Tenor im Interview

Jonas Kaufmann ganz privat: "Ohne Corona hätte es diesen Film nicht gegeben"

von Eric Leimann

Im Film "Jonas Kaufmann – Ein Weltstar ganz privat" (ab 23. September bei Amazon) lässt sich der berühmteste Operntenor der Welt während des Corona-Lockdowns zu Hause filmen. Der 51-Jährige über Perfektionismus beim Eintopfkochen, seine Kinder und warum Oper das emotionalste Geschäft der Welt ist.

Wie ist das so, beim Superstar der Oper daheim? Der 51-jährige Weltklasse-Tenor Jonas Kaufmann nutze die Zeit des Corona-Lockdowns, um einen Porträtfilm über sich entstehen zu lassen. Für "Jonas Kaufmann – Ein Weltstar ganz privat" begleitete ein Kamerateam den 51-Jährigen und seine Familie in deren großzügigem Heim an einem See in der Nähe von München. Man sieht den Sänger beim Kochen, Heimwerkern, Spielen mit seinem jüngsten Sohn aus zweiter Ehe und der intimen musikalischen Arbeit an neuem Material. Ein Gespräch über die Macken von Opernstars und warum bei ihm im Auto fast nie Klassik läuft.

prisma: Ist der Amazon-Film über Sie eher das Porträt eines Menschen oder das eines Sängers?

Jonas Kaufmann: Es ist ein Porträtfilm über einen Menschen, der von Berufs wegen singt. Es ist auf keinen Fall nur ein Konzert- oder Opernfilm. Wir gehen davon aus, dass ihn viele Menschen sehen, die vielleicht wenig über die Oper und klassischen Gesang wissen. Deshalb gibt es natürlich immer wieder Ausschnitte, in denen ich auch singe: in der Oper, bei Konzerten – aber auch bei mir zu Hause haben wir extra für den Film Musik in einem sehr intimen Rahmen aufgenommen. Der Fokus liegt allerdings auf dem Privaten, damit man endlich mal sieht, wie das bei Kaufmanns daheim so ist (lacht).

prisma: Also eine filmische Homestory?

Kaufmann: Nein, so etwas hat mich nie interessiert. Wir gehen nicht im Haus umher und blättern durch sämtliche Fotoalben. Trotzdem sind fast alle Szenen bei uns in Haus und Garten aufgenommen. Insofern sieht man schon sehr viel von uns ...

prisma: An Bekanntheit und Engagements mangelt es Ihnen nicht. Warum haben Sie den Film also gemacht?

Kaufmann: Ich interessiere mich nicht für Klatsch und möchte ihm auch nicht als Vorlage dienen. Deshalb habe ich immer alles abgelehnt, was in diese Richtung geht. Seit meinem Buch mit Thomas Voigt vor zehn Jahren ("Jonas Kaufmann: Meinen die wirklich mich?", d. Red.) weiß ich jedoch, wie viele Leute sich dafür interessieren, was ein Opernsänger tut, wenn er gerade nicht auf der Bühne steht. Nun kam einiges zusammen: Ich habe ein Filmemacher-Team kennengelernt, zu dem ich schnell Vertrauen hatte, und ich hatte wegen des Corona-Lockdowns Zeit für ein solches Projekt.

prisma: Wie sehr waren Sie vor dem Corona-Lockdown durchgetaktet?

Kaufmann: Ohne Corona hätte es diesen Film nicht gegeben. Die Idee, ihn bis auf die Konzertausschnitte komplett zu Hause spielen zu lassen, hätte man auch sonst nicht umgesetzt. Ich habe heute schon Gastspielverträge für einen Zeitraum in vier, fünf Jahren. Es ist unglaublich, wie lange Produktionen im Klassikbetrieb manchmal vorausgeplant sind. Leider bin ich normalerweise sehr durchgetaktet, weshalb kurzfristige Projekte viel zu selten möglich sind. Sie würden von der echten Freizeit abgehen, die man den Agenturen mühsam abgerungen hat (lacht).

prisma: Wie sehr trifft die Corona-Pandemie den Klassikbetrieb?

