Mick Hucknall (Simply Red) im Interview

"Der Brexit ist ein Wunsch älterer, weißer Menschen"

von Eric Leimann

Mick Hucknall, Sänger von Simply Red, ist nicht der Meinung, dass früher alles besser war. Über Phänomene wie Donald Trump oder den Brexit ist er entsetzt. Im Interview liefert er auch Erklärungen für die jüngsten geschichtlichen Entwicklungen.

Mick Hucknall verkaufte mit seiner Band Simply Red, von der man immer nur den Mann mit der vielleicht markantesten Popstimme der Welt kannte, über 50 Millionen Platten. Heute ist er später Familienvater und kehrt mit dem Album "Blue Eyed Soul" (erhältlich ab 8. November) zu seinen Wurzeln zurück: Hucknalls neue Musik klingt, als wäre sie vor 40 oder 50 Jahren aufgenommen worden. Im Interview äußert sich der 58-jährige Brite über die Aufgaben von Vätern, die tiefere Psychologie hinter Phänomenen wie Donald Trump und den vermeintlich wahren Grund für den Brexit-Wahnsinn in seiner Heimat.

prisma: Sie kehren mit Ihrem neuen Album zurück zu Soul und Funk. Können Sie in diesen Genres überhaupt noch etwas Neues entdecken?

Mick Hucknall: Ich hatte ein Aha-Erlebnis auf der Geburtstagsparty eines alten Freundes. Dort kam ich mit einem irischen Musiker ins Gespräch. Er berichtete mir begeistert von einem großartigen Soulsänger, den er mir vorspielen wollte. Da habe ich das Feuer für dieses alte Genre plötzlich wieder gespürt. Ich versuchte davor viele Jahre lang, meinen Horizont als Sänger zu erweitern. Da versuchte ich mich an Reggae, experimentierte mit Jazz und stellte mir vor, ich hätte eine Zukunft als Frank-Sinatra-artiger Crooner (lacht). Vielleicht sollte ich einfach machen, was ich am besten kann, dachte ich bei dieser Party. Daraus entstand dann diese Album-Idee.

prisma: Als Sie Anfang der 80er bekannt wurden, wunderte sich die Welt darüber, dass ein weißer Junge so singen kann. Spielt die Hautfarbe im Soul heute überhaupt noch eine Rolle?

Hucknall: Sie wurde immer unwichtiger und das ist gut so. Früher gab es spezielle Begriffe für schwarze Musik, die von Weißen gemacht wurde. Zum Beispiel "Blue Eyed Soul". Dabei musizierten Schwarze und Weiße schon in den späten 20er-Jahren gemeinsam. Bing Crosby, Mister Blue Eyes persönlich, arbeitete mit Duke Ellington. Frank Sinatra nahm mit Count Basie auf. Elvis Presley, übrigens braunäugig, wurde von seinem Manager gesagt: "Wenn ich einen Weißen finde, der wie ein Schwarzer singen kann, verkaufe ich Millionen Alben."

prisma: Das hat in den 50ern und 60ern auch gut geklappt. Aber brauchte es in den 80ern noch einen rothaarigen, hellhäutigen Sänger wie Sie, um mit Soul die Massen zu mobilisieren?

Hucknall: Ich denke, ich stand damals an der Schwelle einer Zeit, in der es langsam egal wurde. In den USA wunderte man sich noch ein wenig über meine Stimme. Die meisten dort dachten nach unseren ersten Hits, ich wäre eine schwarze Frau (lacht). In Großbritannien war es damals schon egal, wer sich auf welche Weise afroamerikanische Musik aneignet. Britische Popmusik kann da auf eine lange Tradition zurückblicken: The Beatles, The Rolling Stones, Led Zeppelin. Alle wurden von afroamerikanischer Kultur beeinflusst, machten aber etwas Eigenes daraus. Ich glaube, das ist eine der größten Leistungen, die wir Briten in den letzten 70, 80 Jahren vollbracht haben.

prisma: Sie haben eine zwölfjährige Tochter. Interessiert sie sich für diesen alten Soul, den ihr Vater singt?

Hucknall: Sie ist ein großer Fan der Sängerin Pink. Ihre Lieblingsband ist allerdings Queen. Auch David Bowie mag sie sehr gerne.

prisma: Queen und Bowie – das ist zwar kein Soul, aber auf jeden Fall "alte" Musik.

Hucknall: Ich weiß. Aber ich lasse sie ihr Ding machen – auch wenn ich es wohl war, der ihr zum ersten Mal "Bohemian Rhapsody" vorspielte. Ich höre immer nur diese tiefen Bässe aus ihrem Zimmer herüberschallen. Ich prüfe aber nicht nach, was sie da genau hört. Jedes Kid entdeckt Musik für sich selbst. Das läuft in jeder Generation gleich ab. Am wenigsten brauchst du einen alten Vater, der dir erklärt, was es mit dem Pop auf sich hat.

prisma: Sie sind ein Mann, der sich auch sehr für die Geschichte von Musik interessiert. Fühlen Sie keinen Bildungsauftrag, der heranwachsenden Tochter das eine oder andere mitzugeben?

Hucknall: Ich möchte, dass meine Tochter sich in Bezug auf Kunst und auch andere Vorlieben völlig frei entwickeln kann. Sie ist sehr künstlerisch, das weiß ich. Sie bastelt zum Beispiel sehr kunstvolle Puppen. Außerdem malt sie wunderschön. Sie singt auch ein bisschen, aber ich weiß nicht, ob sie das weiter verfolgen wird. Ich sage ihr immer: Du musst nicht jetzt entscheiden, was du später einmal machen wirst. Genieße einfach die Zeit und alles, was du probierst.

prisma: Sie haben also keine konkrete Vorstellung dahingehend, was einmal aus ihr wird?

