Peter Sarsgaard: "Die neue Realität spaltet unser Land"

Peter Sarsgaard ist einer der profiliertesten Charakterdarsteller des US-Kinos und dazu ein gefeierter Bühnenschauspieler. Man sah ihn als Robert Kennedy an der Seite Natalie Portmans in "Kennedy", in Woody Allens "Blue Jasemie" oder in der Neuverfilmung von "Die glorreichen Sieben" 2016.
Seine jüngste Rolle findet im Serienformat statt: Im ambitionierten Hulu-Zehnteiler "The Looming Tower", der in Deutschland ab dem 9. März bei Amazon zu sehen ist, spielt der 1971 geborene Schauspieler einen CIA-Analysten, der im Vorfeld der 9/11-Anschläge gegen Al Kaida zu Felde zieht. Überflüssigerweise hat er dabei einen Landsmann als Widersacher – den von Jeff Daniels verkörperten FBI-Mann John O'Neill.
Sarsgaard, der mit seiner Kollegin Maggie Gyllenhaal und zwei gemeinsamen Töchtern in New York lebt, über die unerhörte Geschichte von 9/11 und was Amerika daraus machte.
prisma: Ist es ein Problem für "The Looming Tower", dass mit "Homeland" bereits eine andere, gut etablierte Serie von der Arbeit der US-Geheimdienste erzählt.
Peter Sarsgaard: Ich glaube das nicht. Tatsächlich habe ich noch nie eine Folge "Homeland" gesehen. Es gibt eine lange Historie mit Filmen und Serien, die immer wieder die Arbeit von FBI oder CIA thematisieren. Ich glaube aber nicht, dass es so viele sind, dass sich die Menschen davon überfüttert fühlen.
prisma: "The Looming Tower" erzählt von der Rivalität zwischen CIA und FBI. Unterscheiden sich diese beiden Institutionen grundsätzlich in ihrer Mentalität?
Sarsgaard: Es kommt darauf an, welchen Job man dort hat. Ich spiele einen CIA-Analysten. Ein kluger Mann, der sein Leben hinter einem Schreibtisch verbringt. Seinen Körper benutzt er nur, weil sein Kopf darauf festgemacht ist. Analysten sind keine Menschen, die mit einer Waffe durch die Gegend rennen. Sie müssen keine falschen Identitäten annehmen oder verschleiern, für wen sie arbeiten. Mein FBI-Widersacher, gespielt von Jeff Daniels, arbeitet hingegen in der Strafverfolgung. Er trägt eine Waffe und will Leute verhaften. Zumindest diese beiden Männer haben eine klar unterschiedliche Mentalität.
prisma: CIA und FBI hätten die Anschläge vom 11. September 2001 verhindern können – so glaubt man -, hätten sie nur zusammengearbeitet. Woher kommt das, dass die beiden Institutionen, die Amerika schützen sollen, sich offenbar nicht leiden können?
Sarsgaard: Ich glaube, die Denkmuster bei CIA und FBI sind unterschiedlich. Die CIA liebt es, geheime Informanten und Quellen zu etablieren und zu pflegen – und darüber Informationen zu sammeln. Sie sind nicht daran interessiert, Menschen zu verhaften. Sie wollen immer weiter Wissen sammeln. Das FBI ist ganz anders gestrickt. Es will Leute, die es für gefährlich hält, schnell verhaften und aus dem Verkehr ziehen. Das sind widerstrebende Interessen, die immer wieder für Ärger zwischen CIA und FBI sorgen.
prisma: Haben Sie das Buch "The Looming Tower" gelesen, bevor sie mit dem Serienstoff in Kontakt kamen?
Sarsgaard: Ja, ich habe das Buch 2008 gelesen und hatte danach das dringende Gefühl, jeder Amerikaner sollte es lesen. Es erklärt nicht nur die Rivalität zwischen CIA und FBI, sondern auch das Entstehen von Anti-Amerikanismus und Terror-Organisationen wie Al Kaida in der islamischen Welt.
prisma: Erklärt die Serie das auch in ihren zehn Folgen?
Sarsgaard: Nein, nicht im Sinne einer analytisch-historischen Abhandlung, wie das im Buch geschieht. Die erste Staffel "The Looming Tower" erklärt detailreich und gemäß der Fakten, wie die 9/11-Anschläge geplant wurden. Wie Al Kaida und die amerikanischen Geheimdienste sich ein Katz-und-Maus-Spiel lieferten. Es wäre sicher interessant, die Wurzeln des Islamismus in einer weiteren Staffel mal detailliert unter die Lupe zu nehmen. Ich könnte mir das vorstellen.
prisma: Das Buch hat hierzu eine markante Theorie ...
Sarsgaard: Ja, es erzählt am Anfang von einer USA-Reise des ägyptischen Journalisten und Islam-Theoretikers Sayyid Qutb. Er reiste in den 40-ern durch die USA, machte viele negative Erfahrungen und kehrte als antiwestlicher Islamist in seine Heimat zurück. Dort starb er in den 60ern den Märtyrertod, weil er von der damals pro-westlichen Regierung hingerichtet wurde. Qutb gilt als wichtigster islamistischer Denker jener Zeit. Seine Ideen wurden später sehr einflussreich und sind der geistige Nährboden für viele heutige islamische Kämpfer.
prisma: Glauben Sie, dass Ihrem Land ein tiefergehendes Verständnis des islamischen Anti-Amerikanismus helfen würde? In dem Sinne, dass dieses Wissen die Weltpolitik verändern könnte?
