Schauspielerin im Interview

Emily Blunt: "Mary Poppins hat mich eingeschüchtert"

von Andreas Fischer

    Die traut sich was: Emily Blunt (35) wagt es, mit "Mary Poppins' Rückkehr" (Kinostart: 20. Dezember) tatsächlich, in die Fußstapfen von Julie Andrews zu treten. Während ihre Freunde alle Schnappatmung bekamen, hat sich die Schauspielerin in ihr Spiegelbild verliebt.

    So viel Schwärmerei muss erlaubt sein: Emily Blunt verzaubert jeden. Nicht nur, weil die in London geborene und aufgewachsene Schauspielerin gerade in "Mary Poppins' Rückkehr" (Kinostart: 20. Dezember) jede Menge Magie und Wunder aus ihrer unergründlichen Handtasche holt. Nicht nur, weil sie den Mumm hat, eine der ikonischsten Figuren der Kinogeschichte mit Chuzpe neu zu interpretieren, ohne das Original zu verraten. Nicht nur, weil sie selbst schwache Filme ("Girl On The Train", "The Wolfman") erträglich macht. Von den guten ("Der Teufel trägt Prada", "A Quiet Place", "Sicario") mal ganz zu schweigen. Nein, die 35-Jährige hat die selten gewordene Gabe, den Menschen, die ihr gegenüber sitzen, zuzuhören und sie humorvoll ernst zu nehmen. Dass die zweifache Mutter, die mit Regisseur und Schauspieler John Krasinski verheiratet ist, dabei selbst am Ende eines Interviewmarathons noch voller Energie ist, ist außerdem ganz zauberhaft.

    prisma: Ihre Kollegin erzählte vorhin, dass sie Mary Poppins ziemlich sexy findet ...

    Emily Blunt: Wer war das? Emily Mortimer (spielt im Film die Rolle der Jane, d. Red.) etwa? Sie hat ein ziemlich loses Mundwerk. (lacht) Fakt ist: Mary Poppins ist ziemlich eitel, und sie sieht natürlich auch sehr schick aus. Und sie bewundert sich selbst in jeder spiegelnden Oberfläche – was ich ziemlich genossen habe.

    prisma: Wie war es denn sonst für Sie, nach 54 Jahren ein so großes Erbe anzutreten?

    Blunt: Das ist eine ziemlich komplexe Frage, weil sie so viele emotionale Schichten berührt. Glauben Sie mir, jeder, der bei diesem Film mitgearbeitet hat, war sich des Erbes bewusst. Die Messlatte war so unglaublich hoch. Dass "Mary Poppins" auch heute noch so fest im Bewusstsein so vieler Menschen verankert ist, spricht doch Bände ... Ganz entscheidend ist dafür die Musik. Sogar Leute, die den Originalfilm nie gesehen haben, kennen die Songs, so als wären sie in einer Art Osmose in jede Kindheit gedrungen.

    prisma: Und trotzdem haben Sie sich darauf eingelassen?

    Blunt: Wir wussten alle, was auf uns zukommt, und ich wusste, dass ich in ziemlich große Fußstapfen trete. Ich will nicht leugnen, dass ich Zweifel hatte – anderseits aber liebe ich die Herausforderung. Ein bisschen Angst treibt mich zu besseren Leistungen an. "Mary Poppins" hat mich mehr eingeschüchtert als alles, was ich bisher gemacht habe.

    prisma: Was hat das für Auswirkungen auf Ihre Arbeit gehabt?

    Blunt: Keine. Im Gegenteil: Gerade deswegen ging ich an die Rolle genauso heran wie an alle anderen. Das musste ich auch: Immerhin hat jeder, dem ich davon erzählte, Schnappatmung bekommen, sodass ich mich immer mal wieder fragte: "Worauf zum Teufel hast du dich nur eingelassen?" Dass ich mich ziemlich heftig in meine Rolle verliebt habe, hat alle meine Ängste dann aber ziemlich in Schach gehalten.

    prisma: Welche Beziehung haben Sie zum Original?