Hucknall: Nein, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie Illustratorin wird. Ihre Mutter kommt aus der Kunstszene. Meine Tochter besitzt die Gabe, in Menschen, die sie zeichnet, Gefühle festzuhalten. Das ist ein ziemlich seltenes Talent, glaube ich. Ich hatte es nie, obwohl ich einen Uni-Abschluss in "Fine Arts" habe. Gemäß meinem Zeugnis bin ich Berufsmaler – allerdings kein besonders guter (lacht).

prisma: Wie würde Sie reagieren, wenn Ihre Tochter in zwei Jahren sagt "Ich möchte Sängerin werden!"?

Hucknall: Auch das wäre okay für mich. Sie spielen wahrscheinlich darauf an, dass man es als Kind nicht leicht hat, wenn die Eltern für etwas berühmt sind und man das gleiche vorhat. Ich glaube, dieser Plan ist weniger schwierig umzusetzen, wenn das Kind ein anderes Geschlecht als man selbst besitzt. Hätte ich einen Sohn, müsste er als Sänger sicher mit mehr Vorurteilen kämpfen.

prisma: Ihre Tochter wird nun langsam erwachsen. Wie schwierig ist es für Sie als Vater loszulassen?

Hucknall: Ich habe das Gefühl, dass ich mit ihr noch nicht ganz in dieser Phase angekommen bin. Trotzdem glaube ich, dass ich sie gut überstehen werde. Weil ich mich noch gut daran erinnere, wie das mit mir und meinem Vater gelaufen ist – im Sinne eines warnenden Beispiels. Von dem Moment an, als ich ein Teenager wurde, mutierte unser Haus zum Boxring. Darin lebten zwei Kerle, die ständig miteinander konkurrierten. Weil meine Mutter uns verlassen hatte, fehlte ein Schiedsrichter. Meine Tochter hat das Glück, zwei Eltern zu haben. Es ist immer gut, wenn man bei Konflikten mit einem Elternteil auf den anderen ausweichen kann. Es schafft insgesamt mehr Frieden und Entwicklungsmöglichkeiten in einer Familie.

prisma: Sie gründeten Ihre Familie erst relativ spät. Vermissen Sie manchmal die alte Freiheit?

Hucknall: Nein. Die Zeit, seit ich Vater bin, waren die besten zwölf Jahre meines Lebens.

prisma: Ab einem gewissen Alter neigen Menschen zu der Ansicht, dass früher alles besser war: die Musik, die politische Lage, die Gesellschaft. Was sagen Sie?

Hucknall: Ich bin grundsätzlich sehr an Politik interessiert. Doch trotz aller Probleme, die wir gegenwärtig haben, glaube ich nicht daran, dass die Zeiten heute schlechter sind als in meiner Jugend. Es kommt immer darauf an, welchen Aspekt man beleuchtet. Die politische Führung in Großbritannien und den USA ist gegenwärtig natürlich eine Katastrophe. Aber sehen Sie sich die rasante Entwicklung hin zur Elektromobilität an. Das ist doch erstaunlich. Ich wünschte, die Fluglinien würden ebenfalls dazu beitragen, dass wir unsere Klimaziele erreichen. Sie tragen eine hohe Verantwortung für unsere Zukunft, der sie momentan noch nicht nachkommen.

prisma: Wie beurteilen Sie den Brexit? Außerhalb des Vereinigten Königreichs ist dessen politischer Wahnsinn kaum zu verstehen ...

Hucknall: Ich teile Ihre Ansicht. Ich habe einen irischen Großvater und eine schottische Großmutter. Mein Vater wuchs in Cumbria auf, dem Nordwesten Englands, eine ebenfalls sehr eigenständigen Gegend. Ich fühle mich deshalb mehr als Brite denn als Engländer. Ich dachte immer international, völkerverbindend. Deshalb macht der Brexit mich so traurig. Auch wenn ich mir mittlerweile nicht mehr sicher bin, ob der Brexit tatsächlich passieren wird.

prisma: Könnten Sie Außenstehenden erklären, wie der Wunsch für einen Brexit psychologisch zustande kam?

Hucknall: Der Brexit ist ein Wunsch älterer, weißer Menschen. Jene Klientel, die hofft, das Rad der Geschichte weit, vielleicht sehr weit zurückdrehen zu können. Das ist natürlich nicht möglich. Die Phänomene Donald Trump und Brexit fußen auf den gleichen Ängsten: Lasst uns versuchen, die moderne Welt zu verhindern. Oder: Lasst uns zumindest so tun, als ginge das.

prisma: In Deutschland feiert man gerade den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Wissen Sie noch, was Sie am 9. November 1989 getan haben?

Hucknall: Ich weiß nicht mehr, wo ich am 9. November 1989 gewesen bin. Für solche Dinge habe ich ein ganz schlechtes Gedächtnis. Meine Frau ist Deutsche, deshalb fühle ich eine starke Verbindung zu diesem Jubiläum. Am meisten bewegt mich jedoch, dass wir einerseits feiern, wie vor 30 Jahren eine gewaltige Mauer eingerissen wurde, und andererseits spricht ein amerikanischer Idiot immer wieder davon, dass er eine neue Mauer bauen will. Das irritiert mich zutiefst. Ich hoffe, er landet bald im Knast, also hinter Gittern und Mauern. Tatsächlich bin ich überzeugt, davon dass dies auch irgendwann so kommen wird.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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