auch viel schnelllebiger geworden, dem Internet sei Dank.

    Das klingt so, als fänden Sie Ihren Job spannender als früher?

    Für mich ist es nach wie vor am Spannendsten, wenn kurz vor der Sendung noch eine Meldung kommt, die wir unbedingt behandeln wollen. Dann fängt das richtige Leben an. Das war aber schon früher so. Ben Johnson wurde 1988 um 1.20 Uhr deutscher Zeit des Dopings überführt und wir waren damit um 2 Uhr auf Sendung. Das sind die Momente, in denen bei einem Journalisten der Jagdtrieb erwacht. Und deshalb bin ich heute froh, dass die Informationen minutenweise kommen. Wobei mir das zum Teil auch zu schnelllebig geworden ist, denn der Wettbewerb zwischen Radio, Fernsehen und Online führt teilweise zu Kaffeesatzleserei, und das schadet dem Journalismus.

    Halten Sie sich für gefeit vor dieser Kaffeesatzleserei?

    Ich glaube ja, denn ich habe aus meiner Vergangenheit gelernt. Ich habe, vielleicht aus Wettbewerbsgründen, Rudi Assauer mal des Alkoholkonsums bezichtigt und bin dafür abgemahnt und abgestraft worden. Deshalb weiß ich heute, dass man sich davor hüten sollte, aus Sensationsgier Themen voranzutreiben.

    Aber natürlich hoffen auch Sie auf Reibung in Ihrer Sendung, auf Konflikte ...

    Die sind ja auch in Ordnung – und Gesprächspartner zu kitzeln, ist auch wichtig, aber das sollte man mit Sachthemen tun. Und man sollte sich an dem orientieren, was man sauber recherchiert hat.

    Angefangen beim Sportstudio mit den ersten Talk-Gästen über den Doppelpass bis Wontorra heute: Wie viel Potenzial sehen Sie in solchen Formaten noch für eine Weiterentwicklung?

    Wir müssen immer versuchen, uns zu entwickeln und ich sehe da auf jeden Fall noch Luft. So wird Wontorra beispielsweise noch länger werden. Man kann sich auch Gedanken machen über die aktivere Einbindung des Publikums. Da würde ich gerne drüber reden. Und ich würde gerne noch dichter an den Vereinen sein, um als Erster mit den Themen auf den Markt zu kommen, die unsere Zuschauer interessieren.

    Nun haben Sie von der Sportschau über Live-Sendungen bis hin zum Talk schon alles gemacht, was man im Sportfernsehen machen kann. Haben Sie ein Lieblingsformat?

    Eigentlich sind diese Debattensendungen mein Lieblingsformat geworden. Da bin ich zu Hause und fühle mich wohl, denn da kann ich Eigenrecherche einbringen, aber auch Kontroversen auslösen. Deshalb habe ich Sky auch so schnell zugesagt. Doch mein Highlight sind nach wie vor die Olympischen Spiele. Das waren alles Freudenfeste, da war man noch mitten unter den Sportlern, was beim Fußball heute ja nicht mehr so ist.

    Haben Sie denn – Stichwort Doping, Stichwort Bestechung, Stichwort Politik – auch heute noch Vertrauen in solche Veranstaltungen?

    Ich habe meine letzten Spiele 2008 gemacht, das war noch wunderschön und hat viel Spaß gemacht. Doch in den letzten Jahren hat das eine Eigendynamik bekommen, die Spiele sind befleckter als früher und ich würde es glaube ich nicht mehr so gerne machen wie damals. Heute muss man jede Medaille hinterfragen, das verdirbt einem schon die Freude an diesem Fest.

    Und wie sieht es im Fußball mit der Freude aus? Viele Spieler wirken heute doch schon sehr abgeklärt, oder nicht?

    Bei vielen hat sich eine Legionärsmentalität entwickelt, da fehlt die Identifikation mit dem Verein. Da fehlt zu oft das Herzblut, was auch daran liegt, dass das ganze Geschäft globaler wird. Aber die Schraube wird nicht zurückzudrehen sein.

    Nun ist Sky Sport News HD frei empfangbar, anders als die anderen Sky-Sender, Sie müssen also durchaus auf die Quote schielen. Wie sehr beeinflusst das die Themenwahl?

    Selbstverständlich schauen wir auf die Quote, sie ist ein wichtiger Maßstab. Und wir wissen, dass bestimmte Vereine mehr Zuschauer bringen, weil sie mehr Fans haben oder stärker polarisieren. Sich auf diese Vereine zu konzentrieren, ist aber journalistisch auch völlig ok. In Dortmund liegen die Themen derzeit auf der Straße, das ist der neue FC Hollywood. In Freiburg muss ich dagegen länger suchen, um Inhalte zu finden, die Kontroversen erzeugen – die finde ich interessanterweise oft bei den Vereinen, die die meisten Fans haben.

    Die Bandbreite dieser Themen in den letzten Jahrzehnten hat sich unglaublich aufgefächert. Woran liegt das?

    Ich glaube, der Druck auf die Medien, der Wettbewerb ist größer geworden. Und der Fußball ist globaler, wodurch mehr Themen entstehen. Dazu kommt, dass die Themen immer spektakulärer werden, und dass die Vereine auf der anderen Seite versuchen, immer mehr zu kontrollieren. Aber dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn Journalisten erst recht graben und suchen.

    Nicht nur das, Vereine produzieren heute ja auch selbst Nachrichten, haben teils eigene Sender, Magazine, Internetseiten. Hatten Sie nie Angst, dass Ihnen selbst dadurch der Job weggenommen wird?

    Eigentlich nicht. Mit den Formaten, die ich in den letzten 15 Jahren gemacht habe, hatten wir immer ein Alleinstellungsmerkmal. Der kritische Umgang passiert in den Vereinsmedien einfach nicht, das ist ja kein Journalismus.

    Sie haben es selbst schon angesprochen: Eigentlich waren Sie schon mal Rentner. Trotzdem sind Sie noch mal zurückgekommen. Wie blicken Sie selbst derzeit auf den Nachwuchs in Ihrer Branche?

    Es wird schon länger versucht, Nachwuchs zu fördern und groß zu machen. Jochen Breier beim Sportstudio oder Jessy Wellmer bei der Sportschau sind erst seit wenigen Jahren auf Sendung, bei Sky ist es Esther Sedlaczek. Da rückt schon einiges nach. Und ich glaube, der Nachwuchs kommt gerade geballt auf das Publikum zu, was wichtig ist, denn Fernsehen braucht die Veränderung. Dass ich noch da bin, verdanke ich meiner guten Ausrüstung, meinem Rüstzeug und dem sehr speziellen Wontorra Fußball-Talk, der ist etwas für jemanden mit ein bisschen Lebenserfahrung.

    Ich will Sie auch nicht in die Rente quatschen, aber Sie wirken auch gar nicht, als würden Sie bald aufhören wollen.

    Nein, ich beiße noch – die Leidenschaft in mir ist noch da. Dieser Beruf ist ja eine Berufung, und ich profitiere davon, dass ich dieses Handwerk nie an der Garderobe abgegeben habe und in einer Unterhaltungsbranche nie Unterhalter geworden, sondern immer Journalist geblieben bin.

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