Früher war heile Welt? Das ist natürlich Quatsch. Doch der Mensch neigt zur Verklärung. Eine neue ZDF-Doku wirft augenzwinkernd die Frage auf, wie berechtigt eine Flucht in die Nostalgie sein kann.
"Gerade in Krisen sehnen wir uns verstärkt nach Stabilität", sagt Andras Rödder. "Und in der abgeschlossenen Vergangenheit meinen wir, sie zu finden." Der Mainzer Historiker ist kein Freund wohlfeiler Verklärungen einer vermeintlich "heilen Welt" in der Vergangenheit. Damit ist er einer der wichtigsten Gewährsleute in der neuen, augenzwinkernden ZDF-Dokumentation "ZDFzeit: Früher war alles besser! Oder?", die auch prominente Zeitgenossen zu Wort kommen lässt.
Es ist ein Fluchtweg ins Sentimentale, der sich gerade in harten Corona-Zeiten und Phasen der gesellschaftlichen Unruhen sowie der Unwägbarkeiten der Umweltzerstörungen geradezu aufdrängt. War nicht im diffusen "Früher" alles irgendwie einfacher, gemütlicher, verlässlicher und überschaubarer als heute? Gab es nicht mehr Schnee an Weihnachten und auch sonst öfter Momente, an die man sich gerne zurückerinnert? Man braucht nicht unbedingt einen Wissenschaftler wie Rödder, um Misstrauen zu säen gegenüber der klischeehaften Plattheit des Spruchs "Früher war alles besser".
Tatsächlich muss man nur an "früher" denken, um zumindest den allzu naheliegenden Fallstricken aus dem Weg zu gehen. Denn schon in den heute herrlich "gestrig" wirkenden Weihnachts-Sketchen von Loriot, die oft den etwas muffigen Geist der 60er- und 70er-Jahre atmen, wurde schon gejammert, dass früher angeblich "mehr Lametta" war. Und wer ernsthaft die Behauptung in die Welt setzt, dass früher die Menschen angeblich netter zueinander gewesen waren, könnte schnell der Verbreitungen von historischen "Fake News" – Stichwort: Weltkriege – verdächtigt werden.
Wie sich schnell zeigt, ist Erinnerung in jedem Fall ein höchst individuelles Konstrukt. Und so lohnt es sich, auch ganz persönliche Fragen zu stellen. Was genau veranlasst Mitmenschen, Trost in der privaten Nostalgie zu suchen? Antworten geben in der Dokumentation dabei auch Prominente – darunter der Comedian Bülent Ceylan und der Satiriker Oliver Kalkofe sowie die Schauspieler Inka Friedrich und Walter Plathe.
Aber auch Zeitzeugen wie Karl Dall (er verstarb erst nach den Dreharbeiten für die Doku), Marie-Luise Marjan aus dem früheren "Lindenstraßen"-Team und die Sportlerin Heike Drechsler öffnen ihre privaten Fotoalben und erinnern an ihre Jugend. Leitfragen, an denen sich die Erkundigungen der Filmemacher Felix Krüger und Marc Elvers entlanghangeln, sind dabei gerne angeführte, vermutlich aber alles andere als haltbare Behauptungen wie "Früher war alles billiger", "Früher war man sich noch treu", "Früher war die Ernährung gesünder" oder "Früher war die Kindheit noch unbeschwerter". Kann man Aussagen wie diesen wirklich trauen – heute wie gestern?
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH