Krimi im Ersten

Tatort "Fürchte dich": Ungewöhnlich einfallsreich

29.10.2017, 19.07 Uhr
Dieser Tatort macht seinem Titel "Fürchte dich" alle Ehre.
BILDERGALERIE
Dieser Tatort macht seinem Titel "Fürchte dich" alle Ehre.  Fotoquelle: HR/Benjamin Dernbecher

Der wohl ungewöhnlichste Tatort dieses Jahres kommt vom Hessischen Rundfunk.

"Eine gute Spukgeschichte versteht, dass die Vergangenheit Gewicht hat", schrieb der amerikanische Filmkritiker Ty Burr einmal. Und die Vergangenheit, die versteckt sich in Spukgeschichten nun mal gerne in alten, unheimlichen Häusern.

Gut, dass ausgerechnet Hauptkommissar Brix (Wolfram Koch) und seine langjährige Bekannte Fanny (Zazie de Paris) in so einem Haus wohnen. Knarrende Dielen, klapprige Fenster, quietschende Türen – perfekt für das, was Hauptkommissarin Anna Janneke, die diesen Tatort mit der Frage "Glauben Sie an Geister?" einleitet, berichtet: "Ich arbeite seit über 20 Jahren für die Polizei", sagt sie mit einem wunderbar morbiden Hall in der Stimme. "Ich hinterfrage Dinge. Ich habe vieles gesehen. Doch heute Nacht erzähle ich Ihnen von einem der unheimlichsten Kriminalfälle meiner bisherigen Laufbahn. Ein alter Mann kommt zu einem alten Haus." Es ist – genau: das Haus von Paul Brix.

Kinderleiche unter einer der Dielen

Dass es in dieser Nacht gewittert, was das Zeug hält, ist dabei noch nicht wirklich ungewöhnlich. Dass der alte Mann bei Brix und Fanny einbricht, um erst das Wohnzimmer und dann sich selbst mit Benzin zu übergießen, schon eher. Doch dass Brix, nachdem der Alte es unter mysteriösen Umständen nicht geschafft hat, sich und das Haus anzuzünden, auf dem Dachboden, unter einer der Dielen, die besonders schaurig knarren, eine Kinderleiche entdeckt, macht aus "Fürchte dich" dann doch noch so etwas wie einen Krimi. Eine Leiche jedenfalls hätten wir damit schon mal.

Doch damit dieser Tatort die Versprechung in seinem Titel halten kann, braucht es natürlich ein wenig mehr. Und so entpuppt sich der alte Mann, der inzwischen bei Brix in der Küche liegt, als echte Kuriosität. Der Sanitäter, den Fanny gerufen hat, erkennt ihn nämlich wieder: Kurz zuvor hatte Otto Schlien (Axel Werner), so heißt die Kuriosität, noch in einem Pflegeheim sechs Kilometer entfernt gelegen – und zwar im Sterben.

Der Fall nimmt nicht nur Fanny sichtlich mit. Auch die Enkelin von Otto Schlien, Merle (Luise Befort), scheint sichtlich durcheinander, als Brix in dem Pflegeheim auf sie trifft. Auch sie scheint sein Haus zu kennen, und wenn wir uns nun noch einmal an das Zitat des Filmkritikers erinnern, ahnen wir: Auch hier hat die Vergangenheit noch Gewicht, vermutlich schlummert unter den alten Dielen noch mehr als nur das Kinderskelett. Vielleicht in dem Karton mit Fotos und Briefen der Vorbesitzer, den Fanny aufgehoben hat und der im Keller vor sich hin modert?

Um Fanny kümmert sich jedenfalls erst einmal Anna Janneke, die von der Erzählerin inzwischen wieder zur Ermittlerin geworden ist. Denn Fanny beginnt nicht nur, Gespenster zu sehen – genauer eine alte Frau, die in dem Haus unterwegs sein soll –, sie legt auch Tarot-Karten und erzählt etwas von einer bevorstehenden Katastrophe. "Füll sie ab", rät Brix seiner Kollegin. Wenn das doch nur so einfach wäre.

Ungewöhnlich einfallsreich für einen Tatort

Dieser "Krimi", er fährt alles auf, was einen echten Schocker ausmacht: neblige Dunkelheit, modrige Keller, klaustrophobische Szenen und grausame Geister. Das ist in vielen Moment nicht nur ungewöhnlich einfallsreich für einen Tatort, sondern auch handwerklich solide gemacht. Zwar kennen wir all die Effekte und psychologischen Tricks aus dem gehobenen Gruselkino, doch die Kombination mit dem Frankfurter Milieu rund um Brix und Janneke und der manchmal groben, aber außerordentlich pointierten Situationskomik macht erstaunlich viel Spaß – wenn man sich denn gerne ordentlich erschrecken lässt und eine hübsche Portion Gänsehaut am Sonntagabend zu schätzen weiß.

Schauspielerisch ist "Fürchte dich" zudem ziemlich großes Kino. Jede, wirklich jede Rolle wird in diesen 90 Minuten derart überstrapaziert, dass es eine Freude ist, und zusammen mit der facettenreichen Kamera von Benjamin Dernbecker, der stimmigen, wenn auch nicht originellen Musik von Steven Schwalbe und Tobias Wagner sowie dem höchst wunderlichen, überdrehten Plot von Regisseur Andy Fetscher und Autor Christian Mackrodt macht dies aus einem Tatort ein krimieskes Gruselstück, ein düsteres Märchen voller Kunstgriffe und Überspitzungen, voller grotesker Szenen und abstruser Charaktere. Sicherlich nichts für jeden Sonntag, aber hin und wieder? Gerne mehr davon!

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