Hauptrolle als "Der Richter" im ZDF

Heino Ferch: "Wir dürfen Recht nicht mit Moral verwechseln"

von Eric Leimann

Die Deutschen sind krimisüchtig. Aber warum? Heino Ferch, der regelmäßig Ermittler spielt, glaubt es zu wissen. "Vielleicht würde man manchmal gerne etwas tun, das verboten ist", meint er. So wie "Der Richter" (Montag, 16.04., 20.15 Uhr, ZDF), den der 54-Jährige in einem ZDF-Thriller über ein Ensemble von Menschen am Abgrund spielt. Ein Gespräch über moralische Fallhöhen und den Druck auf "starke Männer" in der Midlife-Crisis.

prisma: Krimis und Thriller sieht man viele im deutschen TV. Was ist das Besondere an "Der Richter"?

Heino Ferch: Dass die Fallhöhe eines Menschen im Mittelpunkt der Erzählung steht. Ich spiele einen anfangs fast arroganten, zumindest aber sehr selbstbewussten Vertreter des Rechtsstaates. Im Laufe der Handlung fährt der seine Prinzipien komplett gegen die Wand. Für einen Schauspieler ist es immer interessant, wenn sich eine Figur im Laufe der Geschichte so stark verändert.

prisma: Müssen Richter ein moralisch "saubereres" Leben führen als andere?

Ferch: Ich habe im Vorfeld des Films vier Richter getroffen. Zwei Damen und zwei Herren, aus unterschiedlichen Kammern. Eine Dame hat das Richteramt mittlerweile aufgegeben und ist in eine Justizvollzugsanstalt gewechselt. Als Rechtspfleger oder Jurist unterwirft man sich strengeren Gesetzen. Wenn ein Anwalt, Steuerberater oder Richter beispielsweise beim Schwarzfahren erwischt werden, hat das andere Konsequenzen als bei Ihnen oder mir. Juristen in Amt und Würden befinden sich in einer Vorbildfunktion und sind dadurch angreifbarer.

prisma: Sie erwähnen eine Richterin, die ausgestiegen ist. Aus welchem Grund?

Ferch: Aus Sorge um sich und die Familie. Gerade las ich in der Zeitung, dass die neue Regierung verstärkt gegen Clans vorgehen will. Der Druck des organisierten Verbrechens lässt auch den juristischen Apparat nicht unberührt. Dahinter stehen Menschen mit nachvollziehbaren Ängsten und Sorgen. Meine Kontaktfrau hatte vor Jahren bereits Angst um ihr Leben. Als Richter ist man derjenige, der den Hammer fallen lässt. Für Verurteilte mit hohem Gewaltpotenzial ist man ein sehr sichtbarer Feind.

prisma: Können Sie es nachvollziehen, wenn ein Richter diesem Druck nachgibt?

Ferch: Auf der persönlichen Ebene – ja, absolut. Nicht jeder ist der Typ, der einen solchen Druck aushält. Für den Rechtsstaat ist es natürlich problematisch, persönlich habe ich jedoch Verständnis, wenn man Angst um Leib und Leben hat – vor allem auch um die Sicherheit der eigenen Familie. Es ist sehr viel ehrenwerter, auszusteigen, als Urteile zu fällen, die von Angst oder ganz und gar von Einflussnahme der Gewalttäter geprägt sind.

prisma: Ihre Recherchen und Gespräche ergaben, dass Richter in Deutschland regelmäßig unter Druck gesetzt werden?

Ferch: Ich kann Ihnen keine Statistik nennen. Naturgemäß bleibt hier vieles im Dunkeln. Dass Richter sich bedroht fühlen und tatsächlich bedroht werden, ist auf jeden Fall korrekt. Meine Informanten sprachen von Drohbriefen und anderen Einschüchterungsversuchen.

prisma: Sie spielen nicht nur einen Richter, sondern auch einen Mann in der Midlife-Crisis. Können Sie sich vorstellen, dass einen diese Zeit der Verunsicherung als Entscheider besonders hart trifft?

Ferch: Als Richter muss man jemand sein, der von dem, was er tut, überzeugt ist. Ein Mensch, der Entscheidungen permanent infrage stellt, wird in diesem Job nicht glücklich. Es kann schon sein, dass Menschen, die es beruflich gewohnt sind, Entscheidungen von großer Tragweite zu fällen, in der Midlife-Crisis besonders leicht aus der Bahn geworfen werden. Es ist eine Zeit, auch für meine Figur im Film, wo einiges ins Wanken gerät. Private Beziehungen kommen auf den Prüfstand. Der ein oder andere mag besonders darunter leiden, dass die Klarheit und Effizienz im Job sich nicht unbedingt aufs Private übertragen lässt.

prisma: Sollte man bei einem Richter auch privat höhere moralische Standards anlegen?

