"Der rote Schatten"

"Tatort"-Kritik: Und die im Dunkeln sieht man nicht

13.10.2017, 15.36 Uhr
von Florian Blaschke
Mann aus der Vergangenheit: Hannes Jaenicke (r.) als Wilhelm Jordan.
BILDERGALERIE
Mann aus der Vergangenheit: Hannes Jaenicke (r.) als Wilhelm Jordan.  Fotoquelle: Julia von Vietinghoff/SWR

Es gibt Menschen, die leben in so etwas wie einer Zwischenwelt, nicht ganz in der Realität, aber auch nicht in der Fantasie. Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) ist so ein Mensch. Obwohl sich die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) intensiv mit ihm auseinandersetzen, bleibt er ihnen ein Rätsel, bleibt er eine Figur im Dunkeln. War Jordan beim Geheimdienst? Hatte er früher etwas mit der RAF zu tun? Und hat er seine Lebensgefährtin Marianne Heider umgebracht, wie ihr Ex-Mann Christoph Heider (Oliver Reinhard) behauptet? Oder kam die bei einem Badewannenunfall ums Leben?

40 Jahre nach dem Deutschen Herbst versucht sich der SWR mit dem vielfach ausgezeichneten Regisseur Dominik Graf an einem hochpolitischen Tatort. Um den Fall der toten Frau spinnen er und sein Drehbuchkollege Raul Grothe einen Fall, der selbst unter herausragenden Tatort-Folgen Seltenheitswert besitzt. In dem spielen alle Parteien eine Rolle, die es für einen ordentlichen Polit-Thriller braucht: die Polizei in Person von Lannert und Bootz mit ihrer jeweils ganz eigenen Geschichte, Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) und Oberstaatsanwalt Lutz (Friedrich Mücke), die sich das ein oder andere spitze Duell liefern – und die Überbleibsel der RAF, Astrid Frühwein (Heike Trinker) etwa, die immer noch in engem Kontakt zu Jordan steht.

Bilder von subtiler Zweideutigkeit

Immer wieder schaffen Graf und Grothe es dabei mit Hilfe der Kameramänner Hendrik Kley und Jakob Beurle, Bilder von subtiler Zweideutigkeit zu erzeugen – Momente, die den Zuschauer zum einen ratlos, aber von Minute zu Minute auch neugieriger zurücklassen. Ein Blick hier, ein Detail dort, ein verräterischer Dialog zur richtigen und ein vermeintlicher Hinweis zur falschen Zeit. Ein perfides Spiel, perfekt inszeniert für die Liebhaber vertrackter Fälle. Vor allem aber ein Spiel, das ab der Hälfte gehörig Fahrt aufnimmt.

"Wissen Sie: Das sind alles Enden einer Geschichte, die keinen Abschluss hat", sagt der ehemalige Geheimdienstler Strobel (Michael Hanemann) irgendwann zu Lannert. Und tatsächlich scheint es mittendrin – nach etlichen Rückblenden in die 70er-Jahre, als habe dieser Tatort mal wieder keine Lösung, als sei es einer dieser Fälle, in denen am Ende alles unter Verschluss bleibt, obenauf der Deckel des Staatsschutzes. Doch so leicht macht es sich Dominik Graf nicht. Stattdessen spielt er virtuos mit den vielen ungeklärten, historischen Fragen rund um die RAF und die Todesnacht von Stammheim, aber auch mit den Möglichkeiten, die blutige Geschichte des deutschen Terrorismus in einem zeitgemäßen Tatort aufgehen zu lassen.

Ein Tatort, der nachwirken wird

Und auch wenn Lannert und Bootz am Ende ihr Kapitel abschließen können, bleibt beim Zuschauer ein ungutes Gefühl. Ein Gefühl, dass dieses Stück deutscher Vergangenheit noch lange nicht bewältigt ist – und vielleicht nie wirklich sein wird. Ein Tatort, der noch lange nachwirken wird.

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