ARTE-Doku

"Frauen und Männer in der Steinzeit": Klischees in der Forschung

von Franziska Wenzlick

Selbst die Wissenschaft ist nicht klischee-resistent. Eine ARTE-Doku räumt mit Vorurteilen aus der Steinzeitforschung auf.

ARTE
"Frauen und Männer in der Steinzeit"
Dokumentation • 19.06.2021 • 22:40 Uhr

Es war der 28. März 1872, als Émile Rivière an der französisch-italienischen Grenze eine Entdeckung machte, die noch weit mehr als 100 Jahre später die Steinzeitforschung auf der ganzen Welt prägen sollte: Der französische Archäologe war in den norditalienischen Grimaldi-Höhlen auf ein vollständiges und hervorragend erhaltenes Skelett aus der Steinzeit gestoßen, inklusive Grabbeigaben, Schmuck und üppigen Verzierungen der Grabstelle. Zum ersten Mal zogen Wissenschaftler die Möglichkeit in Betracht, dass bereits zu prähistorischen Zeiten festliche Bestattungen abgehalten wurden – eine Erkenntnis, die alle bisherigen Vorstellungen ins Wanken brachte. Was, wenn die Menschen der Steinzeit keine stumpfsinnigen Affenmenschen waren, sondern in einer deutlich zivilisierteren Gesellschaft lebten, als bislang angenommen?

Eine Antwort auf diese Frage gibt Pauline Costes ARTE-Dokumentation "Frauen und Männer der Steinzeit – Gleicher als gedacht?", die sich neben der paläolithischen Kultur auch den Geschlechterrollen ebendieser Zeit widmet. Beim "Mann von Menton" nämlich, wie Rivière seinen Fund damals nannte, handelt es sich in Wirklichkeit keinesfalls um das Skelett eines Mannes. Aufgrund des prachtvollen Kopfschmucks war man bis in die 1990er-Jahre davon ausgegangen, dass Rivière die Grabstätte eines männlichen Stammesoberhauptes entdeckt hatte.

Costes Film zeigt eindrücklich, wie traditionelle Vorstellungen von Mann und Frau die Forschung beeinflussen: Da man dachte, üppiger Schmuck sei allein mächtigen Männern vorbehalten gewesen, zogen Rivière und seine Nachfolger nicht in Betracht, dass das Skelett das einer Frau sein könnte. Die Statur- und Knochenanalyse der "Dame von Cavillon", wie der Fund heute betitelt wird, bewies gegenteiliges und gab zudem Rückschlüsse über den Wahrheitsgehalt eines weiteren Vorurteils: Männliche Jäger und weibliche Sammler – das stimmt so nicht. Die in französisch-tschechischer Zusammenarbeit entstandene Dokumentation räumt endgültig mit all den Klischees auf, die die Sicht auf unsere Vorfahren trübt.

"Frauen und Männer in der Steinzeit" – Sa. 19.06. – ARTE: 22.40 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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