Sonntag am Tatort

Außerhalb des S-Bahn-Bereichs

01.06.2018, 15.32 Uhr
von Florian Blaschke
Vor verschlossenen Toren: Mit Leitmayr und Batic will niemand reden.
BILDERGALERIE
Vor verschlossenen Toren: Mit Leitmayr und Batic will niemand reden.  Fotoquelle: BR/Hendrik Heiden/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH

Die Münchner Tatort-Kommissare Leitmayr und Batic müssen sich in einem Landstrich ohne Gesetz und Ordnung durchschlagen.

Erst die Endzeitapologeten im Brandenburger Polizeiruf, dann die Artgläubigen im Tatort aus dem Schwarzwald – und jetzt ist München dran, sich um eine der vielen politischen Splittergruppen zu kümmern, die in den Medien immer wieder Schlagzeilen machen. Jetzt sind die Reichsbürger dran. Wobei: München ist das nicht mehr, wo Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Batic (Miroslav Nemec) da ermitteln, aber ihre Leiche lag nun mal in einer Badewanne in der Stadt. Und während der Tod von Florian Berg auf den ersten Blick aussieht wie Selbstmord, kommen daran schnell Zweifel auf. Berg hatte neben den aufgeschlitzten Pulsadern genug Schlafmittel im Blut, um einen ganzen Elefanten einzuschläfern. Und: Die Waffe, mit der er sich das Leben genommen haben soll, ist nirgendwo zu finden.

Dazu kommt, dass er eigentlich gar nicht mehr nach München gehörte. Eigentlich gehörte er ins "Freiland", eine Reichsbürger-Community in Traitach, kurz vor der tschechischen Grenze. Also: im Nirgendwo. Und genau dahin fahren die Kommissare, mit der kindischen Freude, einen Roadtrip machen zu dürfen. Ein kleines Abenteuer. "Wir beide außerhalb des S-Bahn-Bereichs", konstatiert Leitmayr lakonisch. "Ich hoffe, es ist so, wie du es dir vorgestellt hast."

Doch hier, in dem gottverlassenen Nest sechs Stunden von München entfernt, ist nichts so, wie es sich die Ermittler vorgestellt haben. Hier existiert eine Parallelwelt ohne Gesetze. Zumindest: ohne Gesetze, mit den die beiden etwas anfangen können. Dabei lebt jeder Tatort eigentlich davon, dass es Verdächtige und Zeugen gibt, die man verhören kann. Doch was, wenn niemand reden mag mit den Herren Kommissaren?

In Traitach aber interessiert der Tote ohnehin niemanden so richtig – weder die Reichsbürger, die sich um den charismatischen Ludwig Schneider (Andreas Döhler) scharen, noch die beiden Dorfpolizisten, die den Kampf um Recht und Ordnung schon längst aufgegeben haben. Und dann ist dieser Schneider auch noch ein zeitweise fast sympathischer Kerl, anders als viele andere, die sich da in Freiland tummeln und die vom verwirrten Provokateur bis zum stumpfen Rassisten reichen. Doch Schneider ist klug, fürsorglich und in zwischenmenschlichen Dingen niedlich tollpatschig. Nur manchmal, da bekommt man es mit der Angst zu tun, wenn man in seine glasigen Augen schaut. Das geht Lene (Anja Schneider) so, die mit ihrer blinden Tochter in Freiland lebt, das geht Roland (Thorsten Krohn) so, den das Drehbuch an einen finsteren Nazi-Schergen angelehnt hat – und das geht den anderen Freiländern so. Und: dem Zuschauer.

Seltsam anrührend

Doch wenn diese verschworene Gemeinschaft dann an ihrer riesigen Tafel sitzt, die an das letzte Abendmahl erinnert und Schneider die Suppe ausschenkt, die er gerade für alle gekocht hat und wenn sie faseln von ihrem eigenen Reich und denen da draußen, dann wirkt das seltsam anrührend. Vor allem, da Leitmayr und Batic währenddessen durch das Dorf tapsen wie blutige Anfänger, sich von Würsteln aus dem Automaten ernähren, sich streiten und nicht so recht wissen, wohin mit ihrer ganzen Erfahrung und ihren Strategien, die sie sonst doch immer noch weitergebracht haben.

Das ist der Kniff dieses Tatorts, dass er dem Zuschauer nicht nur einen Blick in den Alltag dieses "Freilands" erlaubt, sondern dass er zugleich die Regeln und Gesetze des Krimis aufhebt. Und zwar für die Ermittler. Das ist zeitweise unterhaltsam, zeitweise hübsch sarkastisch und mit viel Gespür für den Bühnencharakter entwickelt, den der Tatort hin und wieder hat. Doch das kippt spätestens, als drei der Freiländer nicht nur Leitmayr und Batic, sondern auch den Zuschauer mit ihrer halb tumben, halb perfiden Provokationstaktik zur Weißglut treiben.

Doch es kippt auch noch etwas anderes, denn nicht nur Schneider weiß: Freiland lebt nur deshalb, weil alle daran glauben, es lebt nur dann, wenn alle daran glauben. Und an ihn. Bloß: Dem ist nicht so. Und so stolpert dieser Tatort auf die unausweichliche Tragödie zu, die sich leider etwas zu früh erahnen lässt – womit dem eigentlichen dramatischen Finale und der eigentlich stimmigen Pointe der Zahn gezogen wird.

Zudem haben sich Autor Holger Joos und Regisseur Andreas Kleinert offenkundig nicht entscheiden können, wie sie selbst zu dem Figurenkabinett stehen, das sie da in die bayrische Provinz gestellt haben. Belustigt? Empört? Wütend? Oder beobachtend? Und so pendelt auch dieser Tatort immer wieder hin und her zwischen Provinzposse und Genre-Ausnahme, Milieustudie und Schauspiel. Das ist unterhaltsam, das ist phasenweise sogar spannend, aber mehr als der kluge Kniff, einen Tatort ohne Regeln spielen zu wollen, bleibt am Ende nicht. Immerhin.

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