    Blunt: Ich habe diesen Film als Kind geliebt. Natürlich, wer hat das nicht? Konkret im Gedächtnis hatte ich aber nur noch ein paar einzelne Szenen und Songs, "Ist das ein herrlicher Tag" etwa, oder die Szenen in der Bank, die mir als Kind Angst machten. Woran ich mich aber genau erinnerte war, dass Mary Poppins etwas Beruhigendes hatte: Sie war eine Autoritätsperson, die Dinge gerade rückte und Ordnung ins Chaos brachte. Ich fühlte mich sicher bei ihr und ich glaube, das ging allen Kindern so.

    prisma: Glauben Sie, dass das heute immer noch so ist?

    Blunt: Ich glaube, dass Kinder einfach zu gerne in die ganzen Fantastereien eintauchen, weil Mary Poppins aus alltäglichen Situationen magische Erlebnisse macht. Baden oder aufräumen – das wird bei ihr zu einer Reise in ein Wunderland. Und: Bei ihr verlieren Kinder die Angst vor schwierigen Themen, wie den Verlust eines geliebten Menschen. Dadurch dass die Fortsetzung in der Zeit der Weltwirtschaftskrise spielt, hat Mary Poppins auch heute eine Relevanz: Es war damals eine Zeit der Unsicherheit, die wir heute wieder erleben. Ich glaube, wir sehnen uns alle nach einer Mary Poppins, die einfach alles wieder gut macht.

    prisma: Was mögen Sie an Mary Poppins am meisten?

    Blunt: Dass sie den Menschen beibringt, unvoreingenommen zu sein: Im Leben sollte es immer darum gehen, andere zu akzeptieren. Wenn wir nicht urteilen, eröffnen sich uns automatisch andere Perspektiven. Mary Poppins ist keine Superheldin, sie ist einfach ein Mensch, der das Beste aus anderen herausholt.

    prisma: Und die den Männern zeigt, was ein Regenschirm ist?

    Blunt: Was ich an Mary Poppins besonders mag – und das war in den 1930er-Jahren, als P. L. Travers die Bücher schrieb, sehr modern: Sie braucht keinen Mann, sie ist selbstständig und weiß, wie wichtig das ist. Sie ist eine Frau, die Dinge geregelt bekommt, und zwar ohne von irgendjemandem abhängig zu sein.

    prisma: Solche Dinge kann man seinen eigenen Kindern gut beibringen: Haben Sie Ihren Töchtern die Filme schon gezeigt?

    Blunt: Die kleine ist ja noch viel zu jung. Aber meine große Tochter liebt den Originalfilm, wir haben ihn uns nach dem Ende der Dreharbeiten immer wieder angesehen. Hazel ist zu einem echten Hardcore-Fan von Julie Andrews geworden. Ich musste ihr dann allerdings etwas eifersüchtig sagen: "Du weißt schon, dass es noch einen anderen Mary-Poppins-Film gibt und deine Mama die Hauptrolle spielt?"

    prisma: Heißt das, dass Sie sich das Original vor den Dreharbeiten gar nicht mehr angesehen haben?

    Blunt: Genau. Ich habe gewartet, bis alle meine Aufnahmen im Kasten waren. Für mich war das sehr wichtig, dass ich meine eigenen Vorstellungen umsetzen konnte. Ich wollte keine Kompromisse eingehen. Außerdem: Niemand auf der Welt würde eine schlechte Kopie von Julie Andrews sehen wollen.

    prisma: Julie Andrews ist heute 83 Jahre alt. Haben Sie schon mit ihr gesprochen?

    Blunt: Leider noch nicht, ich würde es aber wirklich sehr gerne. Sie hat Rob Marshall (Regisseur, d. Red.) neulich eine sehr liebenswürdige E-Mail geschrieben, nachdem sie den neuen Film gesehen hat.


    Quelle: teleschau – der Mediendienst

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