Ferch: Es ist immer schwer, von anderen etwas zu fordern, was nicht auf einen selbst übertragbar ist. Wir dürfen Recht nicht mit Moral verwechseln. Und selbst das Recht erscheint uns nicht immer gerecht. Es mag Fälle geben, wo uns der gesunde Menschenverstand eine andere Entscheidung nahelegt, als es das Recht tut. Das Gesetz ist eben ein System, das im Großen Ordnung schafft und die Gesellschaft organisieren soll. Manchmal muss man dafür Kompromisse eingehen – wenn es um Gerechtigkeit für den Einzelnen geht.

prisma: Wäre Richter ein Job, der Ihnen Spaß macht?

Ferch: Ich glaube, nein. Das juristische Denken ist mir zu kategorisch und theoretisch. Ich bin dafür zu sehr Gefühlsmensch und Lebenspraktiker.

prisma: Abseits von diesem Film spielen Sie zwei wiederkehrende Rollen im deutschen Krimi-Fernsehen. Einen Wiener Kriminalpsychologen in der ZDF-Reihe "Spuren des Bösen" und den Dandy-Detektiv "Allmen" nach Martin Suter im Ersten. Geht letztere Rolle eigentlich weiter?

Ferch: Ja, wir drehen im September den dritten Film nach einem Allmen-Krimi von Martin Suter. Auch "Spuren des Bösen" wird fortgesetzt.

prisma: Es wird viel über die Flut an Krimis im deutschen Fernsehen gelästert. Können Sie es nachvollziehen?

Ferch: Ich habe das Glück, zwei sehr unterschiedliche Rollen in Formaten zu spielen, die bisher meist gute Kritiken erhielten. Insofern würde ich sagen: Auch wenn es viele Krimis sind, kommt es immer darauf an, was man daraus macht. Darauf, mit welchen Ideen und welcher Ästhetik man das Genre füllt.

prisma: Sie finden also nicht, dass es insgesamt zu viele Fernseh-Leichen sind?

Ferch: Es ist einfach Realität, dass die Leute dieses Genre sehen wollen. Und es ist alles andere als ein deutsches Phänomen. Schauen Sie in die USA oder nach Skandinavien. Da werden nicht weniger Krimis gezeigt. "Crime" ist einfach das erfolgreichste fiktionale TV-Genre der Welt.

prisma: Warum ist das so?

Ferch: Weil sich die Natur des Menschen so wunderbar im Krimi zeigen lässt. Wir alle fühlen uns an bestimmten Punkten unseres Lebens verzweifelt, wütend oder hilflos. Vielleicht würde man manchmal gerne etwas tun, das verboten ist. Für viele Zuschauer scheint es ein reizvoller Gedanke zu sein, etwas in einem Film zu beobachten und durchzuspielen, das man für sich selbst besser lassen sollte.

prisma: Die Krimi-Charaktere sind also unsere emotionalen Stellvertreter. Ist Krimi Identifikationsfernsehen?

Ferch: Natürlich, jedes erfolgreiche Fiction-Programm funktioniert nur, wenn sich der Zuschauer mit den Figuren identifizieren kann. Beim Krimi funktioniert das offenbar besonders gut. Ich glaube, die Ahnung, dass ein Verbrechen zu begehen, vielleicht etwas zutiefst Menschliches sein könnte, sorgt für den Erfolg dieses Genres.

prisma: Wobei wir Deutsche ja eigentlich in einer vergleichbar sicheren und gerechten Gesellschaft leben. Ist die Beschäftigung mit dem Bösen also auch ein Abenteuer für uns?

Ferch: Ja, auch das mag eine Rolle spielen. Und ein weiterer Punkt sollte nicht unerwähnt bleiben: Krimis werden geschaut, weil die Menschen sehen wollen, wie Gerechtigkeit hergestellt wird. Wenn der Kommissar den Mörder überführt, ist die Welt wieder ein Stück weit in Ordnung. Die lange Erfolgsgeschichte der "Tatort"-Krimis basiert meines Erachtens auf dem Wunsch, dass die Welt in Ordnung gebracht wird. Ich glaube, vor allem am Sonntagabend ist das für viele Menschen besonders wichtig. Aus dem gleichen Grund schauen Leute, die weniger Interesse an Krimis haben, zeitgleich in anderen Sendern Rosamunde Pilcher und Co. Wir wünschen uns alle Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Eigentlich sollten wir stolz auf diesen Wesenszug sein.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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