Petra Schmidt-Schaller

"Terrorismus ist etwas, das über blinde Wut hinausgeht"

von Eric Leimann

Im ZDF-Politthriller "Der Mordanschlag" (Montag, 5.11., Mittwoch, 7.11., 20.15 Uhr) vermischen sich Fiktion und Realität. Einerseits orientiert sich der Zweiteiler deutlich an den historischen Fakten rund um die Ermordung des Treuhand-Chefs Detlev Rohwedder (gespielt von Ulrich Tukur) im Jahr 1991. Andererseits sieht man dem Leben einer jungen Frau zu, die von der Schauspielerin Petra Schmidt-Schaller (38) verkörpert wird.

Als Terroristin in spe denkt sie darüber nach, ihr altes Leben samt Kind zugunsten des RAF-Terrorismus aufzugeben. Im Interview erinnert sich die ehemalige "Tatort"-Kollegin von Wotan Wilke Möhring, wie sie als Kind die Wende erlebte und bald darauf die Demontage ihres Landes, der DDR. Auch über die Gründe, warum sich Menschen anscheinend völlig irrational dem Terror anschließen, räsoniert die Tochter der "SOKO Leipzig"-Ikone Andreas Schmidt-Schaller.

prisma: Sie waren Anfang der 90er ein Kind von zehn, elf Jahren. Welche Erinnerungen haben Sie an die Abwicklung der DDR?

Petra Schmidt-Schaller: Fangen wir mit dem Mauerfall an. Damals war ich neun, und wir lebten in Ost-Berlin. Ich erinnere mich daran, wie wir das erste Mal in den Westteil Berlins fuhren. Ich war beeindruckt von all diesen bunten Plakaten, von dieser schillernden Welt. Ich schrieb aber meinem Onkel dazu später etwa das: "Am Anfang war alles bunt und toll, aber dann kotzte es mich an." (lacht)

prisma: Da waren Sie ja mit neun Jahren schon sehr konsumkritisch.

Petra Schmidt-Schaller: Mich hat das auch gewundert, als ich das dann später noch mal gelesen habe. Aber es war wohl so. Ich erlebte eine körperliche Reaktion der Überforderung. Zu viele große, bunte Reize. Wer weiß, was ich gegessen habe – an diesem Tag. Mir wurde auf jeden Fall schlecht. Es tat also gut, später in diese eher leere Welt des Ostens zurückzukommen.

prisma: Sind Sie gleich in der Nacht des 9. Novembers auf West-Entdeckungstour gegangen?

Petra Schmidt-Schaller: Meine Eltern waren ziemlich kühn. Sie sind gleich an jenem Abend rüber – und ich lag daheim im Bett. Es hätte ja auch sein können, dass sich die Lage noch mal dreht und sie gar nicht mehr zurück dürfen. Das wäre natürlich nicht so doll gewesen – für mich (lacht). Aber ich glaube, die haben da gar nicht drüber nachgedacht. Alle waren wir im Rausch ...

prisma: Ihr Film "Der Mordanschlag" erzählt nun nicht von der Wende, sondern setzt etwa im Jahr 1991 ein. Wie erinnern Sie diese Zeit?

Petra Schmidt-Schaller: Die Wende im persönlichen Umfeld ging ja eher langsam vonstatten. Im Sommer 1991 wurde ich elf. Unsere Lehrer waren weitgehend dieselben geblieben. Russischlehrer mutierten plötzlich zu Englischlehrern – was hanebüchene Folgen hatte. Auch mein Englisch war schrecklich, bis ich dann mein Austauschjahr in den USA gemacht hatte. Vor allem habe ich nach der Wende gelernt, "ich" zu sagen. Wo ich vorher fast immer "wir" gesagt habe. Das war die große Veränderung im Kopf.

prisma: Die Abwicklung der DDR durch die Treuhand wird heute als Ur-Trauma vieler ehemaliger DDR-Bürger empfunden. Wie emotional sind Sie bei diesem Thema?

Petra Schmidt-Schaller: Ich erinnere vor allem den Satz: "Dies und das ist weggegangen für ne Mark." Es stimmt schon, dass damals viel wegbrach. Vor allem in den Köpfen derer, die damals bereits erwachsen waren, so wie meine Eltern. Der Glaube an etwas, sei er religiös oder auch werteorientiert wie die Idee des Sozialismus, gibt Menschen enorm viel Kraft. Und das meine ich gar nicht wertend. Es brach schon viel auseinander mit der Wende. Auch viele Ehen übrigens. Ich weiß gar nicht, wie viele Kinder aus meiner Klasse plötzlich zu Scheidungskindern wurde, weil sich ihre Eltern über die Erfahrung der Wende entfremdeten und entzweiten.

prisma: Also erinnern Sie sich an jene Jahre eher kritisch?

