Interview mit Judith Rakers

Warum "Kriminalreport" kein zweites "Aktenzeichen XY" ist

von Eric Leimann

Ab dem 27. August moderiert "Tagesschau"-Sprecherin Judith Rakers die ARD-Sendung "Kriminalreport". Im Interview erklärt sie das Konzept der Sendung und spricht über ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis bei der deutschen Bevölkerung trotz einer rückläufigen Zahl der Straftaten.

Warum fühlen sich viele Menschen immer unsicherer in Deutschland, obwohl Kriminalstatistiken zeigen: die Zahl der Verbrechen geht stetig zurück? Auch "Tagesschau"-Sprecherin Judith Rakers kennt dieses Gefühlsparadox, denn es geht ihr ganz ähnlich. Mit "Kriminalreport" (ab Montag, 27.08., 20.15 Uhr, ARD), der in diesem Jahr noch viermal auf Sendung gehen soll, will die 42-jährige Journalistin keinesfalls dem ZDF-Klassiker "Aktenzeichen XY ? ungelöst" den Kampf ansagen. Die Stoßrichtung ihres neuen ARD-Magazins ist eine andere. Judith Rakers über persönliche Ängste und was man gegen die zunehmende Unübersichtlichkeit des Lebens unternehmen kann.

prisma: Ist "Kriminalreport" die ARD-Version von "Aktenzeichen XY ... ungelöst"?

Judith Rakers: Nein, unsere Sendung ist anders. "Aktenzeichen" ist eine Live-Fahndung mit der Bevölkerung, die im Fernsehen stattfindet. Das wird es bei uns nicht geben. Wir unterstützen zwar die Polizei, indem wir über spektakuläre oder besondere Fälle berichten. Zur Aufklärung verweisen wir jedoch ganz normal auf die Polizei-Hotlines. Unser Ansatz besteht darin, im Stile einer Magazinsendung über Kriminalität, Sicherheit und Prävention zu berichten. "Kriminalreport" ist vor allem eine Ratgebersendung. Außerdem geben wir Einblick in die Polizeiarbeit.

prisma: Über was genau informieren Sie?

Judith Rakers: Wir haben zum Beispiel einen Beitrag über Super-Recognizer in der Sendung. Das sind Menschen, die sich sehr viel detaillierter als normale Menschen Gesichter einprägen können. Es ist eine angeborene Fähigkeit. Scotland Yard arbeitet schon länger mit dieser Begabung. Nun baut auch die bayerische Polizei eine solche Einheit auf. Wir informieren auch darüber, wie man als Kunde Fake Shops im Internet erkennt. Außerdem über eine neue Art des Heiratsschwindels – eine ebenfalls gut organisierte Form der Internet-Kriminalität – die man "Love Scamming" nennt.

prisma: Kritiker werden sagen, dass Ihr Format von subtilen Ängsten lebt, die in der Bevölkerung verbreitet sind. Dabei leben wir Deutschen doch in einer vergleichsweise sicheren Gesellschaft ...

Judith Rakers: Ich glaube, Aufklärung ist immer gut. Und Unwissenheit macht Menschen eher zu Opfern. Nehmen wir die Cyber-Kriminalität. So schnell, wie sich unlautere Geschäftsideen im Netz verbreiten, kommt kein Kunde, der ja in der Sache Laie ist, hinterher. Ich wüsste nicht, welche Ängste wir schüren, wenn wir den Zuschauern beispielsweise erklären, welchen Shops man im Netz vertrauen kann und an welchen Merkmalen man sie erkennt.

prisma: Die Statistik verrät, dass die Anzahl schwerer Straftaten in Deutschland zurückgegangen ist. Gleichzeitig scheint das Gefühl der Menschen zuzunehmen, dass ihr Leben immer bedrohter ist. Wie passt das zusammen?

Judith Rakers: Es ist nicht ganz richtig, was Sie sagen. Die Rate von Mord- und Drogendelikten ist keineswegs gesunken. Insgesamt jedoch, da haben Sie recht, sind jene Straftaten, die in der Kriminalitätsstatistik erfasst werden, auf dem niedrigsten Niveau seit der Wiedervereinigung. Wir leben in einem vergleichsweise sehr sicheren Land. Dennoch steigt unser Sicherheitsbedürfnis.

prisma: Woran könnte das liegen?