Sarsgaard: Absolut. Verständnis und Dialog sind der einzige Weg, um aus Hass und Gewaltspiralen auszubrechen. Natürlich war Osama bin Laden ein schlechter Mensch. Natürlich hatte er kein Recht, das zu tun, was er getan hat. Wenn man aber weiß, wie seine Familie in Saudi-Arabien unter der von Amerika unterstützten Herrscherfamilie zu leiden hatte oder wie viel Al Kaida auch mit dem ersten Irak-Krieg zu tun hat, weiß man zumindest, wo der Hass herkommt. Man muss Geschichte und menschliche Beziehungen analysieren, um daraus zu lernen.
prisma: Hat die Aufklärung nach 9/11 in irgendeiner Weise Früchte getragen?
Sarsgaard: Nicht in der Hinsicht, dass die amerikanische Gesellschaft klüger geworden wäre. Sehen sie, Lawrence Wrights Buch "The Looming Tower", das für eine nüchterne, journalistisch hochprofessionelle Herangehensweise an die Fakten steht, wurde zwar mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, aber wie viele Amerikaner haben es tatsächlich gelesen? Wahrscheinlich nur eine verschwindende Minderheit. Direkt nach den Anschlägen war das Image von Al Kaida in der muslimischen Welt auf einem Tiefpunkt. Heute stehen sie besser da als jemals zuvor. Sie haben mehr Geld und mehr Männer als 2001. Allein das beweist, dass Amerika seit damals fast alles falsch gemacht hat.
prisma: Wie aktuell ist das Thema 9/11 im gegenwärtigen Amerika – das so viele andere Themen zu haben scheint?
Sarsgaard: Andere Themen? Wir haben derzeit nur noch ein Thema: der Clown im Weißen Haus. Jedes Thema konkurriert mit Donald Trump, was fatal ist. Amerika kann sich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Jeder Künstler wird in jedem Interview gefragt, was er gegen Trump unternimmt. Trump zerquetscht gerade die Kunst – und kann noch nicht mal was dafür. Ich finde es fast schon tragisch, dass es kaum noch andere Themen gibt.
prisma: Dabei ist das akribisch-faktenorientierte "The Looming Tower" der Gegenentwurf zur Politik Trumps, die sich um objektive Wahrheiten wenig schert...
Sarsgaard: Das stimmt. Seit Donald Trump sind journalistische Standards, die seit ewigen Zeiten gelten, um die Realität zu beschreiben, plötzlich nichts mehr wert: Denk dir was aus und behaupte, was dir gefällt – so sieht die neue Realität aus. Sie spaltet unser Land und führt die Welt moralisch an den Abgrund.
prisma: Stimmt es, dass vielen Amerikanern, die Trump gewählt haben, Fakten mittlerweile egal sind?
Sarsgaard: Ja, ich mache diese Erfahrungen jedenfalls. 9/11 ist ein gutes Beispiel. Ich war selbst in New York, als es passierte. Ganz in der Nähe, an der Ecke West Broadway und Canal Street. Ich sah eines der Flugzeuge in die Türme krachen. In letzter Zeit passiert es mir öfter, dass ich davon erzähle und mir Menschen widersprechen, es wäre gar nicht so gewesen. Diese Leute behaupten, die Regierung hätte den World Trade Center in die Luft gesprengt oder ähnlichen Mist. Verschwörungstheorien stehen heute höher im Kurs als die Wahrheit. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dies in Amerika je der Fall war. Der gegenwärtige Präsident hat viel zu dieser Situation beigetragen.
prisma: Was kann man noch aus der Serie "The Looming Tower" lernen?
Sarsgaard: Zum Beispiel, dass 9/11 fast die Heldengeschichte eines Amerikaners muslimischen Glaubens gewesen wäre. Ali Soufan, gespielt von Tahar Rahim, war ein junger FBI-Agent, der mit unermüdlichem Einsatz sehr dicht an der Vereitelung der Anschlags-Pläne dran war. Er ist einer der Charaktere, die es wirklich gibt und die in die Serie übernommen wurden. Soufan ist einer der patriotischsten Amerikaner, die mir je untergekommen sind. Er wurde im Libanon geboren, ist Moslem und hätte heute unter Trump Probleme, überhaupt in unser Land einreisen zu dürfen.
prisma: Hat die Tatsache, dass Sie Augenzeuge von 9/11 waren, Ihr Leben verändert?
Sarsgaard: Ich habe kurz danach, am 28. September, meine Frau kennengelernt. Beides hat mir klargemacht, dass das Leben jetzt und nicht später stattfindet. Alles kann jederzeit passieren, nichts ist sicher! Diese Erkenntnis habe ich damals mitgenommen, und ich glaube bis heute daran. Leute, die in Kriegsgebieten aufgewachsen sind, haben diese Lektion vielleicht schon früher gelernt. Wenn man aus einem Land kommt, dass seit Pearl Harbor nicht mehr angegriffen wurde, wähnt man sich großer Sicherheit. Bis plötzlich Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen und menschliche Körper vom Himmel fallen – an einem strahlend schönen, sonnigen Morgen. Na klar, wenn man so was gesehen hat, ist man nicht mehr derselbe wie zuvor.
Quelle: teleschau – der Mediendienst