Petra Schmidt-Schaller: Die Frustration über die Wende wuchs eigentlich von Jahr zu Jahr. Dann, als man sah, was daraus wurde. Am Anfang waren natürlich alle begeistert. Aber die Ernüchterung war dann groß. Bezeichnenderweise sagte ein Bekannter aus dem Westen neulich zu mir: "Ich habe meine Ostverwandtschaft in den ersten ein, zwei Jahren nach der Wende sehr oft gesehen. Danach aber nur noch sehr selten." Viele haben sich nach dem Rausch dann doch wieder entfremdet.

prisma: Heute schreibt man viele gesellschaftliche Probleme in Deutschland den Verfehlungen jener Zeit zu. Wurde ein Großteil der Erwachsenen, die Sie damals im Osten kannten, zu verbitterten Menschen?

Petra Schmidt-Schaller: Nicht in meinem nächsten Umfeld. Mein Vater fasste als Schauspieler im Westen schnell Fuß. Auch für meine Mutter lief der Übergang gut – sie konnte als Lehrende im Fach Schauspiel weiter arbeiten. Mein Onkel aus Chemnitz hingegen war damals in der Metallindustrie der DDR als Handwerker tätig. Er wurde arbeitslos und hangelte sich danach nur noch von einer ABM-Maßnahme in die nächste. Er hat das kompensiert, weil er ein natur- und sportbegeisterter Mensch ist. Das gab ihm Halt. Aber natürlich kennt jeder aus dem Osten nahe Verwandte oder Bekannte, bei denen vieles oder gar alles zusammengebrochen ist.

prisma: Kommen wir zurück zum Film. Da spielen Sie eine Frau und Mutter, die mit dem Gedanken spielt, sich dem Terrorismus anzuschließen, indem sie RAF-Mitgliedern Informationen für einen Anschlag auf den Treuhand-Chef zukommen lässt. Ein realistisches Szenario?

Petra Schmidt-Schaller: Realistisch im künstlerischen Sinne, weil man sich die Frage stellt: Wie weit würde ich für meine Überzeugungen gehen? Würde ich tatsächlich mein Kind zurücklassen, um in den Untergrund zu verschwinden. Es gibt ja Beispiele von Leuten, die das getan haben. Für mich wäre das eine echt krasse Entscheidung. Bei meiner Figur ist es so, dass sie mit diesem Dilemma hadert und kämpft, sich letztendlich aber die Dinge verselbständigen. Mehr sollte man nicht verraten, finde ich. Es ist aber tatsächlich ein unglaubliches Spannungsfeld, die Frage, ob man so weit gehen würde.

prisma: Ist der Film auch eine Studie über Radikalisierung? Er erzählt ja auch davon, wie jemand, der ein Anschlags-Opfer ausspähen soll, unerwartet Sympathien für diesen Menschen empfindet ...

Petra Schmidt-Schaller: Das sehe ich durchaus ähnlich. Menschlichkeit ist immer eine Ebene, die Terrorismus vollkommen absurd erscheinen lässt. Ich weiß, das Experten, die mit Geiselnehmern verhandeln, immer als erstes versuchen, bei der Menschlichkeit der Täter einzuhaken. Die fragen dann, ob jemand der Geiseln Medikamente braucht oder solche Dinge. Man versucht, den Menschen im Geiselnehmer zu aktivieren. Wenn Verhandlungen auf einer technisch-sachlichen Ebene steckenbleiben, ist die Gewaltbereitschaft größer. Weil dann alles abstrakter und eben entmenschlichter ist.

prisma: Für Ihre Theorie spricht auch, dass der Terrorismus-Sprech meist sehr technokratisch daherkommt.

Petra Schmidt-Schaller: Absolut, wenn man sich alte Bekennerbriefe der RAF durchliest, packt einen das kalte Grausen. Das ist alles total entmenschlicht. Eine schlimme Sprache und Logik, wenn man bedenkt, dass es denen eigentlich um menschliche Ideale und eine bessere Gesellschaft ging.

prisma: Was muss mit einem Menschen passieren, damit er tatsächlich zum Terroristen wird?

Petra Schmidt-Schaller: Man hängt extrem stark einer Ideologie oder einem Glauben an. So extrem, dass es alles Menschliche verdrängt. Manchmal reicht ein starkes Gefühl, um einen Menschen in den Wahnsinn zu führen. Zu wahnsinnigen Taten. Ich glaube, es ist so, dass nur ein großer Schmerz, der vorher stattgefunden haben muss, ein so starkes Gefühl zulässt. Eine bodenlose Enttäuschung vielleicht. Terrorismus ist etwas, das über die reine Affekthandlung, über blinde Wut hinausgeht. Wahrscheinlich geht es vor allem um ein Gefühl der Rache.

prisma: Und dieses Gefühl löst sich niemals auf?

Petra Schmidt-Schaller: Ich glaube, dass blinde Wut und Rache mit dem Alter schwerer zu leben sind. Vielleicht sind deshalb die meisten Terroristen eher junge Leute. Wenn man älter wird, und diese Erfahrung habe ich längst gemacht, denkt man viel mehr über Kompromisse nach. Man vergibt auch häufiger Dinge. Das empfinde zumindest ich so. Es ist eine Reifung, über die man sich als Mensch freuen kann.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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