Kaufmann: Wie man sich denken kann, extrem. Ich habe das Glück, dass ich in dieser Künstlersuppe ganz oben schwimme. Deshalb engagiert man mich als bekannten Namen für die wenigen Open Air Events, die hin und wieder stattfinden. Die meisten Kollegen sind aber seit Monaten arbeitslos oder sie haben sehr wenig zu tun. Der ganze Kulturbetrieb, wie wir ihn als normal betrachtet haben, ist extrem bedroht.

prisma: Man sieht im Film nicht nur Sie, sondern auch Ihre Familie. Wie begeistert war die vom Projekt?

Kaufmann: Es war eine Frage des Vertrauens in die Filmemacher. Uns war schnell klar, dass da etwas sehr Geschmackvolles und Seriöses entsteht. Deshalb haben meine Frau, meine Tochter und auch ein befreundetes Ehepaar, Judith Williams und ihr Mann Alexander Stecher, gerne mitgemacht. Dazu kam als Gast Helmut Deutsch, mein langjähriger Pianist, der wichtig war, um die privaten Musikaufnahmen im Haus zu produzieren. Er ist aber auch jemand, der mich sehr gut und sehr lange kennt.

prisma: Haben Opernsänger spezielle Macken?

Kaufmann: Ich glaube, Macken sind etwas sehr Individuelles und haben nicht unbedingt mit dem Beruf zu tun. Alle Musiker haben wohl die Macke, dass sie immer eine Melodie im Kopf oder auf den Lippen haben – und ihre Umwelt damit bisweilen nerven (lacht). Man beschäftigt sich einfach intensiver mit Musik als die meisten anderen Menschen, das bleibt der Umwelt natürlich nicht ganz verborgen.

prisma: Sie sagen selbst im Film, dass sie ein ziemlicher Perfektionist sind.

Kaufmann: Ich gebe zu, es kann anstrengend sein, mit mir zu arbeiten. Weil ich relativ unnachgiebig bin, solange ich weiß, dass es noch besser geht. Das ist nicht nur bei der Arbeit so. Wenn ich den Eintopf abschmecke, gebe ich mich beim Würzen auch nicht damit zufrieden, dass die Suppe ganz okay schmeckt. Ich will immer das Optimale herausholen, das muss man zu nehmen wissen.

prisma: Sie haben mal Mathematik studiert, sie kochen gern, sie sind ein begabter Handwerker. War für Sie trotzdem klar, dass Sie Sänger werden wollen?

Kaufmann: Ich wollte als Kind schon immer Sänger werden, wusste aber lange nicht, dass das ein Beruf ist. Meine Eltern verbrachten viel Zeit in der Oper, sie haben mich früh in diese Welt mitgenommen. Damals dachte ich, man wird als Sänger einfach entdeckt. Als ich erfuhr, dass man Singen auch lernen kann und muss, gab es für mich keine wirkliche Alternative mehr. Auch wenn ich, um meinen besorgten Eltern einen Gefallen zu tun, erst mal bis zum Vordiplom Mathematik studiert habe ...

prisma: War klar, dass Sie klassischer Sänger werden wollen, oder haben Sie auch mal davon geträumt, als Rocksänger vor einer Band zu stehen?

Kaufmann: Ich habe immer auch andere Musik gern gehört – und wie jeder andere mitgegrölt. Trotzdem hat mich diese Kombination aus Schauspiel und Singen, was man in der Oper praktiziert, immer am stärksten fasziniert. Dass man auf der Opernbühne völlig andere Menschen darstellen kann, dass man in deren Emotionen und Leben hineinkommt, das hat mich elektrisiert. Während ein Schauspieler auf der Bühne nur mit seiner Stimme und seinem Körper die Emotionen erzeugen kann, haben wir Sänger die Musik, den "Emotionsteppich" des Orchesters, und das hilft uns ganz enorm, uns in andere Menschen hineinzuversetzen.

prisma: Welche Popmusik hören Sie – und zu welcher Gelegenheit tun sie es?

