Tokio Hotel im Interview

"Wir googeln nicht jeden Tag unsere Namen"

von Katja Schwemmers

Tokio Hotel liefern mit "Melancholic Paradise" den Titelsong zur neuen "GNTM"-Staffel. Ob die Band auch selbst in der Show von Heidi Klum auftreten wird? "Das dürfen wir nicht verraten." Ansonsten geben sich die Magdeburger beim Interview in Hamburg aber durchaus auskunftsfreudig.

MTV-Awards, Nummer-eins-Singles, ausverkaufte Konzerte, Horden von kreischenden Teenies – Tokio Hotel erlebten nach dem Durchbruch mit "Durch den Monsun" (2005) sechs Jahre lang den absoluten Pop-Wahnsinn. Umso erstaunlicher, wie unbeschadet die Magdeburger Band da rausgekommen ist, nachdem sie 2011 die Reißleine zog. Die Zwillinge Bill und Tom Kaulitz (29) leben seither in Kalifornien und lassen es dort merklich entspannter angehen. Tom ist aufgrund seiner Verlobung mit Supermodel Heidi Klum trotzdem ständig in den Schlagzeilen. Mit der gerade erschienenen Single "Melancholic Paradise" liefern Tokio Hotel die Titelmelodie zur neuen Staffel von "Germany's Next Topmodel"; ab Ende April ist die Band auch wieder in Deutschland auf Tour. Beim Interview in Hamburg erzählen Bill, Tom und Bassist Georg Listing (31) vom Trauma der Vergangenheit und von Toms Versuchen, Bill zu verkuppeln.

prisma: Bill, sind Sie froh, momentan mal nicht der wichtigste Mensch bei Tokio Hotel zu sein – zumindest aus Mediensicht?

Tom Kaulitz: Der Wichtigste war er noch nie! (lacht)

Bill Kaulitz: Es ist auf jeden Fall gerade eine andere Situation. Es ist ganz schön, dass es mal nicht nur die ganze Zeit um mich geht. Aber keiner von uns reißt sich darum, als Privatmensch so viel in den Medien stattzufinden.

Tom: Es ist aber schön, dass ich mal in der "Superillu" bin.

Bill: Und Tom freut sich auch, dass er endlich mal in "Frau im Spiegel" ist.

Tom: Ehrlich gesagt verfolge ich das alles nicht so sehr. Das ist das Positive an Los Angeles, weil man es dort auch gar nicht mitbekommt. Da liegen die Hefte nicht beim Friseur rum. Aber Bill sagt das schon richtig: Ich reiße mich natürlich nicht darum. Die Leute glauben einem das immer nicht, aber es ist ja nicht so, dass wir den Heften Interviews geben würden. Die schreiben darüber, wir kriegen das nicht mit und können es deshalb nicht kontrollieren. Ich weiß ja auch nicht, was in Italien in der Zeitung steht.

Bill: Darum fängt man irgendwann an, eine Entspanntheit zu entwickeln. Wir gucken nicht nach, und wir googeln nicht jeden Tag unsere Namen. Das ist auch wichtig. Das Schöne ist, dass wir immer wieder nach L.A. zurückfliegen, und dann ist Ruhe von dem Tumult.

prisma: Tom, Sie haben einen Instagram-Account, aber nutzen ihn gar nicht. Warum?

Tom: Ich habe mich da schon immer rausgehalten. Die sozialen Medien sind mir viel zu negativ. Die Leute beschäftigen sich damit den ganzen Tag, jeder lässt da seinen Senf ab. Ich mochte das noch nie. Ich bin aber auch nicht so drauf, dass ich gerne Selfies von mir mache und denke: Oh, geil, guck mal, hier sehe ich süß aus, das muss ich mit der Welt teilen.

prisma: Das machen dann andere für Sie?

Tom: Genau, das machen andere. Ich habe das noch nie gebraucht. Ich stehe morgens auf, guck in den Spiegel und denke: wow! Das reicht mir für den Tag (lacht). Ich habe ohnehin das Gefühl, dass diese Selfie-Posterei ein eher weibliches Ding ist.

prisma: Hat Tom noch einen Selbstbewusstseinsschub bekommen in den letzten Monaten?

Bill: Ach nein, sein Selbstbewusstsein ist unverändert. (lacht)

Georg Listing: Das ist einfach nur die übertriebene Überspielung seiner Unsicherheit.

"Ich kenne nicht einmal mehr mein Instagram-Passwort"

prisma: Ist Bill der Instagram-Beauftragte bei Tokio Hotel?

Bill: Ja. Ich muss den anderen immer sagen: "Postet doch mal was!" Aber die haben nicht so viel Bock darauf. Ich liebe Instagram.

Tom: Ich bin froh, dass Bill das übernimmt und genieße den Komfort, dass ich es nicht machen muss. Es machen sich auch alle Leute lustig über mich, weil auf meinem Handy eine Instagram-Version ist, die so alt ist wie Instagram selbst. Ich kenne nicht einmal mehr mein Passwort. Ich habe mein Handy nur zum SMS-Schreiben, Telefonieren und Musikhören.

prisma: Seit Kurzem gibt es eine neue Single – "Melancholic Paradise". Ist der Song eigens für "Germany's Next Topmodel" geschrieben worden?

Bill: Nein. Aber Tom spielt ja den ganzen Tag Musik. Und Heidi und Tom sitzen sich morgens immer gegenüber und arbeiten beide an ihren Laptops. Wenn er dann mal was anmacht, kriegt Heidi das natürlich auch mit.

Tom: Ich produziere die Songs zwar im Studio, aber höre jedes Demo im Auto.

Bill: Bei dem Song meinte Heidi jedenfalls, dass er doch super für das Opening der Show wäre. Für uns hat es vom Timing her natürlich auch gut gepasst – und zack, war die Sache eingetütet.

prisma: Gab es denn auch Bedenken dahingehend, wie Ihre Fans auf diese Zusammenarbeit reagieren würden?

Tom: Es wäre nur komisch gewesen, wenn ich als Model in der Show angetreten wäre. Das wäre vielleicht wirklich etwas viel gewesen!

Georg: Aber ich glaube, du wärst auch da weit gekommen.

Bill: Ich habe das mit dem Song als total natürlich empfunden. Wir arbeiten alle irgendwie in dem selben Feld. Natürlich unterstützt man sich gegenseitig, wenn man eine Familie ist, und man findet auch seinen Job gegenseitig gut – das ist doch klar. Der Gedanke, dass das jetzt zu viel sei, kam bei mir gar nicht auf.

prisma: Werden Sie einen Auftritt haben bei "GNTM"?

Bill: Das dürfen wir nicht verraten.

prisma: Vor zwei Jahren hätten Sie sich das aber wahrscheinlich auch noch nicht vorstellen können, dass Heidi Klum zu Ihrem Song bei Instagram tanzt, oder?

Bill: Eigentlich hätte man gleich ein Musikvideo daraus machen können! Es passt total, weil der Song so funky und disco ist. Unsere Songs sind sonst zwar auch elektronisch und tanzbar, aber sie haben oftmals eine andere Schwere. "Melancholic Paradise" ist indes total leicht. Aus dem Instagram-Video, in dem Heidi tanzt, haben wir mittlerweile eine Aktion gemacht, damit auch andere zu dem Lied abtanzen. Ein paar Fans haben schon ihre Videos gepostet.

prisma: Was hat Sie denn zu dem Song "Melancholic Paradise" inspiriert?

Bill: Ich saß mit einem Freund morgens zu Hause, wir hatten gefeiert und Wein getrunken. Wir sprachen darüber, warum ich von Leuten nicht angesprochen und angebaggert werde. Ein anderer Kumpel hatte die Theorie, dass ich den Leuten Angst machen würde und sie sich deshalb nicht trauen, mich anzusprechen. Ich würde so selbstbewusst aussehen und müsste mehr auf die Menschen zugehen. Tom hat das Problem nicht und ist generell offener als ich. Dieser Freund meinte, ich würde immer ein bisschen nachdenklich und melancholisch wirken. Melancholisch wäre das erste Wort, was ihm einfallen würde, wenn jemand ihn bitten würde, mich als Typ zu beschreiben.

prisma: Tom ist bekanntlich liebestechnisch versorgt. Wie sieht es denn bei Ihnen aus?

Bill: Da gibt es gar nichts. Tote Hose.

prisma: Kann Tom da nicht helfen?

Tom: Ich bin schon ständig der Wingman!

Bill: Ja, das stimmt. Wenn ich mal einen Flirt habe oder ich will was klarmachen, dann fädelt er das ein.

Tom: Ich spreche die Person dann an ...

Bill: ... weil ich mich ganz oft nicht traue. Ich bin ja sehr schüchtern privat. Ich verliebe mich auch schwer, das passiert eher selten. Und dann meistens auch noch in die falsche Person.

prisma: Hat Heidi Klum nicht noch ein paar Leute zum Verkuppeln, damit die Familie noch größer wird?

Tom: Wir versuchen das beide schon immer. Aber du kannst nach der Liebe auch nicht suchen, das ist das Ding.

prisma: Wie werden Sie Ihren 30. Geburtstag Anfang September feiern?

Bill: Am liebsten würde ich richtig groß feiern, mit allen Freunden zusammen. Aber ob wir dann nach Deutschland kommen, wissen wir noch nicht. Das ist das letzte Mal, dass man so richtig feiern kann.

Tom: Ich überlege ja schon, gar nicht mehr so groß zu feiern. Ab 30 geht's doch irgendwie bergab.

Georg: Die 40 ist dann auch nicht mehr weit.

prisma: Wie groß sind die Ambitionen mit Blick auf Tokio Hotel? Möchten Sie wieder die Nummer eins sein, noch mal den MTV Award gewinnen?

Tom: Die Hälfte der Awards, die bei uns im Studio stehen, gibt's nicht mehr. Den Grammy für die beste Produktion würde ich mir aber auf jeden Fall noch mal abholen wollen. Ansonsten ist das Wichtige, dass wir eine gute Balance gefunden haben zwischen Privatleben, Job und Touren. Wir waren früher, bevor wir die längere Pause gemacht haben, fünf Jahre am Stück unterwegs. Wir waren gar nicht zu Hause, so etwas wie Privatleben hat für uns überhaupt nicht existiert. Es fühlt sich jetzt wesentlich besser an. Auf dem Level, auf dem wir das damals gemacht haben, würden wir es auch nicht wieder machen, weil es einfach zu viel war. Wir waren mit den Kräften am Ende. Und man hatte auch die Lust verloren. Jetzt gerade, und auch schon mit den letzten Alben, fühlen wir uns so wohl wie noch nie.

Bill: Wir wollen immer nur das machen, worauf wir Bock haben. Wenn die Leute das lieben, ist das toll. Gegen einen megaerfolgreichen Song hast du natürlich nie etwas. Aber wir werden nicht unseren Weg verlassen, um bestimmte Dinge zu erreichen. Wir werden Musik herausbringen, wenn wir das gut finden und es uns im Herzen Spaß macht.

prisma: Würde es Ihnen etwas bedeuten, in Deutschland noch einmal die Anerkennung durch einen großen Hit zu bekommen?

Bill: Im Radio hat man unsere Musik noch nie gespielt. Das wird auch nicht passieren. Die deutschen Radios spielen uns einfach nicht. Außerdem hat die Musikwelt sich so wahnsinnig verändert. Wir haben von "Durch den Monsun" noch 700.000 CDs verkauft.

Tom: Heute weiß ich gar nicht, woran man so einen Hit noch messen kann. Die Nummer eins von heute bedeutet nicht mehr viel. Heute reicht es ja schon, wenn ein paar Tausend Kids deine Sachen herunterladen.

Bill: Wenn viele Leute deinen Song streamen, ist das zwar toll. Aber du kannst ihn nicht mehr richtig anfassen, deinen Hit. Früher konntest du den anfassen. Da wurden die offiziellen Charts ausgedruckt, darauf stand dann eine Nummer. Aber jetzt gibt es iTunes-Charts, Spotify-Charts und Shazam-Charts. Es ist nicht mehr richtig greifbar.

prisma: Welche Bedeutung haben die Liveshows heutzutage für Tokio Hotel?

Bill: Unsere Liveshows sind aufwendig, da stecken wir viel Geld rein, weil wir ja immer etwas auf die Bühne bringen wollen, was man noch nie gesehen hat. Vor allem, was Licht, Produktion und die Aufbauten angeht. Auch auf der kommenden Tour. Versprochen.

prisma: Ist von dem Geld von damals noch etwas übrig geblieben? An den Produktionen damals waren ja viele Leute beteiligt.

Bill: Ich sag mal so: Wenn man bei einem Major unterschrieben hat und als Band so jung in den Vertrag geht, sind das nie gute Verträge. Aber nicht umsonst sind wir nicht mehr bei einem Major-Label gesignt.

Tom: Heute geht es nur noch um Copyright – wer macht seine Sachen selbst, wer schreibt seine Songs selbst. Da stehen wir ganz gut da, weil wir alles selbst machen. Ansonsten verdienst du mit Musik nur noch live. Das war aber damals auch schon nicht so anders, weil du noch eine Plattenfirma dazwischen hattest. Wenn du eine Million Platten verkauft hast, sind das die Ersten, die verdienen. Aber wir wollen uns jetzt auch nicht beschweren. Uns geht's ja ganz gut.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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