Judith Rakers: Da müssen Sie wahrscheinlich Psychologen befragen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es letztlich mit einem subtilen Gefühl der Überforderung zu tun hat. Die Welt ist unübersichtlich geworden. Der ganze Bereich der Internet-Kriminalität ist zum Beispiel recht neu und komplex. Viele Menschen fühlen sich in diesem Dschungel hilflos. Ich stelle das auch bei mir selbst fest. Obwohl ich jedes Jahr die Zahlen der Kriminalstatistik in der "Tagesschau" verkünde und daher weiß, dass die Zahl der Straftaten insgesamt rückläufig ist.

prisma: Woran machen Sie Ihre Unsicherheit fest?

Judith Rakers: Zum Beispiel daran, dass ich seit ein paar Jahren eine Alarmanlage besitze. Vor zehn Jahren habe ich mir noch keinerlei Gedanken dazu gemacht. Doch auf einmal kamen Sorgen. Das persönliche Gefühl von Unsicherheit folgt nicht immer der Statistik.

prisma: Erhalten wir mittlerweile zu viele Informationen über die Welt?

Judith Rakers: Vielleicht. Vor allem aber erhalten wir nicht immer welche, die richtig eingeordnet sind. Bei einzelnen Meldungen über organisierte Diebesbanden wird eben nicht immer dazu gesagt, dass die Anzahl der Diebstähle insgesamt zurückgegangen ist. Je unübersichtlicher der Alltag wird, desto mehr Einordnung braucht es. Der Kriminalreport wird versuchen, genau das zu leisten.

prisma: Würden Sie sagen, dass Sie sich – abseits der Gefahr eines Einbruchs – unsicherer fühlen als noch vor ein paar Jahren?

Judith Rakers: Unsicher? Ich weiß nicht. Ich habe jedoch das Gefühl, mein Misstrauen ist gewachsen.

prisma: Gegenüber Menschen?

Judith Rakers: Nein, eher gegenüber der Technik und gegenüber anonymen Anbietern im Internet. Überall hinterlegt man seine Daten, seine Kreditkarte und so weiter. Das Gegenüber wird immer anonymer, während wir immer gläserner werden. Aber Datensicherheit ist natürlich noch mal ein ganz eigenes Thema.

prisma: In der "Tagesschau" verkünden Sie in der Regel schlechte Nachrichten. Hat die dauernde Beschäftigung damit zur Folge, dass Sie vor allem das Schlechte in der Welt sehen?

Judith Rakers: Das ist schwer zu beantworten. Bewusstsein ist ja immer eine Einbahnstraße. Ich kann mich schlecht in eine Judith Rakers hineinversetzen, die nicht seit 14 Jahren bei der "Tagesschau" arbeitet. Wahrscheinlich hätte ich dann Zahlen und Fakten nicht so präsent. Grundsätzlich bin ich aber ein sehr lebensbejahender Mensch. Für mich ist das Glas immer halbvoll.

prisma: Das ist eine gute Eigenschaft, wenn man täglich schlechte Nachrichten überbringt.

Judith Rakers: Ja, wahrscheinlich (lacht).

prisma: Man sieht Sie auch in vielen Formaten abseits der "Tagesschau". Weil Sie einen Drang haben, sich auszudrücken?

Judith Rakers: Meine Arbeitsfelder weisen unterschiedliche Reize auf. In der "Tagesschau" geht es um größtmögliche Objektivität und um Tagesaktualität. Bei meiner Talkshow "3nach9", die ich gemeinsam mit Giovanni di Lorenzo moderiere, führe ich Interviews und Gespräche zu unterschiedlichsten Themen. Und bei meinen Reportagen kann ich mich wochenlang sehr intensiv mit einem Thema beschäftigen. Das alles ergänzt sich sehr gut.

prisma: Kennen Sie als Journalistin den Drang, die Welt zu einem besseren Ort zu machen? Tragen Sie ein Weltverbesserer-Gen in sich?

Judith Rakers: So hochtrabend würde ich es nicht formulieren. Ich verspüre eher einen Drang, auch mal tiefer in Themen einzutauchen. Dies ist der Grund, warum ich Journalistin werden wollte. Die Tätigkeit als Sprecherin bei der "Tagesschau" wird trotzdem immer mein Standbein bleiben.

prisma: Gibt es noch junge Frauen und Männer, deren Berufsziel "Tagesschau"-Sprecher oder -Sprecherin ist?

Judith Rakers: Ja, die gibt es tatsächlich. Ich bekomme viele Zuschriften von jungen Leuten, die mich fragen, wie man "Tagesschau"-Sprecherin wird. Die Sendung ist immer noch ein Flaggschiff des Fernsehens. Keine Nachrichtensendung weltweit erreicht so viele Zuschauer. Wobei wir hier natürlich nur über die freie Welt reden.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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