Kaufmann: Wenn ich nicht ganz dringend etwas abhören oder lernen muss, läuft bei mir im Auto eigentlich nie Klassik. Ich habe vier Kinder, meine älteste Tochter ist 22. Über die letzten knapp 20 Jahre habe ich einen guten Überblick darüber gewonnen, was Kinder und Jugendliche an Musik interessierte, was gerade so "in" war und ist. Wenn ich allein bin, bleibe ich trotzdem an meinen alten Idolen hängen. Dann laufen Dire Straits, Alan Parsons Project oder Supertramp. Musik, für die ich schon als Jugendlicher geschwärmt habe und an der man heute sieht, wie alt ich schon bin (lacht).

prisma: Verraten Sie doch mal Menschen, die sich mit Klassik und Oper nicht auskennen, was das Faszinierende daran ist, sich immer wieder mit alter, notierter Musik zu beschäftigen. Wird die tausendste Interpretation des gleichen Werkes nicht irgendwann langweilig?

Kaufmann: Die Idee der Oper besteht darin, ein Theaterstück – also eine Geschichte – mit Gesang und Musik zu interpretieren. Grundsätzlich hat Opernmusik eine irre stilistische Bandbreite. Trotzdem haben all die Stile gemein, dass sie sehr berührend sind. Selbst Menschen, die sich kaum für Klassik interessieren, kommen die Tränen oder sie sind anderweitig ergriffen, wenn sie ein zentrales Opernmotiv hören. Als Opernsänger hält man einen Schlüssel in den Händen, der fast jede Menschenbrust aufschließen kann. Ich kann Menschen mit dieser Musik, mit diesen Emotionen zum Weinen bringen. Oper ist Emotion in ihrer dichtesten Form. Allein schon deshalb sollte man sich mit diesen Werken immer wieder auseinandersetzen.

prisma: Kann man denn psychologisch erklären, warum die Oper emotional so tief geht?

Kaufmann: Gute Frage. Warum lässt das Ende von "La Traviata" oder "La Bohème" fast alle Menschen extrem berührt zurück? Genau erklären kann ich das nicht, aber ich vermute, es ist die Kombination von einer Geschichte, die uns heute genauso trifft wie das Publikum vor 100, 150 Jahren – und einer Musik, die direkt zu Herzen geht..

prisma: Auch, wenn man kein Opernkenner ist?

Kaufmann: Ja, und der Grund ist: Opernmusik ist wie Filmmusik. Es sind extrem emotionale, orchestrierte Klänge, die mit den Gefühlen der Menschen spielen. Drehen Sie doch mal bei ihrem Lieblingsfilme die Musik weg, dann fehlt mindestens die Hälfte der emotionalen Kraft. Opernmusik ist wie Filmmusik, nur dass sie das Spiel mit den großen Gefühlen eben schon seit mindestens 200 Jahren betreibt.

prisma: Sie haben vier Kinder, von denen drei bereits etwas älter sind. Hat sich das musikalische Gen bei ihnen in Sachen Berufswunsch schon bemerkbar gemacht?

Kaufmann: Ich glaube, dass meine Kinder alle eine künstlerische Ader haben. Trotzdem glaube ich nicht, dass eines meiner Kinder Sänger werden will – was auch völlig in Ordnung ist. Es im gleichen Metier zu versuchen, in dem der Vater sehr erfolgreich war, ist immer sehr undankbar. Bei allen Kindern von erfolgreichen Künstlern ist es doch immer so, dass sie mit den berühmten Eltern verglichen werden, und das wünsche ich niemandem.

prisma: Von was träumen Ihre Kinder, wenn es um ihre Zukunft geht?

Kaufmann: Meine Tochter malt, schreibt, singt oder schneidert. Sie kann nicht stillsitzen und hat viele Talente. Mal sehen, was sie daraus macht. Es kann aber auch durchaus sein, dass sie beruflich etwas ganz anderes verfolgt. Dann habe ich noch zwei Jungs, die sind noch in der Schule. Sie befinden sich in jener Lebensphase, in der Erfolg beim Gaming das höchste aller kreativen Ziele ist. Ob sie daraus einen Beruf machen, weiß ich nicht (lacht). Mein Jüngster hat die lauteste Stimme von allen. Das haben mir schon viele Kollegen vom Fach bestätigt, dass er einen besseren Stimmsitz hat als die meisten professionellen Sänger. Er lässt wirklich die Wände wackeln. Wer weiß, vielleicht macht er etwas draus (lacht).


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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