"Ostsee für Sturköppe": Neuanfang mit Hindernissen
Mit dem berührenden Familiendrama "Ostsee für Sturköppe" geht es in den Norden. Eva Jensen (Jennifer Ulrich) will als Tischlerin an der Ostseeküste neu anfangen. Doch da hat sie nicht mit der Eigenwilligkeit der Menschen gerechnet. Stück für Stück erfährt der Zuschauer mehr über das Familiengeheimnis.
Wer kennt sie nicht, die Aufbruchstimmung kurz nach Silvester? Die Vorsätze sind noch frisch, der Atem noch lang, und alle Türen scheinen offen zu stehen. So geht es auch Eva Jensen (Jennifer Ulrich) in "Ostsee für Sturköppe", dem ersten ARD-Freitagsfilm des neuen Jahres. Die Hamburger Tischlerin will an der Ostsee neu anfangen. Doch dort als Nordlicht ihren (beruflichen) Lebensmittelpunkt aufzubauen, erweist sich als nervenaufreibendes Unterfangen. Es stellt sich heraus, dass die Bewohner des Provinznests inmitten ihrer Fischerhäuser mit reetgedeckten Krüppelwalmdächern doch eine ziemlich vorgefertigte Meinung von Großstädtern haben. In Joana Vogdts Drama mit komödiantischen Elementen geht es vor allem um die Integration im eigenen Land – und um Träume, die zum Scheitern verurteilt sind.
"Ich rede hier von brettharter Ostseeküsten Sturheit"
Aus Hamburg kommen, sich ins gemachte Nest setzen, den anderen die Jobs wegnehmen ... – Den Ostküstlern geht es offenbar um die Haltung der Hanseaten. Ein Streit mit einem Anwohner öffnet Eva die Augen – wenn auch unsanft. Denn als sie ihre handwerklichen Fähigkeiten anbietet, schlägt ihr nur Misstrauen, ja sogar Hass entgegen. Klingen putzen muss die Sympathieträgerin nur, weil Hinrich Kniepolt (stark: Hermann Beyer) seine Werkstatt partout nicht verkaufen will.
"Ich rede hier nicht von Hamburger Sturheit. Ich rede hier von brettharter Ostseeküsten Sturheit", schimpft daher Evas Vermieterin Trine (Claudia Geisler-Bading) über den kauzigen Alten. Doch der findet, dass Alter nur eine Zahl ist und denkt mit seinen 75 Jahren noch lange nicht daran, die Handwerkerschürze an den Nagel zu hängen.
Was auf den ersten Blick wie ein verbissener Grantler aussieht, der nichts für die Ambitionen der Jugend übrig hat, entpuppt sich im Laufe des Films als Charakter mit Tiefgang. Jeder kennt diesen sturen, in die Jahre gekommenen Bock, der tief in seinem Inneren ein Herz aus Gold hat – aber andere lange danach suchen lässt. Schließlich stößt Eva auf ein tragisches Familiengeheimnis der Kniepolts aus DDR-Zeiten. Erst dann gelingt es ihr, einen unverstellten Blick auf die Dinge zu haben.
Rückblende in die DDR-Zeit
Denn mehr als 5.600 Fluchtversuche – meist mit Booten oder sogar schwimmend – gab es unter dem harten Stasi-Regime an der Ostsee, von denen Hunderte tödlich endeten. Die Filmemacherin reflektiert in ihrem Regiedebüt zwar die tiefen Narben, die die DDR-Diktatur hinterlassen hat. Das ist stark, doch immer wieder verliert sie sich bei der recht vorhersehbaren Story in belanglosen Nebenschauplätzen. So lässt Drehbuchautorin Sarah Esser Eva und den attraktiven Fischhändler Christian (Max Woelky) quälend oft wie zwei Teenager umeinander tanzen, es passiert aber erst mal nichts. Und auch Evas geplanter Kauf der Werkstatt zieht sich in die Länge, weil sich plötzlich ausgerechnet der hübsche Typ vom Strand für das alte Gemäuer interessiert und der Dorftratsch ihren Ruf zu ruinieren droht.
Die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen entschädigen den Zuschauer für den einen oder anderen Spannungshänger ebenso wie die berührende Familiengeschichte der Kniepolts, die genauso gut wahr sein könnte. Überdies halten kurze Rückblenden, die Ausschnitte aus Evas Kindheit zeigen, das Interesse hoch. Lange rätselt man, was es mit dem Drachenkuscheltier auf sich hat, welches Eva wie ihren Augapfel hütet.
"Ostsee für Sturköppe" – Fr. 05.01. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH