Krimi im Ersten

Weihnachtsmorde

23.12.2015, 10.10 Uhr
von Detlef Hartlap
Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) führt es zu einer Leiche, die vom Rhein angespült wurde.
BILDERGALERIE
Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) führt es zu einer Leiche, die vom Rhein angespült wurde.  Fotoquelle: WDR

Weihnachten kann anspornen, Weihnachten kann lähmen. Letzteres gilt für den Kölner Tatort, verlässliche Einschlafkost seit Jahren, nun aber endgültig im Stadium einer gähnend sich hinziehenden Unterrichtsstunde angelangt.

Das Fach, das vornehmlich von Oberstudienrat Ballauf (Klaus J. Behrendt) gelehrt wird, heißt: Wirtschaftskriminalität. Ballauf ("Fassen wir zusammen …") tut so, als handle es sich dabei um höhere Mathematik, nur wird diese, wie man jeden Tag in der Zeitung lesen kann, von erstaunlich vielen Leuten beherrscht.

In Köln wird mal wieder eine Leiche gefunden (natürlich am Rheinufer), wird mal wieder eine schöne Witwe (Dorka Gryllus) zur vorrangigen Verdächtigen, und natürlich darf man wieder einen Blick in eine der schönen geräumigen Wohnungen in den Kranhäusern im Rheinauhafen werfen. Alles wie oft gehabt und bar jeder Idee.

Das ist vielleicht das eigentlich Ärgerliche an den Köln-Tatorten: das Fehlen von Ideen.

Die beiden Kommissare Ballauf und Schenk (Dietmar Bär) mögen behäbig, hüftsteif, bärbeißig, kleinlich und ein bisschen schwer von Kapee sein, dergleichen habe wir in den Tatort-Folgen der 80er-Jahre zur Genüge gesehen. Die Witze, die ihnen ins Drehbuch geschrieben, mögen nach jenem witzlosen Humor klingen, wie er in Kölsch-Kneipen und im Karneval traurige Anwendung findet, auch das sei den beiden Oldtimern nachgesehen.

Aber dass nicht eine weiterführende Idee in die Handlung fließt, etwas Prickelndes, Tempogeladenes, das mit dem Fernsehen des 21. Jahrhundert zu tun hätte, das ist ignorant. Das ist Tatortverwaltung WDR.

In jeder Folge, für die "neu" das falsche Wort wäre, grüßt das Murmeltier. Die FAZ spottete in ihrer Kritik: Benutzt, so der Titel der Folge, "wird vermutlich nur deshalb an Feiertagen ausgestrahlt, weil Freddy Schenk der weihnachtsmannähnlichste aller ARD-Kommissare ist".

Das Tatort-Genre in ihren Grundfesten erbeben lässt

Das kann man von Ulrich Tukur nicht behaupten. Er kommt am Sonntag dran, wieder mit einer Folge, die das Tatort-Genre in ihren Grundfesten erbeben lässt. Nur dass diesmal die Twitter- und Facebookgemeinde nicht wie gebannt vor dem Bildschirm sitzen wird und die Morde mitzählt.

Das war beim letzten Fall aus Wiesbaden so, "Im Schmerz geboren", Herbst 2014. Da ging es um die postume Aufbereitung eines Dreiecksverhältnisses. Die Frau der gemeinsamen Begierde von Uli Tukur und Ulrich Matthes war längst gestorben. Weil aber Matthes' geliebter Sohn in Wahrheit von Tukur stammte, hob ein Gemetzel sondergleichen an, mit 47 Toten, wie die Erbsenzähler belegen konnten.

Der Film war ein Spaß, ein Spiel um des Spiels willen, ein Zitatenfestival. Der eifersüchtige Anlass und die mörderischen Folgen standen in einem absurden, also keinem Verhältnis zueinander. Das Grimme-Institut in Marl, der sich gern mit dem Wind dreht und des filmisch geschulten Blickes entbehrt, fand "Im Schmerz geboren" trotzdem preiswürdig.

Das sei auch deswegen rekapituliert, weil der Tatort: Wer bin ich? zumindest folgenmäßig an den Publikumserfolg von 2014 anknüpft. Er wird, das ist das manchmal etwas stupide Online- und Tageszeitungsgeschäft – nach einem Vorgänger beurteilt, der kein Vorgänger ist. Goethe ist auch nicht ewig an "Die Leiden des jungen Werthers" gemessen worden.

Wenn für diesen Sonntagstatort zwei Vorbilder herangezogen werden können, kann man nicht hoch genug greifen. Da wären: "Die amerikanische Nacht", Truffauts meisterlicher Film im Film von 1973 mit Jacqueline Bisset und Jean-Pierre Léaud. Sowie Ingmar Bergmans famos-philosophischer Film "Persona" von 1967 mit Liv Ullmann und Bibi Andersson.

Grundsolide Scherze

Bastian Günther (Buch und Regie) hat sich druchaus einiges vorgenommen und ist klug genug, den schwindelerregenden Balanceakt auf der Schnittstelle von Fiktion und Realität mit ein paar grundsoliden Scherzen zu unterlegen. Andernfalls würde das Tatort-Publikum abstürzen – und mit ihm der Film.

Es geht um Mord im Fernsehen und Mord in der grauen Wirklichkeit. Es ist das Spiel um zwei Paar Schuhe, die in unserer TV-Welt manches Mal zu einem verschmelzen.

Der Tatort-Ermittler Murot muss sich, ob er will oder nicht, im Angesicht eines realen Mordes in den Schauspieler Ulrich Tukur zurückverwandeln, und der Schauspieler Ulrich Tukur wird, ob er es fassen kann oder nicht, zum Haupt- und Alleinverdächtigen, schließlich zum Gejagten, am Ende zum armen Schwein. Wo aber bleibt in dieser Situation der mächtige LKA-Ermittler Murot?

Die "Persona" (wörtlich: Maske) wird Tukur vom Gesicht gerissen.

Dass aus diesem ganz in grauen Tönen gehaltenen Spiel keine Psychokiste fürs Nachtprogramm wird, ist einerseits dem glaubwürdig in Depression, dann Trotz und nochmals Depression verfallenden Schauspieler Ulrich Tukur zu verdanken, andererseits dem gescheiten Film im Film, mit dem Bastian Günther den Persönlichkeitsverlust seines Protagonisten auffängt.

Die Frankfurter Tatort-Kommissare Margarita Broich und Roland Koch drehen selbst gerade einen Tatort, bei dem sie sich hauptsächlich damit beschäftigen, sich gegenseitig anzuschwärzen oder in kleine Fallen zu locken. Auch Martin Wuttke, ehemals Tatort Leipzig, ist mit von der Partie, und legt ein paar köstliche Proben einer abgewrackten Lebemann-Existenz hin. Und alle, alle wollen natürlich dem "armen Uli" in seiner misslichen Situation als Mordverdächtiger beistehen, kommen aber gerade nicht dazu, haben weder Zeit noch Geld und sind, wenn’s drauf ankommt, ziemlich feige.

Nie hat sich der Tatort als Institution und Schauspieler-Fernsehen so schön veräppelt (hat er das überhaupt je?) wie in dieser Folge. "Wer bin ich?" ist weniger spektakulär, weniger vulgär, weniger schwarmdoof als "Im Schmerz geboren", dafür aber ein selten gutes Stück Fernsehen.

Unbedingt ansehen!    

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